Kapitel 11: der seltsame Genosse Barret

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-Vivi-

Der Leichnam des Unbekannten rollt von mir runter und gibt den Blick auf Nevan frei.
Wütend zieht er sein Schwert und wischt es an seinem Hosenbein ab.
Tränen der Erleichterung rennen über mein Gesicht.

Nevan zieht mich hoch und umfasst mit seinen beiden Händen mein Gesicht. >>Geht es dir gut?<<
Besorgt mustert er meinen Hals.
Ich versuche zu antworten, doch das einzige das meine Lippen verlässt ist ein unklares Krächzten und nicken gefolgt von weiteren Tränen.
Er zieht mich in seine Arme und drückt mich fest an sich.

>>Jo, wer ist das?!<<
Nevan lässt mich abrupt los und fährt wütend herum. >>Ist das euer Ernst?!<<
>>Was denn?<< Fragt Caleb unschuldig.
>>Sie wurde fast getötet!<< Schreit Nevan und zeigt auf mich.
Klar, er braucht mich.
>>Was?!<< Müde reißt Eve die Augen auf.
Nevan tritt gegen den Leichnam meines Angreifers.
Eve's Gesicht wird bleich.
Caleb reißt die Augen auf.
>>Scheiße.<<
Eve bückt sich und sieht in das Gesicht des Fremden.
>>Das ist einer aus der Gilde der Attentäter.<<
>>Das heißt?<<
>>Wir sind alle tot.<<
>>Ich dachte, die Gilde wäre ein Mythos um kleine Kinder dazu zubringen, pünktlich schlafen zu gehen?<< Caleb fährt nervös durch seine Haare.
>>Wo, Bruderherz, denkst du, war ich in den letzten Jahren, bevor sie mich hängen wollten?<<
Er beißt sich auf die Lippe.
>>Das können wir Unterwegs klären.<< Unterbricht Nevan die Unterhaltung.
>>Wir müssen los.<<
>>Nein!<< Eve schüttelt den Kopf. >>Das erwarten sie von uns. Wir müssen warten, bis die Sonne aufgegangen ist.<<
>>Und was, wenn sie erwarten, dass wir hierbleiben, weil du denkst, dass sie es erwarten?<<
>>Unwahrscheinlich. So schlau sind die da nicht.<<

-Lia-

Der Vollmond schimmert über uns.
Die Bäume verdecken das meiste des Lichts, was eine Wanderung durch den Wald fasst unmöglich macht.
Zum Glück habe ich die kleine Fee gefunden.
Sie spendet Licht.

Besagte Fee hat mich zu einer abgelegen Holzhütte geführt.
>>Finde ich hier Hilfe?<<
Die Fee nickt.
>>Hallo?<< Ich klopfe gegen die alte Holztür.
Nichts rührt sich.
>>Hallo?<<
Ich klopfe erneut und warte.
Nach einer guten Minute wird die Türe geöffnet.
>>Was willst du?<< Brummt ein vielleicht 22jähriger Junge.
>>Hallo. Ich bin Lia. Mir wurde von einer Fee gesagt, dass ich hier sicher sei.<<
Der Junge sieht entnervt auf meinen Kopf.
>>Cely?<< Die Fee hüpft von meinem Kopf und setzt sich auf die Hand des Jungen.
Sie starren sich einander an.
Ab und zu rollt der Junge mit den Augen.
Cely die Fee gestikuliert wild mit den Händen und Füßen.
>>Gut.<< Der Junge stöhnt genervt auf. >>Komm rein.<< Er tritt beiseite und lässt mich eintreten.
>>Und was ist mit Nevan?<<
Ich zeige auf die pinke Ziege.
>>Keine Tiere im Haus.<<
Die Fee fängt stumm an zu lachen.
Der Junge schießt ihr einen kalten Blick zu.

>>Er ist ganz lieb. Eigentlich.<< Vernehme ich die helle Stimme der Fee.
>>Eigentlich?<< Kommentiere ich und denke an das Verhalten des Jungen.
Besagter Junge erbleicht. >>Du kannst sie hören?<< Es ist mehr eine Feststellung, als eine Frage.
>>Ja.<<
>>Beim mächtigen Claudius.<<
Er fährt zur Fee herum. >>Was ist sie?<<
Cely zuckt mit den Schultern.
>>Du musst wissen.<< Beginnt Cely. >>Nur magische Wesen sind in der Lage mich zu hören- wenn ich sie nicht direkt im Geist anspreche.
Barret hier zum Beispiel kann mich immer hören. Obwohl ich lieber in seinen Geist hineinquatsche.<< Sie grinst.
>>Das heißt, du bist auch magisch.<< Schlussfolgere ich. >>Ich bin ein Werwolf.<< Er grinst und entblößt eine Reihe scharfer Zähne.
>>Und du bist?<<
>>Weiß nicht. Ein Buch hat mich gegessen.<< Sein Blick bohrt sich in meinen.
>>Ich muss los. Du kannst gerne hier bleiben. Cely wird dir bei allem helfen.<<
Er verschwindet mit schnellen Schritten aus der Hütte.
Ich renne zur Tür und sehe wie sich Barret in einen Wolf verwandelt.

>>Wohin ist er gegangen?<<
>>Er ist der Wächter des Waldes. Er kennt alles und jeden.
Du bist neu für ihn.
Du könntest eine Bedrohung sein.
Er will herausfinden, was du bist, um uns zu schützen.<<
>>Ich verstehe nicht, wieso ich dich hören kann, ohne dass du in meinen Geist eindringen musst.<<
Die Fee sieht mich an.
>>Du bist magisch, keine Frage. Bleibt nur die Frage, was du bist.
Nicht alles ist schön. Bestimmte Magie kann dich zum Ziel werden lassen, genauso wie seltene Magie dich reich werden lässt.<<
Sie schweigt kurz.
>>Vielleicht bist du ja ein Wechselbalg. Oder das Kind einer Ehe zwischen Mensch und Elf.<<
Sie mustert mich.
>>Man sagt, deine Schwester wäre eine Hexe. Vielleicht bist du ja auch eine.
Aber das ist eine Art von Magie, die ich niemanden wünsche.<<
>>Wieso?<<
>>Der König hasst Hexen. Eine Hexe ist Schuld am Tod seiner ersten Frau.<<
Ihr Blick verirrt sich in meinen blauen Augen.
>>Aber du bist keine Hexe. Ich nehme keine magische Schwingungen wahr. Deine Magie muss instinktiv veranlagt sein.
Vielleicht bist du eine Geschichte?<<
Ich grinse leicht. >>Eine Geschichte?<<
>>Ja. Es gibt Menschen, die eigentlich nicht echt sind. Sie sind durch einen Fluch ins Leben gekommen, oder durch einen Wunsch, einer guten Tat oder so etwas.<<

-Vivi-

Kaum bricht der Morgen an, verschwinden wir.
Nevan hat die ganze Nacht kein Auge zu gemacht.
>>Du solltest mehr schlafen.<<
>>Kein Interesse, Vector.<<
Er meidet meinen Blick, spricht kaum mit mir.
Ist er wütend auf mich, weil ich fast umgebracht wurde und seine schönen Pläne ruiniert hätte?
Der Wald lichtet sich und eine grüne Landschaft tritt in mein Sichtfeld.
Eve atmet tief ein, ihr Gesicht legt sich in Falten. >>Willkommen auf den Wiesen der Drachen.<<

>0<

Angelika saß am diesen Tag alleine beim Essen.
Ihr Blick liegt auf dem Buch.
Erst Vivi und jetzt Lia.
Viel zu viel wurde eingefordert, dachte Angelika und trank einen Schluck Wein.
Sie versucht ihr Gewissen mit dem Alkohol zu ertränken.
Wer ist schuld, wenn nicht sie am Verschwinden ihrer Töchter?
Das Buch wollte erneut geöffnet werden. Es ruckelte, es blätterte.
Aber Angelika verstaute es stattdessen im hintersten ihrer Regale.
>>Sie werden es dort gut haben. Er wird auf sie aufpassen.<<

Just one more chapter: In jeder Geschichte steckt ein Fünkchen WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt