Secret Life ( Teil2)

•2•

„Na wen haben wir denn da?", Selina, die Tätowiererin schaut auf mich herab, sie scheint riesig zu sein, locker 1,80 Meter. Ich lächel sie nur zurück an.
„Einmal Haare schneiden? Färben? Oder Stylen? Oder vielleicht alles?", sie betrachtet meine braunen Haarspitzen zwischen ihren Finger. „Ja könnten nochmal geschnitten werden."
„Tätowieren.", antworte ich.
„Tätowieren?", sie schaut mich entsetzt an, dabei scheint es doch hier in diesem Alter normal zu sein ein Tattoo zu besitzen.
„Sorry Süße, aber das darf ich ohne einen Erziehungsberechtigten nicht machen, außerdem wäre ich meinen Job los, wenn Christina davon Wind bekäm.", sie wendet sich zu einem Besen und fegt die Haarreste vom Boden weg. Jedoch hätte ich das gleiche wie sie gedacht, wenn ich nicht diesen Gutschein von Christina persönlich bekommen hätte.
„Ich hab diesen Gutschein von Christina bekommen.", ich lege ihn vor ihre Augen.
„Der war für dich?", sie guckt mich erstaunt an.
Ich nicke, ziehe die Schultern hoch und zeige ebenfalls, dass ich verwundert bin.
„Na gut, dann komm mal mit."
sie führt mich durch eine Tür, die in den zweiten Teil des Studios führt. Schon denkt man, man wäre woanders. Schwarze Wände mit Motivfotos, nur eine grelle Lampe über einer Liege, neben der die Geräte stehen.
„Na dann setzt dich mal dahin."
Ich schaue Nick an, mittlerweile steigt die Angst in mir hoch, wenn ich diese Nadel sehe.
Aber Schmerzen kann ich normalerweise gut aushalten.
„Hast du schon was genaues im Kopf, oder?", sie bietet Nick einen Stuhl in der Ecke an und setzt sich selbst direkt vor mich.
„Ja so ungefähr."
„Na dann schieß mal los."
„Und zwar solls an meinen Unterarm kommen. Etwas, was mit meinen Eltern als auch mit meinen Pflegeeltern zu tun hat. Vielleicht das...Todesdatum und der Anfangbuchstabe.", dieses eine Wort fühlt sich so komisch im Mund an.
„Ich wollte es nicht glauben. Cassandra war damals bevor sie gegangen ist eine sehr gute Freundin von mir...mein Beileid." sie schaut zuerst bedrückt, wendet sich jedoch direkt nochmal ihrer Arbeit zu und kritzelt etwas auf ein Blatt Papier.
„So ungefähr?"
Sie zeigt mir ihr Kunstwerk.
Eine Art Baum, überdem steht : Family stays forever. Die vier Buchstaben und ihre Todesdaten in römischen Zahlen, dargestellt als Äste des Baumes.
So habe ich es mir zwar nicht vorgestellt, aber es sieht sogar besser aus.
„Ja das will ich haben."
„Dann leg deine Hand ganz ruhig hierhin.", ich folge ihren Anweisungen.
„Brauchst du was zum Beißen? Denn es wird wehtun." Ich schüttel den Kopf.
„Ich gebe ihr einfach meine Hand, dann kann sie sie zerdrücken, wenn es wehtut." sagt Nick und stellt sich neben mich.
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es soo wehtun kann.
Und kaum habe ich das gedacht, schießt der Schmerz schon durch meinen Körper. Schnell greife ich nach Nicks Hand und so leid es mir auch tut zerdrücke ich sie halb.
Selina macht eine kurze Pause, nach einer gefühlten Ewigkeit. Ich gucke hin und sehe, wie sie erst den Spruch gemalt hat. Dann schaue ich auf Nicks Hand, die ganz rot und blau ist. Ich lächel ihn nur schief an, aber er scheint es hinzunehmen, war ja schließlich auch seine Idee.
„Gut, weiter?", fragt sie mich. Ich nicke nur und will den Schmerz schnell hinter mich bringen.
Nach einer Stunde bin ich dann endlich entlöst und das Resultat sieht mehr als gut aus.
„Wow, danke!"
„Kein Ding, darf ich davon ein Foto machen für meine Tattoowand?"
„Na klar." , sie hat noch einen dieser uralten Fotoapperaten, wo das Foto direkt rauskommt.
„Also das wird jetzt erst noch rot sein.
Also nicht kratzen, immer eincremen und dein Kreislauf könnte jetzt auch bisschen belastet sein."
Sie zieht ihre Handschuhe und ihre Weste aus. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich kein einziges Tatto bei ihr sehe.
Ich stehe auf. Nick nimmt meine SSA Weste und ich blicke nochmal auf die Wand mit den ganzen Tattoobilder.
„Hast du auch eins?", frage ich sie.
„Nein, ich beschmücke meine Haut nicht. Das tue ich nur meinen Haaren an, das bleibt wenigstens nicht für immer.", sie zwinkert mich an. Doch ich bin mir meiner Entscheidung bewusst.Und ihre Haare sind wirklich ausgefallen bunt und sie hat Rasterzöpfe an einer Seite.
Ich widme mich weiter den Motiven, die unterschiedlicher und ausgefallener nicht sein können. 3D, bunt oder normal schwarz.
Plötzlich bleibe ich an einem großen Tattoofoto stehen. Zuerst denke ich, ich bin verrückt.
„Das, das ist doch das Bild, dass ich damals gemalt habe!"
„Was für ein Bild?", fragt Nick mich verwundert.
„Das!", ich zeige mit dem Finger auf ein Tattoo. „Es sieht aus wie das Bild das ich als Kind mit Wachsmalstiften für Christina gemalt habe, es zeigt mich und Christina.", auch wenn es nur schlecht erkennbar ist, durch meine schlechten Maltalente. Immerhin war ich damals so schlau und habe das Bild von meinem Papa beschriften lassen. Das hat mir Chirstina selbst vor kurzem erzählt, als sie mir das Bild, dass in ihrem Zimmer hängt gezeigt hat. Aber wieso hängt es als Tattoovorlage hier?
„Kindermalereien sehen sowieso alle gleich aus.Die Sonne in der Ecke, Strichmännchen, Vögel die aussehen, wie ein V."
Aber ich bin mir sicher. Also hake ich direkt nach.
„Wer hat sich das stechen lassen?", frage ich Selina.
„Das weißt du nicht?", sie guckt mich verwundert an. Lacht dann kurz auf. „ Was denkst du denn, wieso es so groß an der Wand hängt?"
Ich blicke nicht mehr durch.
„Das hat deine liebe Mutter sich vor 13 Jahren, glaub ich, stechen lassen. Sieht richtg süß aus."
Meine Mutter hat sich ein Bild von mir tattoowieren lassen? Ich bin überwältigt. Und bevor wir das Studio verlassen, setze ich mich nochmal auf den Stuhl.
„Das hätte ich gerne, haargenau das selbe. Hinten auf die Schulter."
Nick und Selina gucken sich verwirrt an. Doch ich bleibe ernst. Es dauert erst paar Minuten, bis sie mich wirklich ernst nehmen. Dann setzt sie sich nochmal gegenüber und fängt an. Zuerst die Sonne, dann mich und Christina als Strichmännchen. Die Vögel und den Berg, der eine Wiese darstellen soll. Dann die Beschriftung --->Chirstina Bella<-----
Und dieses mal waren die Schmerzen nur halb so schlimm und es ging viel schneller.
Mit einem Spiegel betrachte ich das Kunstwerk. Jetzt habe ich das gleiche Tattoo wie sie und ein Tattoo das für Chirstina steht.
„Kann ich das morgen bezahlen kommen?"
„Geht schon, seh es als Geschenk von mir.", sie lacht mich an.
„Das kann ich nicht annehmen."
„Doch, das musst du wohl, weil ich werde kein Geld annehmen."
Sie begleitet uns zur Tür. Bevor wir sie verlassen, drehe ich mich noch einmal zur ihr „Du hast was gut bei mir." und umarme sie.
Ich weiß nicht, ob Christina mich erschlagen wird, weil ich mir 2 Tattoos machen lassen hab oder ob sie heulen wird, weil sie so begeistert davon ist.