»27. Kapitel

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Wie sich herausstellte, waren neun Stunden Flug keine gute Gelegenheit sich zu entspannen, geschweige denn abzuschalten. Der Sitz war hart und unbequem, sodass ich bereits nach einer kurzen Zeit extreme Rücken- und Nackenschmerzen bekam, es war kalt und vor mir saßen zwei ältere Frauen, die ihre schlecht bemalten Münder nicht halten konnten.

Gedankenverloren starrte ich aus dem kleinen Fenster. Es war bereits weit nach Mitternacht und so ziemlich alle - abgesehen von den zwei Frauen vor mir und einem Mann, der an seinem Laptop arbeitete - waren am schlafen. Am liebsten hätte auch ich etwas geschlafen, doch ich hielt mich selber davon ab, indem ich über Harry nachdachte. Ich fühlte mich schrecklich, wenn nicht sogar einfach nur dreckig. Inzwischen hatte ich realisiert, dass allein ich die Schuld an Harrys Tod trug. Wäre ich nie so unvorsichtig gewesen, dann wäre es nie dazu gekommen, dass mein Vater verletzt worden wäre. So wären wir nie in Holmes Chapel gelandet und der Junge mit den wilden Locken und ich wären uns nie in die Quere gekommen. Es hätte alles verhindert werden können. Alles.

Seufzend zog ich meine Jacke etwas enger um mich und verschränkte die Arme vor der Brust. Obwohl wir bereits eine ganze Weile flogen und kleinere Snacks verteilt worden waren, so konnte ich das unheilvolle Rumpeln in meiner Magengegend einfach nicht ignorieren. Langsam wischte ich mir mit dem Handrücken über die brennenden Augen. Was hatte ich nur getan, dass ich so bestraft worden war?

Nachdem ich für eine Weile die Sterne am Himmel gezählt hatte, drehte ich mich wieder weg, um nach Liam zu schauen. Als ich mich umdrehte, bemerkte ich, dass er mich bereits beobachtet hatte. Da keiner hinter uns saß, hatte er die Lehne des Sitzes nach hinten verstellt und hatte sich mit einem dieser kleinen Kissen, die es in jedem Flugzeug gab, und seiner Jacke ein kleines Bett gemacht. Oder zumindest einen ziemlich schlechten Ersatz.

Seine braunen Augen betrachteten mich ruhig. Als ich das letzte Mal nach ihm gesehen hatte, hatte er friedlich geschlafen, den Kopf leicht zur Seite geneigt, den Mund ein kleines Stück auf. In dem Moment, wo sich unsere Blicke trafen, verformten sich seine Lippen zu einem kleinen Lächeln. Ohne groß darüber nachzudenken, erwiderte ich es. Ich war froh ihn zu kennen. Er war in dieser Zeit zu meinem Schutzschild geworden. Es war nicht nur so, dass er mich vor einem Unbekannten schützte, sondern er schützte mich auch vor all den Dingen, die ich nicht alleine bestreiten konnte. Und dafür war ich ihm dankbar.

»Warum schläfst du nicht auch?«

Während er sprach, bemerkte ich die leichten Schatten unter seinen Augen. Obwohl er etwas geschlafen hatte, schien es nicht sonderlich gut gewesen zu sein. Ich vermutete, dass er sich ebenfalls mit Harry beschäftigte. Für mich war es bereits schlimm, doch für ihn musste es mindestens doppelt so schlimm sein, wenn nicht sogar noch schlimmer. In dieser Hinsicht war ich froh darüber, das Harry und ich keine tiefliegende Freundschaft geführt hatten. Dadurch hätte ich wahrscheinlich noch mehr gelitten und vielleicht hätte es mich noch mehr zerstört. Müde wandte ich mich wieder an Liam.

»Ich kann einfach nicht.«

beantwortete ich wahrheitsgemäß und fuhr mir erneut über die Augen. Glücklicherweise war ich nicht geschminkt, weswegen ich mir keine Sorgen machen musste, dass etwas verschmieren würde.

»Mir gehen einfach zu viele Dinge durch den Kopf.«

Ich musste nichts genauer erklären - er wusste sofort was ich meinte. Liam antwortete nicht mehr. Er saß einfach nur in seinem Sitz. Ich vermutete, dass er an seinen besten Freund zurückdachte. Auf einer unbestimmten Art und Weise bewunderte ich ihn dafür, wie ruhig und gefasst er trotz allem blieb. Es wäre in keiner Hinsicht schlimm gewesen, wenn er geweint hätte, aber er verhielt sich wie immer.

Ich bemerkte, wie ich zu zittern begann. Die Luft im Flugzeug war kühl und in dem Moment ärgerte ich mich darüber, dass mein Lieblingspullover Zuhause lag. Ich zuckte kurz zusammen, als ich plötzlich eine Hand auf meinem Oberarm spürte. Liam, der mein Zittern bemerkt zu haben schien, bewegte seine Hände vorsichtig auf und ab, sodass durch die Reibung Wärme bestand. Ohne seine Geste großartig zu kommentieren, fuhr er fort, mich zu wärmen.

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