Kapitel 3

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Ich blinzelte gegen das helle Licht im Zimmer und erblickte Chris, der an meiner Bettkante saß und mir über meine noch nassen Haare strich. Ich war schweißgebadet und zitterte am ganzen Körper.

"Ist alles okay? Es war nur ein Traum, alles ist in Ordnung!" Seine sanften Worte beruhigten mich etwas.

Langsam setzte ich mich auf und er nahm meinen schwachen Körper in seine starken Arme. Ich atmete den Geruch von Pfefferminz und seinem Aftershave ein und schloss die Augen. Obwohl wir nie getrennt waren, hatte sich unsere Beziehung so stark verändert. Wir haben uns sehr von einander entfernt, waren nicht mehr wie Geschwister. Und all das war meine Schuld. Wieder stiegen mir diese verdammten Tränen in die Augen und ich kniff sie fest zu. Ein Schluchzen entwich mir und er drückte mich fester an sich.

"Ich vermisse Dad auch, PP. Ich vermisse ihn auch." Sein Kopf war in meinem Hals vergraben und ich spürte seine heißen Tränen meinen Nacken herunter laufen. 

Ich habe Chris nur 2 mal weinen sehen. Bei der Beerdigung von unserem Dad und als ich das erste Mal high und besoffen nach Hause gekommen bin. Er ist der gutmütigste Mensch den ich kannte, aber seit dem Tod unseres Vaters hat er sich verschlossen und sein Lächeln schien erfroren. Seine großen blauen Augen haben ihren Glanz verloren und waren stattdessen voller Traurigkeit und Schmerz.
Ich schlang meine Arme um ihn und wog hin und her.

Nach einer gefühlten Ewigkeit löste Chris sich aus meiner Umarmung, sah mich mit seinen wunderschönen, jedoch rot geränderten Augen an und seine Mundwinkel bebten.

"Ich hab dich lieb", flüsterte er und küsste meine Stirn.

"Ich dich auch", gab ich zurück und lächelte.

Gerade als er aufstehen wollte fiel sein Blick auf meinen Arm und das Tshirt, welches inzwischen dunkelrote Flecken hatte. Fuck. Schnell schob ich den Arm unter die Decke, aber Chris zog ihn wieder hervor und starrte mich an. Dann wickelte er das Tshirt vorsichtig vom Arm und ich zuckte zusammen vor Schmerz. Die Schnitte waren getrocknet und es hatten sich Krusten gebildet.
Ich sah wie Chris erneut die Tränen in die Augen stiegen während er meinen ramponierten, von Trauer gezeichneten Arm betrachtete.

"Scheiße, Paige", wimmerte er fast und schaut mich an. "Ich dachte, damit hattest du aufgehört! Auf deinem Arm sind 14 Schnitte, verdammt. Es waren 5 als du mir versprochen hast, sowas nie wieder zu tun." Ich konnte mich nur mühsam beherrschen. Jedes Mal ist es die selbe, beschissene Leier. Wieso konnte sich denn niemand aus meinem beschissenen Leben raushalten? Meine Augen verengten sich zu Schlitzen und ich zog meinen Arm weg.

"Geh.", sagte ich kalt und konnte förmlich hören, wie sein Herz brach.

"Paige", flüsterte er so leise, dass sich fast nur seine Lippen bewegten.

"Geh einfach, ich muss mich fertig machen", entgegnete ich mit einem Blick auf die Uhr. 20:03.

"Wo willst du hin?", fragte er, fast ein wenig erstaunt.

"Brook holt mich ab, wir gehen feiern." Ich hielt seinem entsetzten Blick stand, auch wenn es mir das Herz zerriss.

"Scheiße, du kriegst wohl nie genug", giftete er mich an und ich zuckte zusammen, biss mir auf die Lippen und stand auf.

"Es wird nicht so spät heute, aber wartet nicht auf mich. Bitte. Sag Mum Bescheid das ich gleich weg bin, okay?", sagte ich geistesabwesend und suchte mir Klamotten aus meinem Schrank. Chris, der immer noch auf meiner Bettkante saß, schüttelte den Kopf und fuhr sich mit den Fingern durch sein dichtes, dunkelblondes Haar.

"Wo willst du hin? Ich werde dich abholen, egal wann.", sagte er entschlossen und ich war zwiegespalten, ob ich ihm dankbar und sauer über seinen Kontrollzwang sein sollte.

"Weiß ich noch nicht, ich schreib es dir, okay? Und jetzt geh bitte raus, ich muss mich umziehen"

Er nickte, ging aus dem Zimmer und verschloss leise die Tür hinter mir. Ich atmete auf, zog meine Jogging Sachen aus und schlüpfte in schwarze skinny Jeans und ein Bandshirt von Guns&Roses.  
Meine blonden Haare föhnte ich trocken und lies meine von Natur aus leichten Wellen offen über meine Schultern hängen. Nach langem hin und her entschied ich mich für ein wenig Rouge und Eyeliner, Mascara und dann doch noch für Concealer, der meine tiefen Ringe unter den Augen halbwegs verdeckte. Als ich wieder in den Spiegel sah, war ich ein anderer Mensch.

Ich war schon immer ein natürlich Typ, ein Tomboy wie er im Buche steht. Mich interessierten Barbies und Schminke einfach nicht. Als ich älter wurde, wurde ich durch Gruppenzwang letztendlich doch zu Make-up verleitet, habe es aber immer dezent und natürlich gehalten. Ich hatte damals eine wunderbar weibliche Figur, war wohl proportioniert und zog die Männer damit regelrecht an. Seit dem Tod meines Vaters habe ich fast 10 Kilo abgenommen und war inzwischen ein Schatten meiner selbst. Meine langen Haare habe ich behalten, mein frisches, aufgewecktes, strahlendes Gesicht, jedoch irgendwann verloren.

Ich putzte mir Zähne und zog mir meine schwarzen Converse an, nahm meine schwarze Lederjacke und lief die Treppe herunter. Mum war arbeiten und Chris saß in Jeans und oberkörperfrei auf dem Küchentisch und telefonierte. Mein Blick fiel auf das riesige Tattoo auf seiner Brust, das einen brüllenden Löwen darstellte. Ich hatte noch nie ein Tattoo gesehen, das so zu einem Menschen passte. Es war mächtig, angsteinflößend und wunderschön.

"Hör zu Shannon, ich hab auf diesen Mist keinen Bock mehr. Das geht mir so auf den Sack, du tu... Fuck nein, ich... Shannon? Hallo? Verdammte scheiße", knurrte er und schmiss sein Handy auf den Tisch. Es schlitterte jedoch weiter und landete mit einem lauten Krachen auf dem Boden. Auf dem Display prangte ein großer Riss und die Wut stand Chris ins Gesicht geschrieben.

"Alles okay?", fragte ich zögerlich, während ich mir eine Zigarette anstecke. Ich habe Rauchen immer gehasst tat es auch eigentlich immer noch, aber seit Dad tot war habe ich dummerweise damit angefangen und es ist zur Gewohnheit geworden.

"Ja, alles in Ordnung. Denk dran mir zu schreiben! Es gnade dir Gott, wenn du es vergisst.", sagte er und seine Tonlage war gefährlich tief.

"Bis dann", sagte ich schnell und küsste ihn auf die Wange. Er drehte sich weg und hustete demonstrativ.

"Hör mit dem bescheuerten Gequarze auf, dann darfst du mich auch wieder küssen.", lächelte er und ich machte mich augenrollend auf den Weg nach draußen.

TOO DEAD TO DIEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt