Kapitel 6

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POV Mira

Ich wachte auf. Es war 9 Uhr morgens. Diese Nacht träumte ich nur von damaligen Erlebnissen mit Jenny. Die Träume waren wunderschön und fühlten sich so real an, so, als hätte ich alles nochmal erlebt. Alle Erlebnisse von Kind auf bis vor kurzem. Alles in einem wilden Traum zusammengewürfelt. Doch leider trennten mich und meine beste Freundin mehrere Tausend Kilometer. Ich konnte nicht einfach zu ihr rüber laufen. Nicht mal soeben irgendein Abenteuer erleben. Nein. Und das alles wegen meinen Eltern. Ich merkte bei den Gedanken an Jenny nicht, wie mir ein paar Tränen die Wange hinunter liefen. Es war so, als wäre ich in einer Parallelwelt gewesen. Bei Jenny. 

Als ich wieder in der Realität angekommen war, schlug ich meine Bettdecke beiseite und setzte mich auf. Mein Blick schweifte durch mein Zimmer. Durch Erinnerungen. Mein Kopf blieb stehen. Mein Blick starr auf die Bilder an meiner Wand gerichtet. Auf vielen von ihnen waren Jenny und ich zu sehen. Viele schöne Augenblicke, die wir mit einem Bild festgehalten hatten. Unsere Ausflüge quer durch das Bundesland, unsere Übernachtungspartys, Geburtstage, Silvester ... Während ich in Erinnerungen schweifte, liefen mir immer mehr Tränen die Wangen hinab, bis ich bei dem letzten Bild angekommen war. Ein Bild, wo wir uns umarmten. 

Plötzlich schossen alle Emotionen, die ich die letzten Tage unterdrückt hatte, hoch. Ich fing bitterlich an zu weinen und Wut stieg in mir auf. Die Wut, die ich auf meine Eltern hatte. Ich wollte hier nicht mehr sein. Ich wollte einfach nur hier raus. Raus aus meinem neuen Leben, zurück zu Jenny. Ohne nachzudenken zog ich mich schnell um, packte ein paar Sachen in eine kleine Tasche und schlich unbemerkt aus dem Haus hinaus. Ich kannte mich hier nicht wirklich aus, weshalb ich einfach los rannte. Während dem Rennen weinte ich bitterlich, was nicht gut war, denn dadurch hatte ich so gut wie keine Ausdauer und konnte kaum atmen. Aber ich wollte es so. Ich wollte so schnell wie möglich weg von hier. 

Nachdem ich 10 Minuten nur gerannt war, gab' ich es auf. Ich konnte nicht den ganzen Weg zum Flughafen laufen. Also rief ich mir ein Taxi. Während ich wartete, setzte ich mich an den Straßenrand auf einen Bordstein und versuchte aufzuhören zu weinen und meine Tränen wegzuwischen. Glücklicherweise gelang es mir rechtzeitig, bevor das Taxi kam. Ich stieg in das Taxi und sagte dem Fahrer, dass ich zum Flughafen wollte. Wir fuhren 20 Minuten, bis wir endlich ankamen. Ich bedankte mich und gab' dem Taxifahrer das Geld. Das war gar nicht so billig. Aber billiger als in Deutschland. Ich stieg aus dem Taxi und sah mich ein wenig um. Es bildete sich wieder ein dicker Kloß in meinem Hals. Ich versuchte meine Tränen zu unterdrücken, aber ich schaffte es nicht. Meine Gefühle überkamen mich und wieder liefen mir duzende Tränen aus meinen inzwischen roten Augen hinaus. Meine Beine begannen wieder automatisch schneller zu werden, bis ich wieder rannte. Ich wusste zwar nicht genau, wo ich hin musste und ob überhaupt ein Flug nach Berlin ging, aber irgendwas in mir leitete mich und ich hatte das Gefühl, dass es der richtige Weg war. Plötzlich knallte ich gegen irgendwas, oder besser gesagt, gegen irgendjemanden. Ich schaute kurz hoch. "Sorry.", flüsterte ich kaum hörbar. Sofort senkte ich wieder meinen Blick und rannte weiter. "Heeeey waarte!", rief mir eine tiefe Stimme, wahrscheinlich von der Person, gegen die ich gerannt war, hinterher. Doch ich wollte nicht stehen bleiben. Warum auch? Ich kenne diesen Typ nicht, und wusste auch nicht, warum ich jetzt stehen bleiben sollte. Ich hörte noch, wie er mich verfolgte, aber irgendwann ließ er von mir ab. Ich rannte solang' weiter, bis ich an einer Infotheke ankam. Kurz wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und stellte mich in die Schlange. Nach ein paar Minuten warten, war ich endlich an der Reihe. "Hallo, ich möchte gerne einen Flug nach Berlin buchen.", sagte ich eilig. Zum Glück konnten die Mitarbeiter an Flughäfen immer alle möglichen Sprachen, sodass die Frau an der Theke mich verstand. Sie begrüßte mich, tippte kurz etwas in den Computer vor ihr ein und meinte dann: "In einer Stunde hätten wir einen, ist ihnen das Recht?" "Ja! Umso früher umso besser! Den nehm' ich!", schrie ich schon fast. Wieder tippte sie kurz etwas in den Computer. "Erste oder Zweite Klasse?", fragte sie. Ich überlegte kurz und beschloss dann in der zweiten Klasse zu fliegen, auch wenn es ein langer Flug war. Die erste Klasse war einfach viel zu teuer. "Das macht dann 554$.", sagte die Frau freundlich. Ich holte meine Handtasche hervor und wühlte nach meinem Portmonnaie. Nach gefühlten Ewigkeiten hatte ich es immer noch nicht gefunden und war schon halb verzweifelt als ich ein Loch an der Unterseite meiner Tasche entdeckte. Die beschissene Naht war aufgegangen! Was sollte ich denn jetzt machen?! Ich schaute mich verzweifelt um, um vielleicht den Typen, in den ich vorhin rein gerannt war zu finden, vergebens. Mein Blick viel wieder auf die Frau, die mich nur mitleidig ansah. "Ich kann ihnen ein Taxi bestellen, falls ihnen das weiterhelfen sollte.", meinte sie lächelnd. "Ich hab aber gar kein Geld für ein Taxi.", sagte ich nun komplett verzweifelt. "Ist schon gut, sie können das Geld einfach im Nachhinein überweisen, wenn sie alles geregelt haben.", entgegnete sie. Ich nahm dankend das Angebot an und verabschiedete mich von der jungen Frau. Sie hatte mir einen Zettel für den Taxifahrer mitgegeben, damit er bescheid wusste. Ich beschloss noch ein wenig Ausschau nach meinem Portmonnaie oder dem Typ zu halten und Mitarbeiter zu fragen, ob irgendjemand ein Portmonnaie abgegeben hatte. Aber ich fand nichts. Kein Portmonnaie, keinen Typ und nicht den geringsten Hinweis, wo es sein könnte. Also beschloss ich mich auf den Weg zu einem Taxi zu machen und wieder "nach Hause" zu fahren. Wie sollte ich das bloß meinen Eltern erklären? Die würden mich sicherlich umbringen! 

Als das Taxi vor der Villa hielt, entdeckte ich schon meine Eltern, die vor der Haustür warteten. Oh je, das war mein Todesurteil. Direkt nachdem ich ausstieg, liefen sie mir entgegen und umarmten mich. "Wo warst du? Und warum hast du und nicht bescheid gesagt? Bitte mach sowas nie wieder, wir haben uns solche Sorgen gemacht!", meinte meine Mutter besorgt. Ich war leicht überrascht, dass sie anscheinend beide nicht wütend waren. Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Eher das genaue Gegenteil. Aber so wie ich meine Eltern kannte, waren sie immer für Überraschungen gut. Auch wenn sie nicht immer positiv waren. "Ich wollte zu Jenny, ich halt' das nicht mehr aus ohne sie! Ich hab hier niemanden. Ich will wieder zurück." Meine Stimme stockte und mir kamen bei den Worten ein paar Tränen. "Als ich mir ein Flugticket kaufen wollte, habe ich dann bemerkt, dass mein Portmonnaie weg ist." 

"Oh je Schätzchen, hattest du Bargeld dadrin?", fragte mich meine Mutter, immer noch kein bisschen wütend. "Nur so 100 Dollar.", meinte ich schluchzend. "Ich werde schnell deine Karte sperren lassen, damit niemand an dein Konto kommt.", rief mein Vater, während er zur Tür lief. "Alles wird gut Schätzchen, alles wird gut.", flüsterte meine Mutter, während sie mich feste mit ihren Armen umklammerte. Ich konnte nichts sagen. Alles was ich konnte war weinen. Bitterlich weinen, bei dem Gedanken daran, dass mein Versuch gescheitert war.

Der Typ von Nebenan | Reyst FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt