Prolog

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Es ist das Leben einer Nutte!

Oder doch das einer intelligenten Prostituierten der besonderen Art?

Denk nach, Jillian! Es muss doch eine bessere, konformere und legitimere Bezeichnung für das geben, was du tust!

Energisch schüttle ich den Kopf, nehme an meinem Lieblingstisch des urigen Stammcafés Platz und signalisiere dem neuen Hilfskellner mittels Nicken, dass mein Milchkaffee nun »kommen« darf.

Meine Tasche im Jillian-Sunder-üblichen ­-­XXL­-Format schiebe ich unter den Stuhl und widme mich bis zur Ankunft meiner Bestellung der Suche nach einer akzeptablen Berufsbezeichnung.

Keine leichte Aufgabe, wenn man eine brotlose Autorin ist, die zwar Bestsellerromane schreibt, diese aber niemals unter eigenem Namen veröffentlicht.

Fakt ist: Ich bin sogar schlimmer als eine Nutte!

Den Körper zu verkaufen, wäre verhältnis­mäßig einfach. Zumal ich ernsthaft überlege, selbst jemanden zu engagieren, der in der Lage ist, längst vergessene Begierden zu stillen. Das, was ich allerdings so bereitwillig für Geld hergebe, und das keineswegs zu einem hohen Preis, ist jedes Mal ein Stück meiner Seele.

Daher auch das vorliegende Dilemma.

Nein, nein!

Ich bin nicht verbittert!

Wirklich nicht.

Schreiben ist mein Leben, meine Passion. Und was mein Vater einst als Kinkerlitzchen abtat, sorgt heute für das Brot, das jeden Abend pünktlich auf dem Tisch steht. Nur stellt die Berufsbezeichnung Ghostwriter keinen Titel dar, mit dem man seine Visitenkarte oder den Briefkopf schmücken sollte.

Wann immer das Gespräch mit einer neuen Bekanntschaft darauf kommt, bin ich unschlüssig, was ich sagen soll. Doch wie so häufig im Leben liegen Glück und Unglück dicht beieinander. Als ewige Stubenhockerin treffe ich zu selten auf echte Menschen, um sehr oft in ebendiese Verlegenheit zu geraten. Und diejenigen, die von Zeit zu Zeit einen beherzten Schritt in mein Leben wagen, wollen meist genau das, was ich ihnen anbiete: meine Seele, die zwischen den Zeilen mitsingt.

Genug!, ermahne ich mich, als der kleine, hübsche Mann den Kaffee mit einem Zwinkern vor mir abstellt. Den offensichtlichen Flirt kommentiere ich - wie bereits eingeübt - mit einem gelangweilten Lächeln. Obwohl mir sein dunkles Haar, die athletische Figur und die vollen Lippen durchaus zusagen könnten, ist der Typ höchstens zwanzig und eindeutig ein Weiberheld. Demnach unbestreitbar keine gute Konstellation, um bei mir zu punkten.

Meine psychologischen Kenntnisse sind dank des letzten Auftrags gestärkt, die Lebenserfahrung mit solchen Typen einschneidend und der Wunsch nach einem Mann bei Weitem erträglicher als der voraussichtliche, meistens unvermeidbare Herzschmerz. Womit auch alle Argumente genannt wären, mit denen ich meine seit Jahren leere Bettseite »fülle«.

Bedächtig und etwas zu lustlos greife ich nach meiner Tasche. Deren Inhalt besteht aus jenen speziellen Utensilien, die in diesem Milieu eine ähnliche »Bedeutung« haben wie die kniehohen Stiefel meiner körperlich tätigen Kolleginnen. Statt mit einer bunten, breitgefächerten Palette an Kondomen locken wir Ghostwriter mit unbeschriebenen Notizblöcken, deren Farbe, Form, Format und Einband aufzeigen, welche Wünsche man befriedigen kann.

Mein »Push-up« ist eine strenge rahmenlose Brille. Das Nuttenkostüm ein unaufdringlicher, jedoch gut sitzender, schwarzer Hosenanzug. Und anstelle eines roten Lippenstiftes, der eine voluminöse, wilde Mähne unterstreicht, trage ich dezentes Make-up und eine aufwendige Hochsteckfrisur.

Zeilen unserer LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt