4.

11 2 0
                                    

Ein weiterer Schicksalsschlag. Zur Freude Der ganzen Familie konnte Cosima noch am selben Abend nach Hause gehen, das heißt rollen. Von diesem Tag an, waren Prothesen unbrauchbar. Beide Beine mussten ab, die Verletzungen im Rücken waren zu schwerwiegend. Das Rückenmark war an mehreren Stellen vollständig durchtrennt. Sie war Querschnittsgelähmt.

Ihre Mutter brach zusammen, als sie ihre starke Tochter, die schon so viel überstanden hatte, so in ihrem Rollstuhl übers Feld komen sah, Atef direkt neben ihr. Wie ein Schutzengel sah er aus. Für Cosima war er schon immer wie ein Zwillingsbruder. Hätte sein Vater die Grippe und seine Mutter den Novo-virus nicht überlebt, sie hätten ihn aufgenommen. Oft wurden den Beiden Sprüche wie: verliebt, verlobt, VERHEIRATET!!! hinterhergeschrien, aber da war etwas viel tieferes und bedeutenderes als Liebe, Bruderliebe. So bedingungslos lieben sich normalerweiße nur Geschwister.

"Cosi?", fragte Atef. "Hm?"

"Kommst du in einer Stunde hinter meine Hütte?  Ich lass deiner Familie ein bisschen Zeit mit dir, ok?" fuhr er dann fort. "Du bist auch ein Teil meiner Familie, Atef. Aber du hast Recht. Sicher muss ich jetzt alle Kleinen auf den Arm nehmen, ihnen sagen, dass es mir gut geht und mit Mommy, Opa, Youssuf und Miral reden," antwortete Cosima. Beim Namen Miral zuckte Atef zusammen. Würde er ihr von der Musterung erzählen? Aber, wiso sollte er? Er war ja ungeeignet. Sicher würde er sie damit nicht belasten. Die schreckliche Nachricht vom Kriegsdienst in drei Monaten musste er ihr schon selbst sagen. Davor hatte Atef wirklich Angst.

"Den ganzen Tag wirkt er schon so bedrückt! Liegt das an mir, oder...?", Cosima saß neben Miral auf der Mauer und redete auf ihn ein. "Ich glaube, das wird er dir schon noch sagen. Aber jetzt genießt erst einmal seinen Geburtstag. Schieb die dummen Sorgen ganz nach hinten und hab Spaß", antwortete er mit einem Lächeln auf den Lippen. Cosima wendete sich ab um zu Atef zu rollen. Miral stand auf und schob sie hinüber. Augenblicklich verschwand das Lächeln und machte einem besorgten, fast traurigem Ausdruck platz.

Ein einziges Wort schlich sich in Mirals Gedanken:

                  Geeignet

Mittlerweile hatte Atef ein gemütliches Feuerchen entfacht und die beiden Freunde setzten sich einander gegenüber hin. Lachend aßen sie ein halbes Maisbrot und waren einfach nur albern, wie schon viel zu lange nicht mehr. Fast brach es Atef das Herz, diese Stimmung einfach zu zerbrechen wie einen Tonkrug, der dann in tausende von Splittern zerspringt. Aber er musste.

"Cosi?", fing er zaghaft an. Sie schaute zu ihm und setzte einen misstrauischen, wachsamen Blick auf. "Also, du weißt ja, dass wir Krieg haben, und dass nicht nur Erwachsene Männer in den Krieg geschickt werden, sondern auch Kindersoldaten," fuhr er fort. Bei dem Wort Kindersoldaten zuckte Cosi zusammen. Sicherlich ahnte sie es. 

"Geeignet?", fragte sie ängstlich und doch lag eine gewisse Stärke in ihrer Stimme. Erstaunlich, wie oft an ein einziges Wort an einem einzige Tag fallen, und was für eine tragende Rolle dieses Wort haben kann. Atef nickte. Ihm war zum Heulen zu mute.Ziemlich gefasst zog Cosima ein Messer hervor. "Miral?", fragte sie und schnitt sich in den Finger. Sie reichte sdas Messer an ihren Freund weiter. Dieser schüttelte den Kopf auf ihre Frage und schnitt sich ebenfalls. Dann hielten sie ihre blutenden Finger über dem Feuer aneinander. "Niemals", flüsterten die beiden. "Wann?", fragte Cosi. Die Antwort kam etwas verzögert:"drei Monate". Atef hauchte die Worte nur, doch es reichte aus, um den Tonkrug zersplittern zu lassen: Cosima weinte. Die starke Cosima, die mit angesehen hatte, wie ihr leiblicher Vater von Terroristen erschossen wurde, die hilflos mit angesehen hatte, wie ihre  Großmutter verschleppt wurde und all dies verkraften konnte. Über ihre Beine war sie auch hinweg gekommen, aber jetzt wurde sie von Schluchzern geschüttelt. Atef wurde erst jetzt klar, wiso: Er, ihr Blutsbruder und bester Freund hatte eigenhändig sein Todesurteil unterschreiben müssen.

Youssuf verletzt, Miral ungeeignet, man könnte meinen, die Familie wäre komplett. So war es aber nicht. In Cosimas Familie war immer Platz für Atef gewesen. Er war immer ein Puzzleteil eines Ganzen für sie. Nur mit ihm war ihre kleine Welt komplett. Atef schloss das weinende Mädchen neben sich in die Arme und seufzte.

               Drei Monate

Drei ist mehr als nichtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt