Die junge Frau zögerte einen Moment, dann atmete sie tief durch. Das Dröhnen der Sirenen und das Echo des zersplitternden Glases waren wie ein unerbittlicher Weckruf. Sie hatte immer versucht sich aus dem Konflikt herauszuhalten, doch jetzt fühlte es sich an, als wäre die Entscheidung bereits für sie getroffen worden. „Okay, ich komme mit", sagte sie schließlich. Ihre Stimme war fester als sie es erwartete und ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf Toshis Gesicht aus.
„Wir müssen uns beeilen. Amon und die Equalisten haben sich in einem alten Lagerhaus in der Nähe des Hafens versammelt. Es sind schon viele Menschen dort." Als sie in ihr Apartment kam, hatte sie keine Gelegenheit ihre Jacke auszuziehen. Das war nun vor Vorteil, da Linai jetzt nur noch den Mantel schließen musste und folgte Toshi hinaus in die Nacht. Der Regen hatte aufgehört, aber die Straßen waren noch rutschig und dunkel. Sie liefen schnell und die nächtlichen Geräusche der Stadt um sie herum verstummten, als sie sich dem Lagerhaus näherten. Ein unheimliches Gefühl der Aufregung und Angst vermischten sich in ihrem Magen.
Als sie ankamen, war das Lagerhaus von einer Gruppe Nichtbändiger umgeben, die in verschiedene Gesprächen vertieft waren. Linai fühlte sich wie ein Außenseiter, als sie durch die Menge schlüpften, aber Toshi war an ihrer Seite und das gab ihr etwas Mut. Er führte sie zu einem der Eingänge, der von ein paar kräftigen Typen bewacht wurde. Diese warfen ihnen einen kritischen Blick zu, aber Toshi nickte ihnen zu und sie ließen sie passieren. Drinnen war es dunkel und die Luft war durchzogen von einer Mischung aus Aufregung und Anspannung. Linai konnte die Gesichter der Menschen nicht gut erkennen, aber die leise aufgeregte Stimmung war spürbar. Die Stimmen wurden lauter, als sie tiefer ins Lagerhaus gingen und eine kleine Bühne sahen auf der ein Mann stand – Amon. Nun sah sie ihn zum ersten Mal.
Sein Gesicht war maskiert was ihm eine geheimnisvolle und bedrohliche Aura verlieh. „Freunde", begann er mit einer tiefen durchdringenden Stimme, die den Raum erfüllte. „Wir leben in einer Zeit, in der die Bändiger unsere Freiheit unterdrücken. Sie glauben sie seien die Herren dieser Welt, aber das ist nicht der Fall!" Die Menge reagierte begeistert. Die junge Frau fühlte wie ihre eigene Begeisterung langsam wuchs, trotz ihrer inneren Zweifel. Sie hatte nie viel über die Equalisten nachgedacht, aber jetzt sah sie die Menschen um sich herum – sie waren entschlossen etwas zu verändern und sie möchte gern ein Teil davon zu ein.
„Wir sind hier, um uns zu vereinen", fuhr Amon fort. „Um zu zeigen, dass wir stark sind! Dass wir nicht länger die Spielzeuge der Bändiger sein werden!" Die Begeisterung und Leidenschaft der Menga nahm zu. Amon sprach von einer besseren Zukunft, von einer Welt, in der jeder gleich war, egal ob Bändiger oder Nichtbändiger. Das wollten sie doch alle. Mehr Gleichheit. „Jeder von euch hat die Kraft ein Teil dieser Veränderung zu sein", rief Amon und hob seine Hand. „Jeder von euch kann sich uns anschließen!" Die Menge tobte vor Begeisterung und Linai konnte nicht anders, als sich von der Energie mitreißen zu lassen. Die Zweifel, die sie gefühlt hatte, schmolzen in der Hitze des Augenblicks. Hier war eine Gelegenheit, Teil von etwas Größerem zu sein – etwas, das die Ungerechtigkeiten der Welt bekämpfen konnte.
Plötzlich trat ein junger Mann aus der Menge vor. Er sah aus, als wäre er kaum älter als sie und seine Augen funkelten vor Entschlossenheit. „Ich bin bereit, Amon! Ich will kämpfen!" Ein Raunen ging durch die Menge und der Anführer der Equalisten nickte ernst. „Das ist der Geist, den wir brauchen! Ihr seid nicht allein – wir sind eine Bewegung!" Linai spürte das Gewicht der Entscheidung, die vor ihr lag. Würde sie den Schritt wagen? Würde sie sich dieser Bewegung anschließen? In ihrem Herzen wusste sie, dass dies die Möglichkeit war, sich zu beweisen, sich zu zeigen. Aber zu welchem Preis?
„Du musst dich nicht sofort entscheiden", flüsterte Toshi an ihrer Seite. „Schau dir einfach alles an. Du musst dich nicht zu irgendetwas zwingen." Amon sprach weiter und die Nichtbändigerin beobachtete die Menschen um sich herum. Die Leidenschaft in ihren Gesichtern, die Überzeugung, die sie teilten. Es war ansteckend. In diesem Moment fühlte sie sich lebendig wie nie zuvor, als wäre ein Feuer in ihr entfacht worden. Und doch, inmitten all der Begeisterung, flüsterte eine Stimme in ihrem Hinterkopf: Was, wenn du es bereust? Irgendwann?
„Was wirst du tun, Linai?", fragte Toshi leise, als er sie ansah. Seine Augen suchten die ihre. „Das ist deine Entscheidung." Sie schloss die Augen und dachte an die Dunkelheit, die über Republica hing. An die Ungerechtigkeit, die sie all die Jahre ertragen hatte. An die Chance etwas zu verändern. Und dann öffnete sie ihre Augen wieder, entschlossen und bereit sich zu zeigen. „Ich bin bereit", sagte sie. Ihre Stimme klang klar und stark. „Ich will Teil dieser Veränderung sein."
Toshis Gesicht hellte sich auf. „Du hast das Richtige getan", flüsterte er. Und als Amon sie ansah, war es, als ob die ganze Welt auf den Moment wartete, in dem Linai den ersten Schritt in eine ungewisse, aber aufregende Zukunft machte. Ein Murmeln ging durch die Menge, als Linai sich mit aufrechtem Gang vor Amon stellte. Ihr Herz schlug wild, aber ein Gefühl der Entschlossenheit erfüllte sie. Sie hatte es geschafft, über ihre Ängste hinwegzukommen und sich für das einzusetzen, was sie für richtig hielt.
Amon sah sie mit seinen durchdringenden Augen an, und für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. „Du bist eine mutige junge Frau", sagte er mit einer tiefen, resonanten Stimme, die durch den Raum hallte. „Das ist genau die Art von Geist, die wir brauchen, um eine Revolution zu starten." Linai fühlte, dass alle Augen auf sie gerichtet wären. „Ich bin nichts Besonderes", murmelte sie, unfähig ihre Nervosität ganz zu verbergen. „Ich bin nur... ich will nur Gleichberechtigung in Republica." „Das ist genau der Punkt!", rief der Equalistenführer laut aus. „Wir sind alle nicht besonders, aber gemeinsam sind wir stark! Gemeinsam können wir die Fesseln brechen, die uns festhalten. Du bist nicht allein!"
Die Menge jubelte und Linai konnte das Adrenalin in ihren Adern spüren. Sie dachte an all die Nächte, die sie allein in ihrem kleinen Apartment verbracht hatte, an das Gefühl der Ohnmacht und der Entfremdung. Hier, inmitten dieser Menschen, fühlte sie sich plötzlich lebendig und verbunden. Sie alle hatten das gleiche Ziel vor Augen. Mehr Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in Republica. „Ich will Teil dieser Bewegung sein", sagte sie lauter, ihre Stimme übertönte das Rauschen der Menge. „Ich möchte helfen, etwas zu verändern!" Amon nickte, seine Augen funkelten vor Anerkennung. „Das ist der Weg! Wir haben viel zu tun. Du wirst sehen, dass es nicht einfach sein wird, aber du wirst nicht allein sein. Wir werden dir zeigen, wie du deinen Platz in dieser Bewegung finden kannst."
Mit einem Zeichen von Amon trat ein älterer Mann nach vorne, der ein bisschen scheu wirkte, aber auch einen entschlossenen Blick hatte. „Ich bin Kato", stellte er sich vor. „Ich werde dich anleiten, Linai. Es gibt viele Dinge zu lernen, und wir werden sicherstellen, dass du die Fähigkeiten entwickelst, die du brauchst." Die junge Frau nickte entschlossen. Sie fühlte sich gleichzeitig überwältigt und befreit an. Sie war bereit, sich dieser Herausforderung zu stellen. „Ich bin bereit, alles zu lernen, was ich kann." Die Versammlung ging weiter, während Kato und Amon die nächsten Schritte erläuterten. Linai hörte aufmerksam zu. Ihre Gedanken wirbelten herum, während sie sich auf die neue Realität vorbereitete. Sie war auf dem Weg, Teil einer Sache zu werden, die sie nicht für möglich gehalten hätte.
Nach der Versammlung trennten sich die Gruppen und Linai fand sich bald an der Seite von Toshi wieder. „Wie fühlst du dich?", fragte er. Seine Stimme klang besorgt. „Es ist verrückt", antwortete Linai und ließ ein Lächeln aufblitzen. „Aber ich fühle mich... lebendig. Endlich habe ich das Gefühl, dass ich etwas bewirken kann." „Das kannst du", sagte er ernsthaft. „Aber sei vorsichtig. Es gibt viele Risiken. Die Bändiger werden die Gruppierung von Nichtbändigern so einfach hinnehmen." „Ich weiß", erwiderte Linai und blickte nachdenklich zu Boden. „Aber ich muss es versuchen. Ich kann nicht mehr so weitermachen wie vorher."
Die beiden verließen das Lagerhaus und traten wieder in die kühle Nachtluft. Ein Teil von Linai war nervös, doch der andere Teil brannte vor Tatendrang. Sie hatten eine gemeinsame Sache gefunden, einen Platz, an dem sie sie selbst sein konnte.
Linai stolperte durch die leeren Straßen von Republica. Das Adrenalin begann langsam nachzulassen. Der Tag war einfach überwältigend Sie fühlte sich erschöpft, aber gleichzeitig war da auch eine unbestimmte Energie, die sie nicht losließ.
Als sie die Tür zu ihrem Apartment aufschloss, hieß die Stille sie willkommen. Niemand wartete auf sie. Erschöpft lehnte sich die junge Frau an die Tür, schloss die Augen und atmete tief ein. Sie ließ ihre Tasche fallen und setzte sich auf das kleine Sofa in der Ecke des Raumes. Ihr Blick fiel auf die Wände, die nur spärlich dekoriert waren. Sie wollte eigentlich schon vor einem Jahr dagegen vorgehen, wurde aber durch ihre zwei Jobs so eingespannt, dass sie nie die Zeit fand. Und wenn sie mal Zeit hatte, dann fehlten ihr die Ideen, wie sie die Wände hätte verschönern können. In den nächsten Wochen würde sie aber noch weniger Zeit finden, da ihr Training bei den Chi-Blockern stattfinden wird. All die Jahre war sie eine stille Beobachterin gewesen, eine, die sich versteckte und versuchte, den Konflikten zu entkommen. Jetzt war sie aktiv Teil eines Widerstands, der möglicherweise ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen würde.
Die Erinnerungen an Amon und seine leidenschaftlichen Worte schossen ihr durch den Kopf. Er hatte etwas in ihr entfacht, einen Wunsch nach Veränderung und Gerechtigkeit. Sie lehnte sich auf ihrer Couch zurück und schloss die Augen, versuchte, die Gedanken zu sortieren. Doch diese wanderten zurück zu den letzten Momenten der Versammlung. Sie hatte sich so lebendig gefühlt. Ein Gefühl, dass sie schon lange nicht mehr spürte. Linai öffnete die Augen und sah sich um. Das kleine Apartment war ihr Rückzugsort gewesen, ein Platz der Sicherheit. Er wird immer ihr kleiner Rückzugsort sein. Um die Geschehnisse des Tages verarbeiten zu können, griff sie nach einem alten Notizbuch, das sie in einem Regal gefunden hatte und begann die ersten Seiten zu füllen. Es würde ihr Ventil werden, um die Gedanken und Emotionen zu ordnen, die in ihr tobten.
Nach einiger Zeit legte Linai den Stift nieder und starrte auf die Seite. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen und kämpfte jetzt für die Equalisten. Der Kampf war begonnen. Sie musste stark sein, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die anderen, die auf eine Veränderung hofften. Kurz bevor die Müdigkeit sie übermannen konnte, ging sie noch duschen.
Mit zitternder Hand wischte sie den Spiegel vom Wasserdampf frei. Ihr blickten zwei müde blaue Augen entgegen. Nachdem sie das Handtuch von ihren Haaren entfernte und diese rubbelte, hingen ihr die blonden Locken wirr ins Gesicht. Wenn sie an der Seite der Equalisten kämpfte, müsste sie diese verstecken. Bisher war ihr niemand mit dieser Haarfarbe begegnet. Am Anfang drehten sich viele nach ihr um, mittlerweile haben sich die Bewohner Republicas an ihr Aussehen gewöhnt. Sie war zu faul, um zu warten, bis die Haare trocken waren, sodass sie nur ein trockenes Handtuch auf ihr Kopfkissen legte und sich in ihr Bett kuschelte.
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Linai - Liebesgrüße aus Republica
RomanceDie jung Nichtbändigerin Linai lebt in Republica, einer Stadt, die von den Spannungen zwischen Bändigern und Nichtbändigern zerrissen wird. Als sie sich den Equalisten anschließt, glaubt sie fest daran für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu käm...