Die Begegnungen zwischen meiner Mutter, Akira, und meinem Vater, Raiku, waren nur ein Flüstern im Wind – ein geheimes Miteinander, das niemand bemerken durfte. Denn in beiden Welten, der der Oni und der der Schattenwölfe, war diese Verbindung undenkbar. Die Regeln waren klar: Oni und Schattenwölfe sollten einander niemals zu nahe kommen. Zwei entgegengesetzte Kräfte, die einander nur zerstören konnten.
Doch genau dort, im Spannungsfeld ihrer gegensätzlichen Kräfte, begann sich ein Band zwischen ihnen zu formen. Nach jeder Begegnung verspürte meine Mutter eine Art Glühen, das tief in ihr brannte, eine Glut, die nicht einmal das loderndste Feuer löschen konnte. Auch Raiku war tief beeindruckt – in seiner Dunkelheit hatte sich ein Licht entzündet, das weder die Schatten noch die kälteste Nacht vertreiben konnten.
Die Treffen am Grenzstein
Die Grenze, an der sie sich trafen, war markiert durch einen uralten Grenzstein. Ein massiver, verwitterter Monolith, halb verborgen im Nebel, und tief in die Erde gerammt. Nur die ältesten Oni und die weisesten Schattenwölfe wussten von seiner wahren Bedeutung. Der Grenzstein, so sagten die Legenden, war das Siegel, das beide Welten in Schach hielt. Jeder, der diesen Stein berührte, würde entweder verbrannt oder in die Dunkelheit gezogen werden. Doch für meine Eltern wurde er zum Treffpunkt, zur stillen Zeugin ihrer geheimen Gespräche und ihres wachsenden Bandes.
In der ersten Zeit sprachen sie kaum. Akira stand oft schweigend am Rand des Nebels, ihre Augen hell und wachsam. Raiku tauchte stets lautlos auf, beinahe eine Verschmelzung mit den Schatten. Dann schauten sie sich nur an, einander abtastend, tastend nach Worten, die keine Sprache fand. Doch mit jeder Nacht, die sie teilten, wuchs das Bedürfnis nach Verstehen, nach mehr als bloßem Schweigen.
„Wieso wagst du es, Oni?" fragte Raiku eines Nachts. Seine Stimme war leise, wie ein Windhauch, und doch trug sie etwas Starkes in sich. „Warum überschreitest du immer wieder diese Grenze?"
Akira hob das Kinn, stolz und trotzig. „Weil ich es kann. Weil ich keine Angst vor dir und deinen Schatten habe."
Raiku hielt ihren Blick fest, ohne ein Zeichen von Wut oder Angst zu zeigen. „Es gibt mehr, als du ahnst, und manches ist gefährlicher als Feuer."
„Und ich werde es herausfinden," sagte Akira. Ein Feuer flammte in ihren Augen auf, ein Feuer, das Raiku tief in seiner Seele berührte.
Die Offenbarung im Sturm
Eines Nachts brach ein gewaltiger Sturm über das Grenzland herein. Der Regen prasselte nieder, Blitze zuckten über den Himmel und ließen den Nebel leuchten. Es war eine Nacht, in der sich selbst die Schatten zurückzogen, und die Oni, die das Feuer beherrschten, Zuflucht suchten. Doch Akira kam trotzdem. Sie stand tropfnass, von der Glut ihrer eigenen Kraft erwärmt, und blickte entschlossen in das Dunkel.
Raiku war ebenfalls dort – sein pelziges Fell von Regen durchnässt und die Augen auf das flackernde Licht vor ihm gerichtet. Der Sturm schien stärker zu werden, als sich ihre Blicke trafen, und ein Blitz schlug in den Boden, fast genau neben ihnen. Für einen Moment schien es, als ob die Natur selbst gegen ihre Nähe protestierte.
„Geh," flüsterte Raiku. „Dieser Ort gehört weder dir noch mir heute Nacht."
Akira jedoch schüttelte den Kopf. „Ich fürchte die Dunkelheit nicht. Ich fürchte dich nicht, Schattenwolf."
Raiku trat langsam näher, sein Schatten erstreckte sich über das nasse Gras, bis er nur einen Schritt von ihr entfernt war. „Du verstehst es nicht, Akira," murmelte er. „Was hier zwischen uns wächst... es könnte uns beide verbrennen."
Doch noch bevor er weiterreden konnte, machte Akira das Unmögliche: Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, zögerlich, doch mit einem Feuer in den Augen, das selbst der Regen nicht löschen konnte. Ihr Finger berührten sein Fell, und in diesem Moment schien die Welt den Atem anzuhalten. Zwischen ihren Berührungen entflammte eine Glut, ein Zischen, als das Feuer des Oni auf die Dunkelheit des Schattenwolfs traf. Doch statt einander zu zerstören, wuchsen die Flammen und die Schatten ineinander, wie zwei Teile eines Ganzen.
Raiku spürte die Hitze, die von ihr ausging, doch er wich nicht zurück. Er spürte, dass dies mehr als bloße Faszination war – es war eine Verbindung, eine uralte, unbändige Kraft, die über ihre Herkunft und ihre Natur hinausging.
Die verbotene Liebe
In den folgenden Monaten begannen Akira und Raiku sich häufiger zu treffen, ihre Gespräche vertieften sich, und die Gefühle, die sie anfangs ignoriert hatten, wuchsen zu einer Leidenschaft, die selbst die ältesten Oni und Schattenwölfe nicht kannten. Doch das Risiko blieb. Immer wieder mussten sie sich verstecken, und immer wieder zerrte der Wunsch nach Freiheit an ihnen. Sie waren sich einig, dass diese Liebe nur ihnen gehörte, dass niemand von den Schattenwölfen und den Oni je davon erfahren durfte.
Doch in der Welt der Magie und Mythen bleibt nichts lange verborgen.
Eine Gruppe von Schattenwölfen entdeckte die beiden bei einem ihrer Treffen und schlug Alarm. Das Wort verbreitete sich wie Lauffeuer in den Reichen der Dunkelheit. Die ältesten Schattenwölfe und die Ältesten der Oni versammelten sich, zornig und besorgt darüber, was eine solche Verbindung für ihre Welten bedeuten könnte.
„Die Flammen des Oni und die Schatten des Wolfes dürfen sich nicht mischen!" verkündeten sie. „Es bringt nur Unheil."
Doch Akira und Raiku waren bereit, gegen ihre eigenen Völker zu kämpfen. Sie entschieden sich, gemeinsam zu fliehen, in eine verborgene, neutrale Zone weit entfernt von den Grenzen ihrer Reiche. Doch die Ältesten der Oni und Schattenwölfe jagten sie, schickten Wächter und Krieger, die das Gleichgewicht bewahren sollten.
Es war in dieser wilden Zeit der Verfolgung, in der sie erfuhren, dass Akira ein Kind erwartete – ein Kind, das die Flammen und die Schatten in sich tragen würde.
Der Beginn von Miyus Erbe
Ihre Liebe hatte etwas geschaffen, das sie nie erwartet hätten: ein Erbe, das beide Reiche tief verunsicherte und gleichzeitig ein Zeichen für eine neue Art von Gleichgewicht war. Doch es war ein gefährliches Erbe. Akira und Raiku schworen, mich zu beschützen, selbst wenn sie dafür ihre Leben geben müssten. Sie versteckten sich vor ihren eigenen Völkern, fanden Schutz bei einem alten Freund, einem Hüter der Grenzen, der das Leben meiner Eltern bewahrte.
So begann mein Leben – zwischen Flucht und Schutz, in den Armen zweier Welten, die sich für immer feindlich gegenüberstanden.
Doch diese beiden, meine Eltern, kämpften mit jeder Faser ihres Seins für das Leben, das sie gemeinsam erschaffen hatten.
DU LIEST GERADE
Die letzte Schattenflamme
FantasiZwischen den Welten von Licht und Schatten, Flammen und Dunkelheit, existiert eine Legende... Miyu ist kein gewöhnliches Wesen. Geboren aus der verbotenen Verbindung einer Oni-Kriegerin und eines Schattenwolfs, trägt er die ungezähmte Macht der Flam...