Der Schatten und die Flamme

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Das Versteck meiner Eltern lag tief im Grenzland, dort, wo sich die verfluchte Dunkelheit des Schattenwaldes und die glühende Hitze der Oni-Wüste trafen. Es war ein Ort, der keinen Namen trug, ein vergessener Zufluchtsort, den nur wenige kannten. Hier hatten sie mich zur Welt gebracht, fernab von den Wächtern der Oni und den Schattenjägern meines Vaters. Doch die Ruhe war trügerisch – niemand konnte für immer entkommen.

Ein ungewöhnliches Zuhause

Unsere Höhle lag verborgen hinter einem Wasserfall, der von seltsamen, blau schimmernden Pflanzen umgeben war. Das Licht, das sie abgaben, war kühl und beruhigend, ein Kontrast zu den feurigen Laternen, die meine Mutter mit ihrer Magie geschaffen hatte. Mein Vater hatte diesen Ort gefunden, und er war ideal für uns: Das Wasser schützte uns vor den Spähern der Oni, und die Schatten halfen, unsere Anwesenheit zu verschleiern.

Hier lernte ich, wer ich war – ein Mischling, geboren aus Feuer und Schatten. Meine Mutter Akira lehrte mich, das Feuer in mir zu kontrollieren, es nicht nur zu entfachen, sondern es zu lenken. „Die Flammen in dir sind wild, Miyu," sagte sie oft. „Aber sie können auch schützend sein. Du musst lernen, sie zu zähmen, oder sie werden dich beherrschen."

Mein Vater Raiku hingegen zeigte mir, wie ich mit den Schatten verschmelzen konnte, wie ich ihre Kühle und ihre Deckung nutzen konnte. „Deine Mutter hat dir das Feuer gegeben," sagte er einmal, während wir im Nebel des Waldes übten. „Ich gebe dir die Dunkelheit. Die beiden sind Gegensätze, aber in dir können sie eins werden."

Doch während ich wuchs und stärker wurde, wuchs auch die Gefahr. Die Oni und Schattenwölfe hatten die Suche nach meinen Eltern nicht aufgegeben. Immer wieder hörten wir das Knacken von Zweigen, das entfernte Brüllen eines Oni-Kriegers oder das Heulen eines Schattenjägers. Mein Vater schickte mich oft tief in die Höhle, während er und meine Mutter zusammenstanden, bereit zu kämpfen, falls sie entdeckt würden.

Ein verhängnisvoller Besuch

Eines Nachts, als die Luft schwer und der Mond blutrot war, kam ein unerwarteter Besucher. Es war ein alter Oni, gehüllt in einen schwarzen Umhang, der an der Grenze unserer Zuflucht erschien. Ich beobachtete aus dem Schatten, während meine Eltern ihm gegenüberstanden.

„Akira," begann der Fremde, seine Stimme tief und schwer wie Donner. „Raiku. Ihr glaubt, ihr könntet euch ewig verstecken?"

„Was willst du, Kuro?" fragte meine Mutter, ihre Hände zu Fäusten geballt, während Flammen an ihren Fingerspitzen tanzten.

Der Oni, Kuro, lachte leise. „Ich bin nicht hier, um euch zu jagen. Ich bringe eine Warnung."

„Eine Warnung?" Mein Vater trat vor, sein Schatten schien sich um ihn zu bewegen, als würde er ihn beschützen.

„Die Ältesten der Oni und die Anführer der Schattenwölfe haben sich zusammengetan," sagte Kuro. „Sie haben eine Allianz geschmiedet, um euch zu finden und zu vernichten. Sie sehen in euch eine Bedrohung, nicht nur für ihre Reiche, sondern für das Gleichgewicht der Welt."

Ein kaltes Schweigen legte sich über die Lichtung. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug.

„Was schlägst du vor, Kuro?" fragte meine Mutter schließlich, ihre Stimme zitterte vor Wut und Sorge.

„Flieht," sagte er. „Geht dorthin, wo weder Feuer noch Schatten herrschen. Vielleicht könnt ihr dort Frieden finden."

Doch meine Mutter schüttelte den Kopf. „Wir werden nicht weglaufen. Nicht mehr."

Der Angriff

Die Warnung kam zu spät. Nur wenige Nächte später wurden wir angegriffen. Es begann mit einem unheilvollen Heulen, das die Luft durchdrang. Schattenjäger und Oni-Krieger umzingelten unsere Zuflucht. Mein Vater packte mich und drängte mich tief in die Höhle.

„Bleib hier, Miyu," sagte er mit Nachdruck, seine blauen Augen leuchteten wie Sterne in der Dunkelheit. „Versteck dich. Und wenn wir nicht zurückkommen... lauf."

Ich wollte protestieren, doch meine Mutter beugte sich zu mir hinunter, ihre Hände auf meinen Schultern. „Wir werden zurückkommen, mein Stern. Vertrau uns."

Dann gingen sie.

Ich lauschte, wie die Welt außerhalb der Höhle explodierte. Das Gebrüll meiner Mutter hallte durch die Nacht, gefolgt von dem zischenden Klang ihrer Flammen. Das Heulen der Schattenwölfe war überall, vermischt mit den wütenden Schreien der Oni. Die Erde bebte unter den Kämpfen, und ich fühlte, wie die Magie um mich herum tobte, wild und unkontrollierbar.

Doch dann, mitten im Chaos, hörte ich einen Schrei. Es war die Stimme meines Vaters. Mein Herz setzte aus, und ohne nachzudenken rannte ich aus meinem Versteck.

Der Wendepunkt

Was ich sah, werde ich nie vergessen. Meine Mutter stand inmitten eines brennenden Kreises, ihre Flammen so hell, dass sie die Dunkelheit zerrissen. Mein Vater lag am Boden, schwer verletzt, sein Körper von Schatten durchzogen, die ihn zu verschlingen drohten.

„Miyu, lauf!" schrie meine Mutter, doch ich konnte mich nicht bewegen.

Die Angreifer hatten uns überwältigt, und die Ältesten standen triumphierend am Rand der Lichtung. Einer von ihnen, ein mächtiger Schattenwolf, trat vor. „Das hier endet heute," sagte er. „Die Verbindung zwischen Feuer und Schatten wird für immer ausgelöscht."

Doch in diesem Moment geschah etwas, das niemand erwartet hatte. Eine seltsame Kraft erwachte in mir – eine Verbindung zwischen dem Feuer meiner Mutter und den Schatten meines Vaters. Es war, als würde mein Blut sieden und gleichzeitig gefrieren. Ich hob die Hand, und eine Explosion aus Licht und Dunkelheit fegte über die Lichtung.

Die Angreifer wurden zurückgeworfen, ihre Kräfte von meiner entfesselten Magie überwältigt. Meine Mutter und mein Vater blickten mich an, eine Mischung aus Stolz und Angst in ihren Augen.

Die Flucht in die Ungewissheit

Die Explosion hatte uns Zeit verschafft. Gemeinsam flohen wir, meine Mutter stützte meinen Vater, während ich die Angreifer mit meiner neuen Macht in Schach hielt. Doch ich wusste, dass dies erst der Anfang war.

Unsere Familie hatte überlebt, aber der Preis war hoch. Mein Vater war schwer verletzt, und die Kräfte, die in mir erwacht waren, hatten uns noch mehr Aufmerksamkeit gebracht. Die Oni und die Schattenwölfe würden nicht aufhören, uns zu jagen.

Doch in diesem Moment, als wir unter dem Licht eines neuen Tages Zuflucht fanden, wusste ich, dass ich für meine Familie kämpfen würde – mit jeder Faser meines Seins. Denn ich war Miyu, die Tochter von Feuer und Schatten, und dies war erst der Beginn meiner Geschichte.

Die letzte SchattenflammeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt