II | Was sie war als ich sie traf.

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Als ich sie traf war sie ein Nichts, doch alles zugleich.

Ihre wirren Haare waren so lang wie ihre Seiten überdauerten Briefe und ihre Augen sahen aus wie schwarze Löcher, die voller Lebendigkeit trotzten. Die geschwungene Schrift mit der königsblauen Tinte auf dem bleichem Papier sah so traurig aus, doch ihre Worte machten daraus ein Kunstwerk. Sie schlief fast nie damit sie nicht von Albträumen geplagt war, die sie jede Nacht heimsuchten, und ihre Lippen hatten einen violetten Ton, der an den purpurfarbenen Himmel erinnerte.

Als ich sie traf war sie müde, doch voller Energie.

Sie saß auf einer Treppe zum Hafen und ich erkannte dieses Mädchen, diese junge Frau, dieses Etwas, dessen Zopf sich im Wind löste und ungemacht auf den Rücken fiel. Der Wind pfiff ihr Melodien ins Ohr und im Kopf schien es, als würde sie dazu Gedichte singen. Sie saß dort auf der Treppe, fror, schwitzte, hasste, liebte und malte das Wasser mit Farbe auf Papier. Ich erkannte, dass sie nicht nur Kunst schuf.

Sie.

Sie war Kunst.


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