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Samiras Todesfeier war gleich eine Woche danach.

Jeder hier im Dorf kannte Samira seit er denken konnte. Man konnte durch die Reihen gehen, jedem in das Gesicht sehen und sich sicher sein, ihm hatte Samira Geschichten Erzählt, sie hat sie getröstet, als ihr Freund sie verlassen hat, die beiden haben bei ihr etwas zu essen bekommen. Die Gute Seele des Dorfes. Wer würde diesem Posten gerecht werden können?

Sogar Großvater war gekommen. Sie waren gute Freunde gewesen. Schließlich begann eine Frau mittleren Alters zu summen. Eine Melodie, leicht, luftig, beruhigend. Ein Gute Nacht Lied. Samiras Gute Nacht Lied. An den Text konnte sich wohl kaum einer Erinnern, doch diese einzigartige Melodie prägte sich für immer in die Köpfe jener, denen es schon gesungen worden war.

Die Tränen flossen nur so, jeder hatte sein bestes Gewand angelegt, um ihr ein letztes Mal die Ehre zu erweisen. Youssuf zupfte an seinem Hemdärmel herum und schaute auf einen undefinierbaren Punkt ins Leere. Miral stand in Vaters alten Hosen mit schiefer Bügelfalte neben ihm und putzte sich ununterbrochen die Nase. Vali war alles zu viel, sie lag in zerknitterter blauen Bluse auf Cosimas Schoß, nestelte an ihren Zöpfen herum und weinte. Und Cosima? Sie fühlte sich so falsch hiet, zwischen den ganzen trauernden Leuten in ordentlicher Kleidung. Wären sie so bei Samira aufgetaucht um zu plaudern oder etwas wichtigem, hätte sie erst einmal an der Kleidung gezogen und gefragt:"So bequem wie eine Plastikröhre oder schlimmer? Mein Kind zieh dich doch um." So hätte ihr das nicht gefallen.

Tränen rannen aus Iomas Nusbraunen Augen. Sie hatte ihre halbe Kindheit bei Samira verbracht, doch schmerzte es sie noch mehr, ihre vier restlichen Kinder so leiden zu sehen. Jeder einzelne Knochen trat hervor. Youssufs Hose hing so locker um seine dünnen Beine, als würde er sie gleich verlieren. In Valis eingerollter Haltung auf Cosis Schoß konnte man alle Rippen zählen und das Schulterblatt stach sehr weit heraus. Cosimas Haare warrn dünn geworden, ebenso wie sie selbst. Am Hals sah man deutlich die blauen Adern hervor treten. Seit ihr kleiner Yoshi gestorben war, litten sie alle so. Könnte sie nur etwas für sie tun.

Auf dem liebevoll dekoriertem Grab türmten sich dutzende Kerzen. Es waren genug Tränen vergossen worden und Normalität trat wieder ein.

In drei Wochen war es soweit, dann würde sie ihn nie wieder sehen. Warum hatte sie ihn nie vorher angesprochen? Ivy nahm all ihren Mut zusammen und trat hinter dem Baum hervor, wo sie schon eine Weile wartete. Ihr Herz klopfte gegen ihre Rippen, als wolle es zerspringen. Da stand er, im Licht einer der wenigen Straßenlaternen.

Nervös drehte Ivy eine Strähne ihrer langen blonden Locken, die sie ihren Einwanderer Großeltern verdankte.

Sein Profil zeichnete sich deutlich ab im gelblichen Licht der Laterne, Atef. Wie lange liebte sie ihn schon? Also wirklich? Ohne je auch nur einen Gedanken an euben Anderen zu verschwenden? Genau konnte Ivy das nicht mehr sagen, doch einige Jahre kamen schon zusammen. Als sie jünger waren, hatten sie sich einmal angefreundet, doch sie war dann für ein Jahr in England gewesen, bei ihren "Wurzeln" wie ihre Oma es nannte. Als sie wiederkam, schien er einfach durch sie hindurch zu sehen. Sie liebte es, ihn anzusehen. In seinem Gesicht spiegelte sich geradezu sein gutmütiges Wesen, dass sie immer geschätzt hatte. Auch sein Aussehen imponierte ihr. Die gerade Nase harmonierte perfekt mit den scharfen Wangenknochen und dem langen Kinn. Die Stirn wurde von schwarzen Strähnen umrahmt. Wie sehr er erwachsen geworden war, nichts mehr war von dem kleinen Jungen mit dem etwas rundlichen Gesicht und den Zahnlücken geblieben.

Zögernd ging Ivy auf ihn zu. Jeder Schritt schien Tonnen zu wiegen und Stunden zu dauern. Ein Schritt noch."Hey." Fast Flüsternd gab Ivy die wohl unkreativste Begrüßung ihres Sprachgebrauchs von sich.

"Hey Ivy" Eine Simple Antwort ohne besondere Informationen, doch war es schön, wie er ihren Namen aussprach. Weich und locker, nicht streng wie ihr Vatet, nicht melodisch wie ihre Mutter. "Wie gehts?" Ivy schüttelte den Kopf. Sie war ganz in Gedanken versunken. "Gut. Dir?" Falsche Frage, toll gemacht Ivy dachte sie noch während sie es aussprach. Atef lachte Bitter doch gleichzeitig rollte eine kleine Träne aus seinem rechten Augenwinkel. Zögerlich nahm Ivy seine Hand und sagte:"Ich weiß." Nicht dass er etwas gesagt hätte, doch sie wusste nun einmal, was die Antwort wäre. "Atef?", begann sie,"darf ich dich etwas persönliches Fragen?"

"Klar?", antwortete Atef mit deutlichem fragendem Unterton. "Wen,... Wen liebst du eigentlich?", Ivys Stimme zitterte,"Also so richtig, meine ich?" Atef überlegte:" Mama, Omama, Cosima,..." Ivy zuckte zusammen. "...Sie ist wie neine Schwester. Warum fragst du?" Ivy zögerte und hauchte schließlich:"Ich liebe... dich." Das letzte Wort war fast nicht mehr zu hören, doch hing es zwischen ihnen in der Luft wie dicker Rauch. Glasig sah sie Atef an, seine braunen Augen, seine scharfen Gesichtszüge und die schmalen Lippen. "Ich weiß", wisperte er zurück. Ich weiß. Was sollte sie sagen? Wie ein Schleier, der sie am sprechen hinderte legten sich diese zwei Worte über ihre Zunge. Ivy fühlte sich seltsam Taub. Minutenlang starrten sie sich gegenseitig in die Augen. Blau auf Braun. Ein lauer Wind zog auf und verwehte ihre Haare miteinander. Blond auf Schwarz. Atef atmete einmal tief ein und aus, drehte sich um und ging. Dabei striff er Ivys Hand. Zufall? Absicht?

"Es war falsch. So falsch. Was hätt' ich den machen sollen, es war so falsch", murmelte Atef auf dem Weg nach Hause vor sich hin. Er hatte noch vorsichtig ihre Hand berührt, denn er mochte sie. Sehr sogar. Diese hellen Haare und Augen hatten ihm schon immer gefallen. Es war so, ungewöhnlich. Auch ihr Wesen war hell und freundlich. Aber das schlimme war doch, dass er besser keinen Kontakt mit niemandem knüpfte. Es war ein Spiel mit der Zeit. Drei Wochen, 20 Tage, ein dreiviertel Monat, wie man es auch drehte, es war zu kurz. Zu kurz um irgendwen lieben zu lernen. Bei seiner Familie war es schon zu spät. Ebenso bei Cosi. Blieb nur zu hoffen, dass sie sein Verlust nicht in ein Loch riss. Liebe war gefährlich. Atef kickte mit seinem nackten Fuß einige Steine vor ihm her. Aber liebte er Ivy nicht schon? Mit ihrem englischem Akzent, dem breiten Lächeln und den blonden Locken, die im Wind wehten? "Nein. Nein. Nein. Nein!" Atef redete es sich fest ein und doch klang es so falsch.

Neben ihm knirschte der Kies. "Doch", antwortete Cosi auf sein "Nein". Sie musste es mit angesehen haben. "Doch, Atef. Nicht leugnen, hinnehmen", sagte sie leise, den Blick nach vorne gerichtet.

Nun, vielleicht liebte er sie doch. Ein Mensch mehr, den er vermissen würde, eine Person mehr, die vielleicht um ihn weinen würde.

Ivy. Ivy und Atef.





Tut mir leid, mein Kreativitätslevel befindet sich zur Zeit auf dem absoluten Tiefpunkt. Ich hoffe, die nächsten Kapitel einfallsreicher gestalten zu können.
Bis bald, Bine

Drei ist mehr als nichtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt