Kapitel 10

54 6 0
                                    

Der nächste Tag begann früh für Taylor. Nachdem er die halbe Nacht über Lane und seine eigenen Gefühle gegrübelt hatte, stand er noch müder als gewöhnlich auf. Die Sonne war gerade erst über den Horizont gestiegen, als er sich auf den Weg zur Arbeit machte. Er wusste, dass es ein langer Tag werden würde, und dass er sich auf seine Schicht konzentrieren musste, doch Lanes Gesicht, Lanes Worte, schwirrten ihm unentwegt durch den Kopf. In der Rettungsstation angekommen, wurde er von seiner Kollegin Alice mit einem breiten Lächeln empfangen. Alice war nicht nur eine fantastische Notfallmedizinerin, sondern auch eine enge Freundin und Vertraute, die immer ein offenes Ohr für Taylor hatte.

»Guten Morgen, Schlafmütze«, begrüßte sie ihn fröhlich, während sie ihre Tasche ablegte. »Wie geht's dir?« Taylor zuckte mit den Schultern und lächelte matt.

»Ich bin ein bisschen müde, aber das ist ja nichts Neues.« Alice sah ihn neugierig an, während sie die Vorbereitungen für die Schicht trafen.

»Und, wie geht es Lane? Du hast mir gestern nicht mehr erzählt, was noch passiert ist.« Taylor atmete tief durch und begann, Alice alles zu berichten, was am Vorabend geschehen war. Von Andrews Angebot, Lane zu adoptieren, bis hin zu Lanes Reaktion darauf und dem bevorstehenden Abendessen. Während Taylor sprach, konnte er nicht anders, als zu bemerken, dass Alice ihn die ganze Zeit über mit einem wissenden Lächeln ansah. Als er fertig war, grinste Alice breit und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Du hast wirklich ein Händchen dafür, dich in komplizierte Situationen zu bringen, nicht wahr?« Taylor hob eine Augenbraue und sah sie fragend an.

»Was meinst du damit?« Alice schüttelte leicht den Kopf, ihr Grinsen wurde nur breiter.

»Komm schon, Taylor. Hast du wirklich nicht bemerkt, was hier los ist?« Taylor blinzelte sie verwirrt an.

»Worauf willst du hinaus?« Alice trat einen Schritt näher und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Ich habe dich das schon einmal gefragt, aber ich frage es noch einmal: Bist du sicher, dass du dich nicht in Lane verliebt hast?« Taylor spürte, wie sich sein Magen zusammenzog, als die Worte bei ihm sanken. Er wollte etwas sagen, einen Witz machen oder das Thema wechseln, doch stattdessen sah er Alice direkt in die Augen.

»Ja. Ich glaube, ich bin wirklich in ihn verliebt.« Alice lachte leise und schüttelte amüsiert den Kopf.

»Da haben wir's. Du bist also ganz schön verschossen in ihn.« Taylor nickte langsam, als würde er die Worte selbst zum ersten Mal akzeptieren.

»Ja, das bin ich wohl. Aber ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich will Lane nicht unter Druck setzen, besonders nicht jetzt, wo er so viel durchmacht. Und...« Alice seufzte und schaute Taylor ernst an, bevor sie sanft weitersprach.

»Taylor, ich weiß, dass du wegen Eric zögerst. Aber das ist fast zwei Jahre her.« Ihr Blick wurde weicher, während sie seine Hand drückte. »Es war schrecklich, was passiert ist, aber du darfst dir erlauben, wieder zu leben, wieder zu lieben. Eric hätte das gewollt. Und du musst aufhören, dich selbst in diesem Schmerz zu verlieren.« Taylor spürte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Die Erinnerung an Eric, die er so oft verdrängt hatte, schlich sich wieder in seinen Kopf. Das Bild von Eric, das Lächeln, die gemeinsamen Momente – und dann die Nacht, die alles zerstörte. Der Schock, die Trauer, der unermessliche Verlust, den er noch immer spürte. Taylor wusste, dass Alice recht hatte. Doch der Gedanke, weiterzugehen, fühlte sich an, als würde er einen Teil von Eric loslassen. Und das konnte er nicht. Er seufzte tief, versuchte den Schmerz beiseitezuschieben.

»Ich weiß, dass du recht hast, Alice. Aber... ich will im Moment nicht weiter darüber sprechen.« Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander. Er wollte Lane nicht belasten, ihn nicht in etwas hineinziehen, das so viel komplizierter war, als es auf den ersten Blick schien. Aber gleichzeitig fühlte er sich zu ihm hingezogen – diese Gefühle wurden immer stärker. Es war schwer, die Balance zu finden zwischen dem Wunsch, Lane nahe zu sein und der Angst, ihn zu verlieren, wie er Eric verloren hatte. Alice nickte verständnisvoll, ohne weiter zu drängen.

Ungebrochen - Der Engel, der nicht fielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt