✶* 𝒦𝒶𝓅𝒾𝓉𝑒𝓁 2 *✶

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»Also, bist du mit dem Song zufrieden, oder nicht?« , fragte Dag, als sie die Kellertreppe hinaufgingen.

Es war schon spät und demzufolge mucksmäuschenstill im Hause Stein. Vincents Eltern schliefen längst, und die beiden Jungs mussten leise sein, um niemanden zu wecken.

»Ja. Streitwagen ... hat Power.« , antwortete er im Flüsterton und nickte, während sie die letzten Stufen erreichten. »Aber ... irgendwie ... ich weiß nicht, es fehlt noch was.«

»Im Song? Was soll denn da fehlen?« Dag zog eine Augenbraue hoch, als er sich die Schuhe anzog, die er ausgezogen hatte, nachdem Mama Stein bemerkt hatte, dass er ohne diese auszuziehen nach unten gelatscht war. »Da fehlt überhaupt nichts? Alles vorhanden. Und ... der Song hat Energie ... genau das, was wir brauchen, um aufzufallen.«

Vincent zuckte die Schultern, während er die Haustür' leise aufschloss. »Ja ... vielleicht. Weiß nicht. Aber ich hab' das Gefühl, dass wir etwas mehr Tiefe benötigen. Und nicht halt mit so einem Lied. Weißt du? Vielleicht ... etwas ... Persönlicheres. Über ... Liebe oder ... Gefühle halt.«

»Liebe?« Dag grinste und schüttelte den Kopf. »Seit wann sind wir 'ne Schnulzenband.«

»Das mein' ich doch nicht.« Vincent öffnete die Tür und sah auf die stille Straße hinaus. »Nur, was uns fehlt, ist ... weiß nicht ... dieser Funke. Musik ist zum Fühlen. Verstehst du?!«

Dag lachte leise. »Tja. Schwer sich in sowas hineinzuversetzen, wenn man Single ist.«

Vincent grinste und gab ihm einen Klaps auf die Schulter. »Ja, Mann. Erzähl' mir was Neues.«

»Wir kriegen das schon hin. Morgen machen wir weiter. Vielleicht kommt uns noch der große Einfall. Eh wir ein Liebeslied trällern müssen.«

»Hoffentlich.« Vincent lehnte sich gegen den Türrahmen, als sein bester Freund hinausging. »Nacht, Dag. Und pass auf, wenn du nach Haus' gehst.«

»Ja ja. Nacht.« Der Lockenkopf hob noch einmal die Hand, bevor er in die Dunkelheit verschwand und Vincent lediglich kurz die Glut sehen konnte, als sein Bester sich eine Kippe anzündete.

Leise und langsam schloss er die Eingangstüre und ging die Treppe zu seinem Zimmer hinauf.

Der Rest des Hauses war still und nur das geräuscharme Ticken der Küchenuhr war zu hören.

Immerhin besser als bei Oma und Opa, dessen Standuhr schon gruselig des Nachts war, wenn sie laut ihren Gong von sich gab.

Vincents Eltern schliefen mit Sicherheit seit Stunden, was ihm im Übrigen recht war. Er mochte die nächtliche Ruhe ... sie gab ihm Zeit, nachzudenken.

Als er sein Zimmer erreichte, ließ er sich prompt auf sein Bett fallen und starrte die Decke an.

Der Tag war lang gewesen, und obwohl sie gut vorangekommen waren, fühlte er sich unruhig. Es lag nicht nur an der Musik.

Etwas nagte an ihm, auch wenn er nicht genau sagen konnte, was es war.

Er dachte wiederholt an den Song, den sie fertig bekommen hatten.

Streitwagen.

Vielleicht hatte Dag Recht, und er selbst war bloß zu kritisch.

Ein Liebeslied.

Das waren sie irgendwie nicht.

Und ... es galt als wahrscheinlich, dass sie so einen Song auch nie authentisch rüberbringen könnten.

Unter Umständen war es einfach ausgedrückt das Problem, dass er nicht viel über das Thema Liebe oder Beziehungen zu sagen hatte.

Wie auch?

Seit gefühlten Ewigkeiten war er Single, und die letzte ernsthafte Beziehungskiste hatte ihn sprichwörtlich gefickt, weil seine damalige Freundin Karina meinte, ihm fremdgehen zu müssen.

Schließlich war er nur ein dummer Poet in ihren Augen, der es nie zu etwas bringen würde.

Er seufzte und setzte sich aufrecht hin. Das leise Rauschen des Windes drang durch das offene Fenster.

Zum Glück hatten seine Eltern nicht mitbekommen, das er vergessen hatte, dieses zu schließen. In ihrer Wahrnehmung wartete ein Einbrecher nur auf diese Gelegenheit, um einsteigen zu können.

Vincent stand auf und ging hin, um es zu schließen. Sein Blick fiel seitlich auf die Straße.

Es war eine ruhige Gegend, die meisten Lichter in den Häusern waren längst erloschen.

Allerdings ...

... nicht im Nachbarhaus.

Im ersten Stock in einem der Zimmer brannte Licht.

Vincent runzelte die Stirn und lehnte sich ein wenig näher an das Fenster, um besser sehen zu können.

Die Räumlichkeit lag auf der gleichen Höhe wie seins.

... und dann ... sah er sie.

Eine ... junge Frau, in etwa seinem Alter, die durch ihr Zimmer ging.

Es war nicht jene, die er an dem Umzugswagen gesehen hatte.

Ihr blondes Haar fiel ihr in dichten Wellen über die Schultern, und sie schien in Gedanken versunken zu sein, als sie auf und ab ging. Ein wenig wie ein Tiger in Gefangenschaft.

Vincent konnte sie nicht genau erkennen, aber irgendetwas an ihrer Ausstrahlung fesselte ihn.

Er lehnte sich ein wenig mehr hinaus.

Sie ging einfach weiter durch das Zimmer, ohne ihn zu bemerken. Dann, ganz plötzlich, schaltete sie flink das Licht aus und verschwand somit aus seinem Sichtfeld.

Vincent blieb noch einen Augenblick stehen, den Blick auf das jetzt dunkle Fenster gerichtet, als wollte er sicherstellen, dass sie wirklich weg war. Folgend setzte er sich zurück auf sein Bett, legte sich hin und starrte erneut die Decke an.

»Hmm.« , gab er leise von sich.

War sie die Tochter?

Oder war es die andere?

Oder ... alle beide?

Ein alleinerziehender Vater mit seinen zwei Töchtern?

Na ja ... vielleicht hatte er auch nur die Mutter nicht gesehen in dem kurzen Augenblick.

Und ... wieso dachte er jetzt darüber nach?

Es waren nur neue Nachbarn.

Mehr nicht.

Lass uns kurz für immer bleibenWhere stories live. Discover now