Kapitel 10

11 3 0
                                    

"Sometimes you can't save someone from themselves.'- Dave Grohl

-Lucas-
Das Spiel begann.
Football ist eigentlich gar nicht so kompliziert. Das Spiel wird in vier Vierteln ausgetragen und im Verlauf des Spieles versuchen zwei Mannschaften, die jeweils aus elf Spielern bestehen, den Football in das gegnerische Team zu befördern, oder einen sogenannten Field Goal zu erzielen um Punkte zu gewinnen. Die Mannschaft, die gerade den Ball besitzt, muss viel Raum erreichen, mit hilfe von Werfen oder Laufen, um dadurch einen Touchdown oder einen erzielten Field Goal zu erreichen und somit weitere Punkte zu gewinnen. Die verteidigende Mannschaft versucht die Angreifer daran zu hindern und selber in den Ballbesitz zu gelangen. Sobald die Angreifer es nicht schaffen nach vier Versuchen einen Raumgewinn von zehn Yards zu erreichen, wechselt das Angriffsrecht, sodass die Angreifer nun Verdeidiger sind und umgekehrt. Gewinner ist das Team, was zum Schluss am meisten Punkte erzielt hat.
So etwas dachten sich auch nur Menschen aus.
Wir waren zu schlau dafür.
Aber da die Ältesten verlangten, dass wir uns normal wie jugendliche Jungs verhalten, sprich, sabbern, brüllen, essen wie die Schweine und natürlich schwitzen, blieb uns wohl nichts anderes übrig als die Regeln zu befolgen.

Ich rannte um einen Gegenspieler herum fing den Ball vor ihm ab und warf einen Touchdown. Wieder wurde gebrüllt und geschrien und die Cheerleader machten irgendwelche Tanzstücken.

Willkommen bei den Sterblichen.

Erneut erklang ein Pfiff. Ich sah in die Menge und hielt die Luft an.
Auf der Tribüne saß versteckt das Mädchen mit den roten Haaren. Ich hatte so gehofft, dass sie eine andere Schule besuchen würde und somit kein Problem darstellen würde.
Und wieder einmal der Beweis: Hoffnung ist nur menschlich.
Ich zog scharf die Luft ein, als der Football in meine Magengrube schlug. Verdammt, dass hatte ich total ausgeblendet. Coach Dumpty lief auf mich zu. "Was war das denn?", schnauzte er mich an. "Nichts, alles gut, wird nicht wieder vorkommen." Mit erhobenen Händen ging ich zurück zu meinem Team. Derek schaute mich vernichtend an und Alex machte sich Sogen, soweit ich erkennen konnte. Die anderen wirkten verwirrt. "Verdammt!", schrie Derek, "Was sollte das denn werden?" Wütend schubste er mich weg. "Ey man, entspann dich mal, ist doch nichts passiert.", sagte Julian zu ihm. Er kassierte dafür einen Todesblick. "Zurück auf eure Positionen!", rief Dumbty. Damit beendete er unsere Auseinandersetzung.

Das Spiel ging weiter.

-Freya-
Die Beers hatten gewonnen und nach den traurigen und wütenden Gesichtern der Gegenspieler und deren Zuschauer, war das nicht das erste Mal. "Hast du gesehen wie die 11 den Touchdown gemacht hat? Das war Spitze, ich hätte das aus der Entfernung niemals erwartet!", begeistert und mit einem lächeln auf dem Gesicht, erzählte mir Dad von all den Dingen, die ich selber gesehen hatte. "Oder als die Nummer 7 einen Schwächeanfall erlitt, oh man, oh man, dass hätte ich niemals erwartet. Football ist nichts für schwache Nerven!", wiederholte er zum dritten Mal. Lachend verdrehte ich die Augen. Ich war so glücklich, dass Charly viel Spaß hatte, er hatte es mehr als alle anderen verdient. Normalerweise hätte ich ihn genervt zurechtgewiesen, dass ich selber dabei gewesen war und er es mir nicht nocheinmal erzählen bräuchte. Das brachte ich diesmal nicht übers Herz.
Grace war während des Spiels gegangen, mit der Begründung, sie hätte noch etwas zu erledigen und würde sich heute Abend bei mir melden um zu wissen, wie das Spiel verlaufen und zum Schluss ausgegangen war. Vielleicht ließ ich sie dann lieber mit Charly reden, er konnte ihr das bestimmt besser erläutern. Mir viel ein, dass ich noch die Flaschen von vorhin mit mir herumtrug und diese wollte ich ungern mit nach Hause nehmen. "Ich bringe das hier nur schnell weg!", rief ich Dad zu und hielt die Behälter hoch. Er nickte mir zu und ich ging nochmal zurück.
Suchend schaute ich mich nach einem Mülleimer in der Nähe um, wurde jedoch nicht fündig. Ich beschloss weiter hinten nochmal nachzusehen. Es war ziemlich kalt und dunkel geworden und ich zog aus gewohnheit meinen Schal enger und die Ärmel meiner Fleece-Jacke so weit nach unten wie es ging. Die Kälte war ungewohnt, in Florida waren es selbst im Winter schwüle 29º Celsius im Schatten. Ich hatte noch nie echten Schnee angefasst oder gar gesehen. Meine Mutter erzählte mir immer von einer weißen Weihnacht in Europa, wie die Kinder Schneemänner bauten, auf einem Schlitten nach unten rasten oder sich ziehen lassen und auf vereisten Seen und Teichen Schlittschuh fuhren und dabei versuchten Kunststücke und Sprünge vorzuführen. Sie sagte aber auch, dass es sehr kalt wäre, doch ich hatte keine Ahnung wie kalt sie es meinte. Wir hatten Herbst und ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Temperaturen noch unter Null fallen sollten.
Ich erreichte eine Mülltonne und warf die leeren Flaschen hinein, sodass ein lautes klirren und poltern ertönte. Ich zuckte leicht zusammen und wollte gerade weitergehen, als ich ein leises würgen vernahm. Obwohl sich alle Nackenhärchen bei mir aufrichteten, schlich ich mich leise heran und hinter einer Bank sah ich einen Jungen mit weißem Trikot, der sich schmerzlich nach vorne krümmte. Er sank auf die Knie und ich lief auf ihn zu. "Ist alles in Ordnung? Kann ich dir helfen? Soll ich Hilfe holen?", fragte ich leicht panisch. Der Junge antwortete nicht und kippte nach vorne, wobei er vesuchte, sein Gewicht auf die Bank zu verlagern. Ich griff ihn am Arm und versuchte ihn wieder aufzurichten, doch er war zu schwer. Er war total unterkühlt und von seiner Stirn liefen Schweißtropfen herab. Er verlor das Gleichgewicht und kippte samt mir zur Seite. Ich schrie auf vor Schreck. "Hilfe!", rief ich laut. "Nein.", flüsterte der Junge leise und fing daraufhin zu Würgen und zu Röcheln an. Er bekam keine Luft, dass wusste ich. "Ich brauche Hilfe!", schrie ich diesmal so laut wie ich konnte. "Hilft mir bitte jemand!" Verzweifelt versuchte ich mich unter ihm hervozurollen und ihn in die stabile Seitenlage zu bringen, wie mir das in der Schule früher beigebracht wurde. "Hilfe!", schrie ich ein weiteres Mal. Mein Handy, dachte ich, wo ist mein Handy?
Ich wühlte in Jacken- und Hosentaschen, wurde jedoch nicht fündig. Ich war hilflos und der Junge würde sterben, wenn er keine Hilfe bekam.
Heiße Tränen liefen mir über die Wangen und als ich gerade wieder schreien wollte, hörte ich Schritte von hinten. Sie kamen von einem Spielkameraden und erleichtert antmete ich tief durch. "Was ist passiert?", fragte dieser. "Er ist bekommt keine Luft mehr." Er schien mich zu ignorieren. "Alex, höst du mich?" Er schlug leicht am beide Wangen von dem Jungen. Erst jetzt erkannte ich ihn, als denjenigen, der auf dem Feld zusammengebrochen war. Dieser hatte nun die Augen geschlossen und versuchte ein weiteres Mal zu atmen. "Scheiße", sagte der der Spielkamerad. "Ruf einen verdammten Krankenwagen!", machte er mich wütend an. Ich zuckte ängstlich zurück. "Ich habe mein Handy verlor..." "Hier nimm." Er drückte mir seins in die Hand und ich wählte schnell die Nummer, wobei ich immer wieder abrutschte. Konzentrier dich Freya, ermahnte ich mich selber. Atme tief durch dir Nase ein und und stoß die ganzenLuft durch den Mund wieder aus. Meine Hände hörten langsam auf zu zittern. Ich wählte zu Ende und wartete bis jemand dran ging. Ruhig erzählte ich ihnen kurz, was geschehen war und wo wir und befanden. Sie sagten sie würden sofort da sein. "Sie sind gleich da", sagte ich zu beiden und gab dem einen sein Handy wieder. Ich nahm die Hand von Alex und schloss die Augen.
Gleich sind sie da, alles wird gut, alles kommt wieder in Ordnung, dir wird nichts passieren, redete ich in Gedanken auf ihn ein.
Du musst nur atmen, gib nicht auf, du schaffst das.
Als ich die Augen öffnete, blickte mich der andere Junge geradewegs an. Sein Gesichtsausdruck war grimmig und seine Augen schienen zu leuchten. "Was ist geschehen?", fragte er nocheinmal an mich gerichtet. Die Frage war nicht grob, aber direkt, sodass ich ohne überlegen antwortete. "Ich war auf der Suche nach einem Mülleimer, als ich jemanden röcheln und husten hörte. Ich bin hingegangen und habe versucht ihm zu helfen. Als er umgefallen ist, habe ich angefangen um Hilfe zu schrien und das solange, bis du kamst." Zitternd wartete ich auf seine Antwort, doch es kam nichts. Stattdessen näherte er sein Gesicht an das von Alex heran und als er sich wieder aufrichtete blickte er traurig drein. "Push-Drogen.", meinte er nur als Begründung an sich selbst. Wir warteten noch solange, bis der Krankenwagen kam. "Du solltest nach Hause gehen." "Nein ich bleibe.", ernst drückte ich Alex Hand. Er sah noch so Jung aus, vielleicht gerademal 14 oder 15 Jahre alt. "Wieso gehst du nicht einfach?", schnauzte mich der andere an. "Wieso sollte ich?", erwiederte ich gereizt. Ich wollte nicht gehen, ich fühlte mich verantwortlich.
Ich schaute erst auf, als der Krankenwagen vor uns hielt.
Ich schilderte einem Sanitäter nocheinmal was geschehen war und nach gefühlten zwei Stunden durfte ich gehen. Davor wurde uns versprochen, sie würden sich sofort melden, wenn Alex aufwachen würde. Ich ging zurück zum Parkplatz und auf dem Weg entdeckte ich mein Handy auf der Straße. Komisch, dachte ich, ich hätte es merken sollen, wenn es mir aus der Tasche fällt. Ich hob es auf und überprüfte, ob es noch heile war. Da dies der Fall war, schaltete ich es an und sah eine neue Nachricht aufblinken. 'Ich gehe davon aus, dass du dich verquatscht hast mit deinen Freunden und die Zeit dabei vergessen hast. Ich weiß, dass hast du nicht mit Absicht gemacht. Trotzdem bin ich schonmal nach Hause gefahren, falls irgendetwas sein sollte, hole ich dich ab, aber versuch dich bringen zu lassen!', schrieb Charly. Na toll. Ich war draußen, es war kalt, bald fing es an zu regnen und ich war müde.
Besser hätte es doch gar nicht laufen können.
Seufzend machte ich mich zu Fuß auf den Weg nach Hause.
"Wo willst du hin?", fragte der Junge. Ich drehte mich zu ihm um und betrachtete ihn im Lampenschein.
Er hatte ein markantes Gesicht und er presste seinen Kiefer zusammen, wahrscheinlich war er sauer oder ähnliches, vielleicht angespannt.
Seine Körperhaltung hingegen wirkte locker. Die sonnengebräunte Haut und seine tiefschwarzen Haare gaben einen guten Kontrast zum weißen Trikot. Ich konnte seine Augenfarbe nicht richtig erkennen, aber da war etwas schwarzes, was unter dem Ärmel hervolugte, es erinnerte mich an ein Tattoo.
Wie dem auch sei, ich fand er sah ziemlich gut aus.
"Willst du mir auch mal antworten?", unterbrach er mein gestarre. Ich merkte wie sich meine Wangen rot färbten und senkte den Kopf. "Ich gehe nach Hause", sagte ich. "Wo wohnst du?" So eine direkte Frage hatte ich nicht erwartet. Er merkte mein zögern und seufzte. "Hier in der Nähe gibt es keine Wohnhäuser. Die meisten Schüler der Brown wohen in kleinen Wohnorten mindestens 3km entfernt. Die willst du doch nicht im Dunkeln alleine laufen. Also, wo wohnst du, ich nehme dich mit." Das klang für mich alles sehr erzwungen freundlich und ich wusste, dass er eigentlich gar nichts mit mir zu tun haben wollte. "Chiswick." Er stieße einen Pfiff durch die Zähne aus. "London Borough of Hounslow also. Da wolltest du aber eine ganz große Strecke zu Fuß gehen. Komm steig ein.", forderte er mich auf und hielt mir die Tür seines Wagens offen.
Zögernd stieg ich ein.
Ich kannte den Jungen nicht, geschweige denn, seinen Namen und trotzdem stieg ich zu ihm ins Auto. Jetzt konnte er mich überall hinbringen und ich konnte mich nicht wehren.
Er stieg selber ein und schlug die Autotür mit einem lauten Knallen zu. "Wie heißt du?" Wahrscheinlich hätte ich mich nie getraut ihn zu fragen, aber schließlich saß ich in seinem Wagen. Ich nahm wahr, dass er sich wieder verspannte.
"Warum willst du das wissen? Ist doch egal, oder?" "Ich möchte wissen wie dein Name ist, weil ich in deinem Auto sitze." Er lachte leise in sich hinein. "Du hast Recht", sagte er, "Du sitzt in meinem Wagen, weil ich mich freundlicherweise und nicht ganz freiwillig, bereiterklärt habe, dich nicht 31 Kilometer alleine laufen zu lassen. Wenn du willst, kannst du auch wieder aussteigen, ich halte dich nicht fest, ich habe dir nur ein nettes Angebot gemacht." Das war nicht die Antwort, die ich erwartet hatte. Ich schluckte einmal hart und drehte mich wieder weg von ihm und schaute auf meine Füße. "Nein, schon gut", flüsterte ich. In meinem inneren jedoch, war ich ich sauer. Was bildet er sich ein, wer er ist? Ja er sieht gut aus, aber das gibt ihm noch lange nicht das Recht, so mit mir umzugehen und würden das nicht gerade 31 Kilometer sein, würde ich lieber laufen, als mit ihm noch eine Sekunde länger zu verbringen.
Trotz allem zwang ich mich ruhig zu bleiben.
Alles wird gut.
Das ich mir das alles selber einredete machte die Lage nicht besser. Also nahm ich mich zusammen, schnallte mich an und lehnte mich nach hinten. Ich lockerte meine Hände, die ich zu Fäusten geballt hatte und legte diese in meinen Schoß.
Der Junge drehte den Schlüssel um und startete den Motor.
Das Brummen half mir dabei, mich ein wenig mehr zu beruhigen.
Er legte den ersten Gang ein um auszuparken und wechselte geschickt in den zweiten. Dann drückte er auf das Gaspedal.
Wir fuhren los.

Lost SoulsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt