Kapitel 4

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Finn

Vorsichtig hob ich Nora auf und versuchte die stetigen Bluttropfen zu ignorieren. Rose war schon abgereist, also versuchte ich mich krampfhaft an den Erste-Hilfe Kurs zu erinnern. Als ich am Haus ankam, legte ich sie auf mein Bett und suchte im Badezimmer nach Verbänden und Salben. Ich drehte sie vorsichtig auf die Seite und untersuchte ihren Kopf. In der Wunde steckten ein paar Steinsplitter, die ich herausziehen musste. Ich vergewisserte mich, dass sie auch wirklich ohnmächtig war und dann zog ich einen Splitter heraus. Sie gab ein leises Stöhnen von sich und ich hasste mich dafür. Nachdem alle Splitter draußen waren, säuberte ich die Wunde und verrieb Salbe auf ihr. Ich bemerkte mit großer Sorge, dass diese Wunde genäht werden musste. In dem Verbandkasten waren ein paar Leucostrips. Ich befestigte sie an der Wunde, räumte dann alles fort, deckte Nora vorsichtig zu und lief nach unten. Ich wählte die Nummer des Arztes vom Festland und sagte ihm, er solle so schnell wie möglich kommen. Nachdem ich aufgelegt hatte, lief ich rastlos in der Wohnung herum und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, wie es um Nora stand. Würde sie wieder aufwachen? Hatte sie selbst jetzt noch Schmerzen? Ob sie wohl Erinnerungen verloren hatte? Ich beschloss einen Tee gegen ihre Schmerzen zu zubereiten. Ich ging noch einmal in mein Zimmer und schrieb einen Zettel, falls sie aufwachen sollte.

Liebe Nora,

mach dir keine Sorgen.

Ich bin nur kurz in den Wald, Kräuter sammeln.

Bitte bleib ruhig liegen und bleib im Haus.

Lauf auch bitte nicht weg. Ich möchte noch mit dir über alles reden.

Dein Finn

Ich schnappte mir ein Kräuterbuch aus dem Bücherregal und nahm eine Tasche und ein Messer mit. Zum zweiten Mal an diesem Tag ging ich Richtung Wald. Ich suchte ein paar Weidenrindenstücke und sammelte eine Handvoll Brennnesselkraut. Zurück am Haus schaute ich zuerst bei Nora vorbei. Sie schlief noch tief und fest. Ich ging in die Küche und kochte das Brennnesselkraut und die Weidenrinde auf. Damit ich mir nicht wieder Sorgen machte, schnappte ich mir ein Buch und fing an zu lesen. Nachdem der Tee fertig war, goss ich ihn in eine Thermoskanne und ging hinauf zu Nora. Sie schlief noch immer. Vorsichtig setzte ich mich neben sie und stellte den Tee auf dem Nachttisch ab. Ein paar Strähnen waren ihr ins Gesicht gefallen und ich strich sie langsam weg. Ich merkte erst jetzt, wie sehr ich mir Sorgen um sie gemacht hatte. Sie war einfach verschwunden. Ich versprach mir innerlich, dass ich sie immer beschützen wollte. Ich würde sie auf ewig beschützen und für sie sorgen. Ich saß zwei weitere Stunden an ihrem Bett und wartete darauf, dass sie aufwachte. Als die Sonne untergegangen war, holte ich eine Matratze von dem Dachboden und legte sie neben das Bett. Ich zog mich um und deckte mich mit einer Wolldecke zu. Dann schaute ich Nora an. Der Mond schien ihr auf das Gesicht und sie sah überirdisch schön aus. Langsam schloss ich die Augen und schlief ein.

Am nächsten Morgen untersuchte ich nochmal Nora’s Wunde und stellte erleichtert fest, dass sie sich nicht entzündet hatte. Untersucht werden mussten sie trotzdem. Ich rief noch einmal den Arzt an, doch dieser sagte, er würde erst in zwei Tagen kommen können. Er gab mir Ratschläge, wie ich mich um die Wunde kümmern musste, damit es Nora nicht schlechter ging. Bevor ich in den Wald Kräuter sammeln ging, nahm ich mir aber noch meinen Zeichenblock aus der Küche mit. Zeichnen half mir immer beim Denken. Und darum, dass Nora aufwachte, versuchte ich mir auch keine Sorgen zu machen, denn der Zettel von mir lag wieder dort. Also ging ich los und versuchte alle Kräuter für den Tee zu finden. Vorsichtig trat ich auf die Stämme der Bäume und versuchte im Morgengrauen auf die Umgebung zu achten. Manchmal fielen hier Schlangen von den Bäumen oder man trat unglücklich in ein Loch und konnte sich dabei etwas brechen. Ich hoffte, dass würde mir nicht passieren. Ich könnte mich schwerer um sie kümmern. Nachdem ich genug Kräuter gesammelt hatte, packte ich das Buch in den Rucksack und fing an auf den Berg zu steigen. Nach einer halben Stunde kam ich auf einem Felsen an. Hier war mein Lieblingsplatz. Es war eine Art Höhle, deren zweite Öffnung in einer Klippe steil hinabfiel. Unten toste das Meer und schlug hart und gnadenlos gegen die Felswand. Abends, wenn die Sonne sich Richtung Meer bewegte, saß ich gerne hier und zeichnete oder spielte Gitarre. Nun war es Mittag, doch der Zauber dieser Schönheit war auch jetzt nicht verschwunden. Eine weiter halbe Stunde saß ich auf dem Rand des Felsens und zeichnete den Ausblick. Nach meinem dritten Versuch die Wolken gut wiederzugeben, bemerkte ich, wie lange ich schon hier saß und packte schnell, von Schuldgefühlen geplagt meine Sachen und begann den Abstieg. Als ich durch den Wald hetzte, kam ich an einer kleinen Wasserquelle vorbei, doch weit kam ich nicht. „Finn Arian Kensy! Komm sofort zu mir!“ Die Stimme ließ mich erstarren und alles andere vergessen. Langsam drehte ich mich zur Quelle um und war wie gebannt von dem Anblick. Vor mir schwebte eine Gestalt. Sie war durchscheinend, wie ein Geist und bestand offenbar aus tausenden funkelnden Wassertropfen. Sie hatte goldenes, langes Haar und besaß stechend blaue Augen. Sie war, verglichen mit den Menschennormen, eine Göttin. Ihr Haar wehte, wie von Wind berührt, um sie herum und umgab sie wie einen Schleier. Sie trug ein ebenso wallendes Gewand, aus dünner Seide. Erst jetzt bemerkte ich, dass ihre Hüfte in eine Schwanzflosse überging, mit der sie knapp über der Wasseroberfläche schwebte. „Finn, hör mir zu! Mein Name ist Xavina. Ich bin die erste Königin von Tanà. Vor ca. 3 Millionen Jahren endete mein Leben, doch ich wurde zur Hüterin des Meeresvolkes auserkoren. Deine Freundin Nora ist meine Ur-ur-ur Enkelin. Nora hat das Blut mächtiger Vorfahren in sich schlummern und nun wird es aktiviert werden. Die Kraft aktiviert sich nur, wenn man ich Lebensgefahr schwebt. Bitte, du musst ihr helfen. Wenn sie nicht versteht, was mit ihr vorgeht, dann kann sie ihre Kraft nicht kontrollieren und ein großes Unheil wird über uns alle kommen. Über Lebendige und Verstorbene. Du musst ihr zu verstehen geben, dass eine Uralte Macht in ihr geschlummert hat, die nun zum Vorschein kommt. Geh zu ihr und sage ihr: Die Geschichten der uralten Kriege sind war. Du bist die Heldin in dieser Welt. Deine Freunde werden dir helfen zu verstehen und du wirst dein Kräfte bändigen lernen, meine iníon. Beeile dich Finn. Ihre Kräfte werden von Sekunde zu Sekunde stärker und verlangen die Kontrolle. Du musst Nora nach Tanà bringen. Dort leben Personen, die ihr helfen können. Sie mögen keine Menschen, also sage ihnen, dass ich dich geschickt habe und dass sich die bösen Mächte wieder erheben. Versuch es mit aller Kraft, denn wenn du es nicht schaffst, übernehmen die Kräfte in Nora die Kontrolle und alle Menschen werden sterben. Ich belege dich mit einem Zauber, damit du unter Wasser atmen und schnell schwimmen kannst. Sozusagen ein Fischschwanz auf Zeit‘‘ Sie lachte. „Und wenn ich getötet werde, bevor Nora in Sicherheit ist?“ Sie verstummte. „Gegen deine Verwundbarkeit kann ich nur begrenzt etwas tun, also musst du selber für deine und ihre Sicherheit kümmern. Das schaffst du sicherlich. Nun halt still. Ich verzaubere dich.“ Sie schloss die Augen und faltete die Hände. Ihre leuchtende Aura sammelte sich an den Spitzen ihrer Finger und Wind bauschte sich in ihren Haaren. Innerhalb eines Augenblickes wurde alles still und das Licht verschwand. Mein Herz pochte vor Anspannung und ich wurde ganz nervös. Auf einmal öffnete Xavina ihre Augen und ich konnte die geballte Macht in ihnen sehen. Aus ihren Fingern kamen silberne Fäden auf mich zu und hüllten mich in einen wild pulsierenden Kokon. Ich hörte das Rauschen des Meeres, fühlte, wie mir die Brandung um die Beine strich und roch die salzige Briese. Das Licht um mich herum wurde so hell, dass ich die Augen schließen musste. Dann wurde ich von einer unsichtbaren Hand hochgehoben und das Licht wurde gleißend hell.

Hinter meinen Augenliedern merkte ich schließlich, wie das Licht schwächer wurde und schließlich erlosch. Ich öffnete die Augen vorsichtig, sah jedoch nicht an mir herunter. Ich hatte Angst vor dem, was mich erwarten könnte. „Ja, die Schwanzflosse hab ich wirklich gut hinbekommen“, hörte ich sie sagen. Erschrocken schaute ich  herab. Ich sah, zu meiner Erleichterung nichts, außer meinen Füßen. „Tut mir leid, aber du sahst aus, als ob du vor Schreck eingefroren wärst“, lachte sie. Tatsächlich stimmte ich nach einigen Augenblicken mit ein. „Wenn ich keine Schwanzflosse hab, woher weiß ich dann, dass der Zauber funktioniert hat?“ Sie hörte auf zu lachen und schaute mich verständnisvoll an. „Keine Sorge. Ich spüre, dass dein Geist nun von dem Rauschen des Meeres erfüllt ist. Geh nun  nach Hause! Nora braucht dein Hilfe!“ Sie lächelte und winkte ein letztes Mal, bevor sie sich in eine Nebelwolke auflöste. Ich rannte von dem Weiher und nährte mich vorsichtig meinem Haus. Es war tiefste Nacht und alle Lichter erloschen. Einen Moment glaubte ich, ein blaues Licht zu sehen. Vorsichtig öffnete ich meine Tür. Ich schaute mich in meinem Wohnzimmer um. Alles war an seinem Platz, jedoch schwebte im Raum eine Spur von blauem Staub. Sie führte von der Tür die Treppe hinauf. Ich ahnte, dass sie etwas mit Nora zu tun hatte und ging über die Treppe in ihr Zimmer. Die Tür war offen und auch in diesem Raum schwebte Staub, doch Nora war nicht dort. Die Decke war zurückgeschlagen und das die Schränke durchwühlt. Ich rannte hinaus und suchte die ganze Umgebung nach ihr ab, doch sie war verschwunden.

Königin des MeeresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt