9 - Eine unerwartete Allianz

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Rain spürte die Anspannung in der Luft, als sie nervös zu Myura hinübersah. Die drei Männer, die sie überrascht hatten, standen wie eine Barriere zwischen ihnen und ihrem Plan, heimlich aufzubrechen. Ihre Herzen rasten, und Rain wusste, dass es keinen Sinn hatte, jetzt zu lügen.

„Wer sind die?" flüsterte sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch.

Myura verschränkte die Arme vor der Brust, warf Solas einen finsteren Blick zu und antwortete: „Das ist Solas, mein Bruder. Der da ist Kiyan, Pukets Bruder. Und der dritte..." Sie warf Puket, der in sicherem Abstand stehen geblieben war, einen genervten Blick zu, „...ist ja offensichtlich Puket selbst. Ich würde sagen, wir wurden voll erwischt." Sie versuchte ein nervöses Lächeln in Richtung Rain, aber ihre Augen funkelten vor Ärger.

„Solltest du nicht auf der Feier sein und eine Frau wählen, Solas?" zischte Myura mit scharfem Ton, der keinen Zweifel an ihrer Wut ließ.

Solas zuckte mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem schelmischen Grinsen die Schultern. „Solltet ihr nicht auch auf der Feier sein?" konterte er, seine Stimme ebenso spitz.

Kiyan verdrehte genervt die Augen und ließ ein hörbares Schnauben hören, als wäre er genervt von diesem kindischen Austausch. Puket hielt sich im Hintergrund, seine Schultern leicht hochgezogen, als wollte er sich unsichtbar machen.

Rain konnte sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Der Streit erinnerte sie zu sehr an ihre eigene Familie – dieses unverkennbare Geschwistergehabe. Sie hielt sich den Bauch und prustete los, ihre laute Heiterkeit durchbrach die gespannte Atmosphäre.

Die anderen starrten sie überrascht an, dann begann Kiyan plötzlich mit einem leisen, kehligem Lachen, das bald in ein herzhaftes Gelächter überging. Rain sah ihn verblüfft an, während er sich mit einer Hand über die Stirn fuhr.

„Ihr beide seid echt Geschwister, das merkt man sofort," brachte Kiyan schließlich hervor.

Die Spannung löste sich, und Rain richtete sich wieder auf. Sie sah Solas entschlossen in die Augen. „Ich weiß zwar nicht, was du hier machst, wenn du eigentlich eine Frau wählen sollst, aber Myura und ich machen uns auf den Weg, meine kleine Schwester zu befreien!"

„Genau!" bestätigte Myura, ihre Stimme fest. „Und ihr könnt uns nicht davon abhalten!"

Solas und Kiyan tauschten einen Blick, der wie eine stumme Unterhaltung wirkte. Ein unsichtbares Band schien zwischen ihnen zu existieren, und ohne ein Wort zu sagen, nickten sie einander zu.

„Nun gut," sagte Solas schließlich. „Aber wir werden euch begleiten. Fünf sind besser als zwei."

Puket erstarrte. „Warte, was? Ich soll mit?" Seine Stimme klang panisch, und er wich einen Schritt zurück.

Solas warf ihm einen dominanten Blick zu, der keine Widerrede duldete. Puket seufzte schwer und ließ die Schultern hängen.

Bevor Rain und Myura überhaupt protestieren konnten, pfiff Solas sein Pferd zu sich. Aus dem Unterholz der Lichtung trat ein beeindruckender schwarzer Hengst, der mit weichen, kraftvollen Bewegungen auf ihn zuging. Sein Name war Thunder, und er schien seinem Besitzer in Dominanz und Stärke in nichts nachzustehen.

Kiyan und Puket pfiffen ebenfalls ihre Pferde herbei, und kurz darauf standen alle bereit zum Aufbruch.

„Aber es gibt eine Bedingung," sagte Solas, während er Rain einen durchdringenden Blick zuwarf. „Du, Rain, reitest mit mir."

Rains Augen weiteten sich. Sie warf Myura einen Blick zu, die eindeutig eingeschnappt wirkte. Doch bevor Myura etwas sagen konnte, schwang Solas sich auf seinen Hengst und half Rain, hinter ihm Platz zu nehmen. Sie fühlte sich unsicher, doch Solas wirkte so selbstbewusst, dass sie sich zwang, ihre Nervosität zu verbergen.

Die Reise war kurzweilig, wenn auch angespannt. Während sie die Hügel überquerten und durch lichte Wälder ritten, stellte Solas Rain unzählige Fragen.

„Wie genau funktioniert eure Welt? Warum gibt es dort keine Hüter? Und warum seid ihr so abhängig von Maschinen?"

Rain versuchte geduldig zu antworten, obwohl sie das Gefühl hatte, dass Solas sie testen wollte. Gleichzeitig bemerkte sie immer wieder, wie Kiyan sie aus den Augenwinkeln beobachtete. Sein Blick war nicht aufdringlich, aber er schien sie genau zu mustern.

Als ihre Blicke sich schließlich trafen, zuckte er erschrocken zusammen und wandte hastig den Kopf ab. Die Sonne brach durch die Baumkronen, und in diesem Licht fiel Rain auf, dass seine Augen nicht schwarz sondern bernsteinfarben waren. Es war ein faszinierender, warmer Farbton, der ihn noch auffälliger machte. Er hatte einen kleinen Schönheitsfleck unter dem linken Auge, und sein Gesicht wirkte fast zart, was ihm eine ungewöhnliche Mischung aus Stärke und Sanftheit verlieh.

Rain wurde rot, als sie merkte, dass sie ihn anstarrte. Schnell wandte sie ihren Blick ab und konzentrierte sich wieder auf Solas' Fragen.

Als sie schließlich an Rains altem Lager ankamen, stieg eine seltsame Mischung aus Melancholie und Hoffnung in ihr auf. Das Dorf war immer noch eine eingefrorene Ruine, die Kristalle schimmerten im schwachen Licht.

Kiyan schien von dem Anblick betroffen. Seine Faust ballte sich, und in seinen bernsteinfarbenen Augen spiegelten sich Mitgefühl und Trauer. Er sprach kein Wort, folgte aber Solas entschlossen, als sie näher traten.

Rain konnte es kaum glauben, als sie ihr altes Haus sah. Die Kristalltierchen, diese kleinen, lebenden Splitter, waren noch da. Sie schienen Nyx fast befreit zu haben. Tränen liefen über Rains Gesicht, als sie sich zu ihrer kleinen Schwester hinabbeugte.

„Rain!" rief Myura, als sie die Tränen bemerkte. „Alles gut?"

Rain nickte, ihre Stimme zitterte. „Ja... alles ist gut. Danke, Myura."

Myura zog sie in eine warme Umarmung und strich ihr beruhigend über das Haar. „Das ist doch selbstverständlich, Rain. Du bist jetzt eine von uns."

Gemeinsam beschlossen sie, den Kristall, in dem Nyx gefangen war, mit ins Dorf zu nehmen. Solas, Kiyan und sogar Puket bauten aus Holz und Seilen einen Schlitten, auf den sie den Kristall vorsichtig luden. Die Kristalltierchen blieben in der Nähe, beschäftigt mit ihren Kristallsplittern.

Die Rückreise begann in gedämpfter Stimmung. Doch Rain fühlte eine Wärme in ihrer Brust, als sie auf ihre neuen Freunde blickte. Egal, was noch kommen würde – sie war nicht mehr allein.

World of Ice - Als die Welt plötzlich anders warWo Geschichten leben. Entdecke jetzt