Kapitel 1 - Quälgeist

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Hallo und herzlich willkommen bei dem wunderbaren vierten Teil von Collide. Macht euch bereit auf viel Familienkonflikte und lustige Momente.



Ein merkwürdiger Geruch steigt mir in die Nase. Was zum Teufel ist das? Das riecht widerlich. Eine Mischung aus ... Nein, ich sollte es lieber nicht näher beschreiben. Auf jeden Fall versaut es mir definitiv meinen Traum mit Zac Efron, der mit mir auf einem weißen Ross in den Sonnenuntergang geritten ist.

Widerwillig öffne ich die Augen und mir wird augenblicklich klar, wer für diesen derart unzumutbaren Gestank verantwortlich ist. Sunny. Sie hat die halbe Nacht rumgeblärt, bis Harry und ich es nicht mehr ausgehalten haben und sie mit zu uns ins Bett genommen haben. Jetzt liegt sie zappelnd zwischen uns und stänkert das komplette Schlafzimmer zu.

Ich sehe zu Harry. Er tut nur so, als würde er schlafen, das merke ich ganz genau. Dieses Spiel, wer als erster aufwacht, muss die Windeln wechseln, versucht er immer zu gewinnen, aber ich durchschaue ihn viel zu oft.

Wissend kneife ich die Augen zusammen. „Ich weiß ganz genau, dass du wach bist", flüstere ich, während Sunny ihre Füßchen gar nicht stillhalten kann.

Harry tut weiter so, als würde er schlafen, allerdings sind seine Augen viel zu angespannt zugekniffen, um zu wirklich zu schlafen.

„Tu nicht so. Steh jetzt auf, ansonsten bekommen wir diesen Geruch nie wieder aus den Wänden."

„Ich schlafe", murrt er.

„Nein, tust du nicht und jetzt steh auf. Du hast verloren."

Er öffnet widerspenstig die Augen und richtet sich auf. „Ich hasse dieses Spiel. Es ist unfair, wenn man bedenkt, dass du schläfst wie ein Stein."

Ich schmunzle, während er sich die breit grinsende Sunny auf den Arm legt und sich hochwuchtet.

Angeekelt verzieht er sein Gesicht, als er zur Tür geht. „Gott, Sunny, du stinkst echt widerlich."

Nachdem er aus der Tür verschwindet, sehe ich auf die Uhr. Gerade Mal halb sechs. Aber was bedeuten schon Uhrzeiten? Seitdem uns drei, na ja, nennen wir sie mal Geschenke, das Leben verkomplizieren, hat Schlaf keine Bedeutung mehr. Da ist halb sechs Morgen beinahe noch fast ausgeschlafen. Wenn man mal davon absieht, dass Sunny uns von eins bis drei Uhr wachgehalten hat. Warum auch immer.

Sie ist jetzt genau fünf Monate alt. Am 12. Mai 2027 hat sie das Licht der Welt erblickt. Ohne Probleme, ohne Hindernisse, sie kam einfach irgendwann kreischend auf die Welt. So würde es klingen, wenn die Geburt normal abgelaufen wäre. Ich lag geschlagene zweiundzwanzig Stunden in den Wehen und war kurz davor zu entscheiden, einen Kaiserschnitt durchzuführen, weil die Schmerzen grausam waren. Harry hat mit mir gelitten. Ich habe ihm die Hand gebrellt, weil ich sie wohl zu sehr gequetscht habe.

Er hätte aber auch nicht so einen Satz wie Stell dich nicht so an sagen dürfen. So etwas will eine Frau während ihren schlimmsten Stunden mit Sicherheit nicht hören. Am liebsten hätte ich ihm dafür einen Kick in seine Weichteile verpasst, allerdings hatte ich doch mehr damit zu kämpfen, endlich dieses kleine Mädchen aus meiner Gebärmutter zu pressen. Mal davon abgesehen, dass sie eine Frühgeburt war und Harry und mich absolut unerwartet bei einem schönen Dinner mit seinen Eltern überrascht hat. Mir war selten ein Moment unangenehm wie der, als ich spürte, wie mir plötzlich gefühlte tausend Liter das Bein runterrinnten und Harrys Schuhe durchnässten. Und die Schuhe von Robin. Und die von Anne.

