Kapitel 1

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Der Duft von gebrannten Mandeln – Zucker und Zimt, süß und würzig zugleich – erfüllt den Vorzelt, in dem unter anderem Getränke, Waffeln und Popcorn verkauft werden. Es ist ein ruhiger Nachmittag. Alle Aufgaben sind erledigt: die Getränke aus dem Wagen geholt, im Kühlschrank einsortiert, die Theke blitzblank geputzt.

Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück und lasse meinen Blick durch den fast leeren Raum schweifen. Ein paar Besucher schlendern draußen vorbei, aber niemand kommt herein, um etwas zu kaufen.

Maria, die die Mandeln herstellt, steht in einer Ecke des Zeltes und rührt konzentriert in einem großen Topf. Sie ist schon seit Jahren im Zirkus und ich denke nicht, dass sie jemals gehen wird. Ich kann nicht widerstehen und schnappe mir heimlich ein paar davon aus der Schüssel auf ihrem Tisch. Sie sind warm und knusprig, genau richtig karamellisiert.

Während ich so da sitze und die Mandeln genieße, fällt mir ein, dass es eine neue Nummer im Hauptzelt gibt. Normalerweise strömen die Mitarbeiter aus dem Vorzelt, um die neuen Darbietungen zu sehen, wenn sie nichts zu tun haben. Das erklärt, warum es heute so ruhig und leer war. Ich zögere einen Moment, dann beschließe ich, selbst einen Blick auf die neue Nummer zu werfen.

Ich hielt nie viel von Nikita, weil ich die Gerüchte über ihn gehört habe – einige davon sind schon heftig – und, um ehrlich zu sein, habe ich auch ein bisschen Angst vor ihm. Es ist nicht so, als hätte ich bewusst entschieden, die Gerüchte zu glauben. Sie hängen einfach nur in meinem Hinterkopf ab, wie eine unbestätigte Tatsache.

Nikita ist kein Loser. Die Leute sprechen nämlich zwar über ihn, aber irgendwie ist er trotzdem nicht unbeliebt. Im Gegenteil. Ich habe so das Gefühl, jeder will mit ihm befreundet sein und ich verstehe noch nicht wieso. Ich meine, er ist bestimmt nett, aber er ist auch nur ein Mensch.

Und was ich noch weniger verstehe, ist diese Hass-Liebe, die alle gegenüber Nikita empfinden. Ich selbst habe noch nie mit ihm gesprochen. Auf Partys habe ich ihn oft gesehen, und seine Aura ist beeindruckend, sogar respekteinflößend. Doch das Einzige, was ich mit Sicherheit über ihn weiß, ist, dass er verdammt talentiert ist und es ihm egal ist, was die Leute über ihn denken.

Überall anders habe ich das Lied schon gehört, denn wir hören jedes Lied der Vorstellung mindestens zweimal pro Tag vom Vorzelt aus. Aber wenn du erst im Zelt stehst, spürst du den Bass wirklich in den Knochen, die heiße Luft umhüllt dich, und es ist dunkel. Die einzigen Lichter sind die bunten Scheinwerfer, die Muster auf das Zelt und die Zuschauer malen.

Die Klavierklänge erfüllen das stickig-warme Zelt, dann setzt die Geige ein, begleitet von Trommeln, die die Stimmung in der kleinen Manege fast dramatisch wirken lassen. Die orientalischen Lichter verleihen der Szene etwas Mystisches. Und wenn ich „Szene" sage, meine ich, dass es sich wirklich anfühlt, als würdest du in einen Fantasy-Film eintauchen.

Da ich verrückt nach allem bin, was mit Geschichten zutun hat, habe ich sofort eine Interpretation in meinem Kopf: Die Art, wie Nikita in die Manege kommt sagt, dass das hier etwas außergewöhnliches für ihn ist. Als sei er ein Alien, der in eine neue Welt eintaucht; als würde er zum ersten Mal einen Reifen sehen, berühren, und kein Profi im Cyr-Rad sein.

Sobald er in Berührung mit dem Reifen kommt, zieht es ihn ein: Der Reifen dreht und dreht sich mit seinem Körper darauf und hält nicht an, als würde Nikita die Kontrolle verloren haben. Als würde er in etwas eingesogen werden, was er nicht mehr stoppen kann.

Die Art, wie er lernt den Reifen zu stoppen, zu zähmen, ihm vorzuschreiben, was er tun soll ist fließend. Er lernt langsam. Er versagt und fällt. Das gehört dazu. Und schließlich, im Finale, hat er den Reifen voll unter Kontrolle und wechselt von großen, langsamen zu kleinen, schnellen Drehungen, passend zu der dramatischen Musik.

In diesem Moment wird mir klar, warum die Leute so fasziniert von ihm sind – warum die Gerüchte um ihn kreisen, warum ihn jeder kennen möchte und gleichzeitig niemand wirklich über ihn Bescheid weiß. Nikita ist in der Manege frei, so frei wie nirgendwo sonst auf der Welt. Hier kann er alles sein, was er will, und niemand kann ihm das nehmen. Er hat die volle Kontrolle über die Aufmerksamkeit der Leute, und ich muss sagen, er ist ein großartiger Entertainer. Das Publikum ist vollkommen in seinen Bann gezogen – mich eingeschlossen.

Ich fühle eine Gänsehaut auf meinen Armen und lasse das Lächeln zu, während der Applaus aufbrandet und die Dunkelheit Nikitas Abgang hinter die Kulissen vertuscht. Kurz darauf kommt er zurück, und die mir bekannte Kurzversion des Liedes wird gespielt, während er sich mit einem atemberaubenden, überglücklichen Lächeln verbeugt. 

Ich bin vollkommen hin und weg von der Nummer. Ich wusste, dass die Leute hier Talent haben, aber die Darbietung hat mich vollkommen eingenommen. Ich bin offiziell ein begeisterter Fan, und sehr inspiriert.

Der Duft von Staub und Schweiß, das Knistern der Anspannung und das rauschende Blut in meinen Ohren – ich weiß, dass das hier mehr ist als nur eine Show. Es ist eine ganze Welt, die darauf wartet, erzählt zu werden.

NikitaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt