Nikita (Deutsch)

Kapitel 24

Es wurde kalt draußen – meine Finger sind schon taub geworden und Nikitas Nase rötlich. Außerdem, hat er gesagt, will er über so etwas nicht hier sprechen. Jetzt sitze ich also – eingekuschelt in Decken, die nach Waschmittel und ein bisschen nach ihm riechen – mit Nikita in seinem Bett. Ja, ihr habt richtig gelesen. In seinem Bett. Aber darüber denken wir jetzt nicht nach.

„Vielleicht sollte ich dir erst von meiner Erziehung erzählen, damit es Sinn ergibt." Nikita sitzt am Kopfende des Bettes, an die linke Wand gelehnt, und ich habe mich ihm gegenüber zurückgelehnt. Sein Wohnwagen ist riesig im Vergleich zu meinem kleinen Abteil – er hat sogar den Küchen- und Schlafbereich voneinander getrennt. Aber das macht ja auch Sinn, wenn man so lange im Zirkus lebt. Er hat wahrscheinlich darauf gespart, es sich hier so angenehm wie möglich zu machen. Sogar eine richtig gute Heizung hat er, die wir gleich neben das Bett gestellt haben.

Die Wärme umhüllt mich langsam, wärmt mich, während Nikita beginnt, über etwas zu sprechen, das mich innerlich mit Kälte erfüllt. „Du weißt ja, dass meine Eltern auch sehr christlich waren. Wir waren ziemlich lange in dieser Gemeinde. Da gab es diese Konfirmations-Vorschule. Die kommt noch vor der normalen Vorbereitung. Da geht man mit sechs hin. Meine Eltern haben mich hingeschickt – einfach, weil alle hingegangen sind. Weil sie der Gemeinde vertraut haben. Aber sie hatten keine Ahnung, was uns dort beigebracht wurde."

Nikita öffnet das Bier, das er vorhin aus seinem Kühlschrank geholt hat, mit einem seiner Ringe, reicht mir die Flasche und öffnet anschließend seine eigene.

„An sich ist nichts passiert", sagt er schließlich, nimmt einen Schluck und atmet dann tief aus, während er irgendetwas mit seinen Augen fixiert. „Mir zumindest nicht. Aber es ist so krank, das heute zu realisieren, weil man als Kind einfach nichts versteht. Neben den Basics – wie wir uns zu benehmen haben und so Sachen wie Respekt – wurde uns beigebracht, wie wir Erwachsenen den Alltag erleichtern können, wie wir..." Er starrt auf die Flasche und schwenkt das Bier. „...uns am besten positionieren sollen, damit es nicht wehtut."

„Damit was nicht wehtut?" Er nimmt einen Schluck von seinem Bier, und in mir keimt eine böse Vorahnung, dass es jetzt schon losgeht. Okay, was?? Das ist wirklich abartig krank. Das muss ich erst mal in meinen Kopf bekommen. „Scheiße, ist das dein Ernst?"

„Josh." Er atmet einmal tief durch, ohne mir dabei in die Augen zu sehen. „Bitte. Kannst du nicht so reagieren? Schau, alles, was ich dir hier erzähle, war für mich keine große Sache. Fast alles. Und wenn du so reagierst, machst du die Sache irgendwie schlimm."

„Es ist aber eine große Sache ..."

„Josh."

Ich schüttle den Kopf und seufze leise. „Okay. Ich halte die Klappe."

Er macht eine kurze Pause, als müsste er sich selbst erst fassen. „Damals hatte ich einen echt guten Freund in unserer Gruppe. Lenny hieß er. Er war ein paar Jahre älter als ich, praktisch wie mein Aufpasser, und ich mochte ihn wirklich sehr. Irgendwann bin ich beim Pfarrer reingegangen und habe gesehen, wie er auf den Knien vor ihm war. Damals habe ich es natürlich nicht verstanden, aber er hat ihm einen geblasen."

Ich lehne mich vor, halte mir eine Hand vor den Mund und versuche, nicht zu reagieren, nicht zu unterbrechen.

„Ich hab so 'ne scheiß Angst bekommen. Lenny hat richtig gewürgt und gehustet, und ein paar Tage später hab ich mitbekommen, wie er sich übergeben hat. Er hat so geheult, aber als ich ihn darauf angesprochen hab und gefragt hab, ob das die Schuld des Pfarrers war, hat er nur so Zeug gesagt wie: ‚Das ist gut so, wir müssen uns selbst an letzte Stelle stellen. Die anderen sind wichtiger als wir' und dass es eine Ehre ist, das für den Pfarrer zu tun. Er war stolz darauf, dass er dafür ausgewählt wurde."