Aber jetzt ist sie da, die kleine Sunny und erleuchtet uns. Eigentlich ist ihr richtiger Name Sienna, doch der Spitzname Sunny war ein Muss, weswegen sie für uns alle nur die kleine, plagende Sunny ist. Harry wollte sie unbedingt so nennen, an Gedenken für Tammy. Weil sie seine Sonne war und jetzt ist es nun mal Sunny, seine erste Tochter. Und er liebt sie, wie sonst keinen. Auch wenn sie wirklich ein Quälgeist ist, könnte ich mir keinen tolleren Vater für sie vorstellen, als Harry. Er sieht sie an, als wäre sie Magie und wahrscheinlich ist sie das auch, deswegen ist diese Konstellation perfekt.

Harry kommt wieder ins Zimmer, diesmal ohne Sunny. „Sie schläft", sagt er und legt sich noch total schlaftrunken wieder ins Bett. Ich mag es noch immer, wenn er nur Unterwäsche trägt, denn selbst mit einunddreißig ist er der attraktivste Mann auf Erden. Da er nicht von neun bis fünf arbeiten muss, sondern selbstständiger Schriftsteller ist, hat er viel Zeit. Manchmal zu viel, aber er nutzt sie wenigstens taktisch klug. Er geht trainieren, damit man ihm sein wahres Alter nicht ansieht, denn er will wohl für immer einundzwanzig bleiben. Allerdings wird er das auch immer bleiben, denn dieses grausame Schmetterlingstattoo auf seinem Bauch ist immer noch bestehend. Mit den Jahren sind noch einige dazugekommen. Zwar keine Schmetterlinge, zu meinem Glück, aber die Namen unserer Kinder. Sie stehen auf seinem Unterarm. Das sind wahrscheinlich die einzigen Tattoos, die er nicht bereut.

Als wir kurz davor sind, wieder einzuschlafen, ertönt plötzlich ein lautes Poltern vom Flur.

Wir seufzen gleichzeitig.

„Wenn wir still sind, denken sie vielleicht, dass wir schlafen und ruhig sein sollen", flüstert Harry.

Ich nicke und schließe die Augen, obwohl ich mir sicher bin, dass der Tag ab jetzt begonnen hat. Und meine Bestätigung kommt, als sich die Tür langsam öffnet.

Ein kleiner braunhaariger Junge lugt durch den Türspalt. „Mama?", fragt er mit seiner wunderbar sanften Stimme.

Ich halte weiterhin die Augen geschlossen und befolge Harrys Plan. Vielleicht bringt es diesmal etwas.

„Mama. Sam hat Omas Vase kaputt gemacht."

Augenblicklich reiße ich die Augen auf und richte mich auf. „Er hat was?", wüte ich. Typisch für ihn. Sam ist wohl der aufgedrehteste Junge, der mir je unter die Augen gekommen ist. Ständig schmeißt er Vasen um, Teller und Gläser vom Tisch oder zerbricht sogar Stühle. Wie auch immer dieser sechsjährige, kleine Junge das hinbekommt. Manchmal wünschte ich, er wäre wie sein Zwillingsbruder. Denn dieser ist das komplette Gegenteil von ihm. Still und zurückhaltend. Wenn sie sich nicht so ähnlich sehen würden, dann könnte man niemals behaupten, dass sie Brüder sind.

Aufgebracht stehe ich aus dem Bett auf und verfluche es, dass ich Annes Vase vergessen habe von der Theke in der Küche zu nehmen. Natürlich musste Sam die Chance nutzen und sie runterschmeißen, wie konnte ich so unvorsichtig sein? „Wir haben sechs Uhr morgens!", meckere ich. „Wieso seid ihr überhaupt schon so früh wach?"

„Die bessere Frage ist, wann sind sie mal nicht um halb sechs morgens wach", murmelt Harry hinter mir. Ihn scheint es gar nicht zu interessieren. Er überlässt das Nörgeln viel zu oft mir, weshalb ich oftmals die Böse bin. Auch das verfluche ich, aber irgendwer muss es sein.

„Sam versteckt sich in unserem Zimmer unter seiner Decke", sagt Lucas wieder leise und piekst unsicher an seinem Teddy rum, den er schon hat, seit er zwei ist. Er geht zum Bett und krabbelt hinein zu Harry und legt sich neben ihn. „Bitte nicht sagen, dass ich ihn verpetzt habe."

„Das hätte sie auch mit ihrem flinken Mutterinstinkt herausgefunden", sagt Harry und fährt Lucas mit nur einem Auge geöffnet durch die braunen Haare.

Ich verdrehe die Augen. Es bleibt mal wieder an mir hängen.


Our Last Collide 4 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt