6. Versprechen

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Ein undeutliches Rauschen drang in meine Ohren. Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren und Worte aus den verzerrten Lauten wahrzunehmen. „Ihre Füße!" Das war ganz klar Eliza. Wobei ich mir jedoch nicht so sicher war, war, ob ich immer noch träumte.

Wenn ich denn überhaupt geträumt hatte.

Langsam kamen jedoch meine Sinne wieder, die mir vor einem Moment noch genommen worden waren.

Ich schmeckte das Salz auf meinen Lippen.

Ich hörte, wie eine Schranktür zugeschmissen wurde.

Ich roch Desinfektionsmittel.

Ich spürte die weiche Unterlage, auf der sich mein noch schlaffer Körper befand, den mit kaltem Wasser durchtränkten Waschlappen auf meiner Stirn und die drei Finger, die zärtlich meinen Handrücken streichelten.

„Jona, schau dir das an. Sie blutet!" Eliza klang aufgebracht. Die Finger hielten inne und ich spürte, wie sie anschließend von meiner Hand abließen.

„Was?!" Jona's Stimme säte Gänsehaut auf meinem ganzen Körper.

Ich wagte es meine Augen einen Spalt weit zu öffnen. Die Deckenlampe, die direkt über mir hing, schien jedoch zu versuchen mich mit ihrem grellen Licht blind zu machen. Ich stöhnte leise und blinzelte.

„Hey" Jona's sanfte Stimme. Sein Gesicht tauchte über mir auf und verdeckte die Lampe. Ich sah ihn an. Er legte mir eine Hand auf die Wange. Das war gerade ganz sicher keine Vision mehr. Denn ich sah seine grün-grauen Augen. Seine grün-grauen Augen. Aber sah ich gleichzeitig auch die grün-grauen Augen eines Wolfes?

Es war mir egal, wie sehr mein Schädel pochte oder wie sehr mir meine Gliedmaßen weh taten. Ich fiel Jona um den Hals und vergrub mein Gesicht in seiner Schulter.

Es roch nach nassem Gras und Wald.

„Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt", flüsterte er und küsste mein Haar.

Ich krallte mich in sein T-Shirt. Das dunkelgrüne T-Shirt, auf dem Billy Talent auf seiner Brust stolz posierte. Diesmal war es ganz. Es war nicht zerrissen.

Jona schien meine feste Umarmung zu spüren und drückte mich nur noch fester als vorher. Mein Herz raste nicht mehr so sehr, jedoch schien nun jeder Schlag meinen ganzen Körper zu erschüttern.

Ich öffnete die Augen und sah Eliza neben meinen Füßen auf der Liege sitzen. „Geht es dir gut, Maggie?"

„Ich möchte nach Hause", nuschelte ich in Jona's Schulter.

„Ich fahr' dich", antwortete er ohne zu zögern.

Jeder Schritt bis zu Jona's rotem BMW hatte sich wie tausend Nadelstiche angefühlt. Meine Füße waren rot und geschwollen. Das war mir aufgefallen, als ich mich in meine Chucks zwingen musste. Woher die Schwellung kam, wagte ich mich gar nicht erst zu fragen.

Jona hatte mich gestützt, als wir mühsam aus dem Krankenzimmer schlichen. Ich war nicht besonders scharf darauf, irgendeiner Schulschwester erklären zu müssen, warum ich mitten auf der Tartanbahn plötzlich mein Bewusstsein verloren hatte. Denn das wusste ich selber nicht.

„Kennst du das Gefühl", fragte ich, während mein Arm aus dem runter gekurbelten Fenster hing und meine Hand in sanften Wellen durch den Fahrtwind flog. „wenn sich ein Traum so real angefühlt hat, dass du, wenn du aufwachst, erstmal eine Zeit brauchst, um Traum und Realität trennen zu können?" Ich sah zu Jona. Er wandte seinen Blick nicht von der Straße ab.

Lunar - Augen, wie EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt