Prolog

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Die Zeit fließt schnell. Möglicherweise war sie viel schneller als das Licht, so dachte ich früher. Man verliert viele Dinge, denn die Zeit nimmt sie uns weg. Kleine Dinge wie einen Bleistift oder größere wie die Liebe. Doch der schlimmste Verlust, den niemand entkommt, ist die Zeit selbst. Vielleicht, dachte ich, sollte ich die Erinnerung festhalten, damit sie nichts klauen kann - nicht einmal die Zeit, und so habe ich entschieden, sie weiter zu erzählen.

Obwohl ich sehr vergesslich sein kann, habe ich den größten Teil meines Lebens nicht vergessen. Wenn ich mich richtig erinnere, begann es vor 48 Jahren. Ich war knapp elf, aber doch schien es, als wäre das alles gestern passiert.

Das alte ich war damals noch ein ganz normales Schulmädchen. Ich trug eine schwarze Viereck-Brille vor meinen dunkelblauen Augen. Meine rabenschwarze Haare waren glatt und weich, aber meine Mutter flochte sie immer zu einem langen Pferdeschwanz. Um meine pickelige Stirn zu bedecken hatte ich einen undichten Pony. Kein besonderes Aussehen, kann man sagen. Meine Mutter war eine Englischlehrerin und mein Vater war ein unbekannter Astronom. Wir hatten ein ziemlich gutes Einkommen und wohnten in einem mittelgroßen Haus.

Ich redete nicht viel, dennoch habe ich mich im Unterricht oft gemeldet, weswegen ich auch eine gute Schüler war. Die meisten Lehrern mochten mich, jedoch beschimpften sie mich manchmal, weil ich zu langsam war. Ich war immer die Letzte, und alle mussten auf mich warten, was einer der lächerlichen Gründe war, warum die Jungen in der Schule mich ständig auslachten.

Ich hatte fast keine richtigen Freunde, denn ich war ein komischer Kauz.  Malen mochte ich zwar, aber nichtsdestotrotz war ich in mein Lieblingsfach die Schlechteste. Ich erinnere mich noch an den Kunstunterricht. Ich habe versucht, alles zu malen, was die Lehrerin von mir verlangte, doch egal wie sehr ich mich bemühte, am Ende sah man immer nur unverständliche Gekritzels auf dem Blatt. Die Lehrerin fand meine Werke ausdruckslos, was auch der Grund war, dass ich als Belohnung nur miese Noten bekam. Es war nicht fair. Ich habe zu Hause unzählige Blätter damit verschwendet, etwas Richtiges zu malen, aber ich konnte nur träumen, irgendwann mal Malerin zu werden. Einsamkeit und Traurigkeit suchten mich oft heim und der einzige Trost war meine Familie, die Natur und meine Lieblingsbücher. Es gab noch mehr Sachen an mir, die ich nicht verstand. Ich konnte unheimliche Sachen tun, die mich manchmal erschraken. Ich versuchte eine Erklärung zu finden, aber ich konnte einfach nicht verstehen, warum das alles passierte und welche Geheimnisse dahinter steckten. Nur eins war mir klar: Ich war nicht normal.

Abgesehen von merkwürdigen Kleinigkeiten schien mein Leben eigentlich ganz langweilig zu sein - bis eines Tages, als ich die Antworten für all meine Fragen erfuhr. Und seit dem Moment wusste ich, dass ich ein ganz anderes Schicksal hatte als die anderen...

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