Task One

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Spring!

Fast schon ängstlich nimmt Niall den Zettel heraus, doch es ist nichts womit er gerechnet hatte. Doch was von alledem hatte er überhaupt erwartet? Nichts, was ihm in letzter Zeit widerfahren ist konnte er erahnen.

Die Ecke gehört zu einem Zugticket von Mullingar nach Howth. Und das schon in zwei Tagen.

Sie hat wirklich an alles gedacht und alles bis ins Detail geplant. Und sie weiß, dass er Zeit braucht, also gibt sie sie ihm eine Weile – zwei Tage, um genau zu sein.

Soll er das Spiel mitspielen und ihre Aufgaben erfüllen, egal wie sehr es ihn verletzt oder alles sein lassen und weiter in Trostlosigkeit und Verzweiflung leben?

Ist es überhaupt noch eine Frage oder sind es einfach nur seine rhetorischen Gedanken? Er hat sich schon entschieden und er ist sich bewusst was auf ihn zukommt. Zumindest denkt er das.

Er konnte ihr nie einen Wunsch abschlagen und kann es auch heute noch nicht. Wenn sie will, dass er das macht, dann wird er es tun. Er vertraut ihr voll und ganz und ist sich zu hundert Prozent sicher, dass sie weiß was sie tut. Oder getan hat, wie man es nimmt.

Mühsam rafft sich der Junge also auf und macht sich auf den Weg in sein Zimmer. Er versucht gar nicht erst die Tränen von seinen Wangen zu wischen, so schnell würde er nicht hinterherkommen. Aus seinem Schrank zieht er eine Tasche und schmeißt ein paar Klamotten, Waschzeug, Geld, Schlüssel, Ladekabel, Kopfhörer und sein Handy hinein.

Während des Packens beschließt Niall niemandem etwas von seinem Ausflug zu sagen. Vorerst will er es für sich behalten.

Es wird das erste Mal nach ihrem Tod sein, dass er für länger als eine Stunde das Zimmer verlässt. Dass er seit einem Jahr mehr als nur fünfzehn Minuten das Haus verlässt. Und das auch noch freiwillig.

Erschöpft und noch immer weinend lässt er sich auf sein ungemachtes Bett fallen und starrt an die Decke. Wie so oft verzichtet er auf etwas zu Essen. Das letzte Jahr hat ihm zu schaffen gemacht und durch die ausbleibenden Mahlzeiten ist er sehr dünn geworden.

Sprechen scheint Niall verlernt zu haben, er redet kaum noch. Alle seine Freunde hat er vernachlässigt und seine Familie hat er so weit wie möglich von sich fern gehalten.

Jeden Tag ist es dasselbe. Er wacht auf, setzt sich auf die breite Fensterbank und starrt nach draußen. Zwischendurch isst er ein paar Bissen. Eine halbe Stunde lang geht er in den Garten oder läuft einfach draußen herum, nur um sich anschließend wieder in seinem Bett zu verkriechen, die Zimmerdecke mit seinen Blicken zu durchbohren und weinend in einen unruhigen Schlaf zu fallen.

Genauso wie heute. Mit noch immer fließenden Tränen driftet er langsam in die Welt der Träume ab, in welcher er ihr jede Nacht aufs Neue wieder begegnet.

***

Die zwei Tage vergingen schleichend langsam, doch der Tagesablauf des verzweifelten Jungen änderte sich nicht.

Heute jedoch hat er sich aufgerafft, damit er seine Pflicht erfüllen kann. Niall ist fest entschlossen, ihren nächsten Brief zu bekommen.

Die Menschen um ihn herum – alle auf ihren Zug wartend – unterhalten sich, lachen gemeinsam, sind glücklich. Am meisten jedoch treffen ihn die Bilder der ganzen glücklichen Pärchen – händchenhaltend und sich küssend. Ebenso schwer verletzt ihn die Szene eines jungen Paares, welches sich anscheinen nach langer Zeit endlich wieder in den Armen liegt.

Wie gerne würde er das auch haben. Wie sehr will er sie wieder in seine Arme schließen. Er würde so viel dafür geben – alles, was er hat.

Der ankommende Zug lenkt ihn ab und holt ihn wieder zurück in die Realität.

Last Letters || N. H.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt