Verkatert und beraubt

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Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Weg zur Kaffeemaschine noch nie so lang gewesen ist. Mit Kopfschmerzen, die ich dann wohl den etwas zu gut gemeinten Cocktails zu verdanken habe, stolpere ich die Treppe hinunter. Das hat man davon, wenn man Montagabends ausgeht, ich hätte genauso gut wegen Jeremy die halbe Nacht in mein Kissen heulen und in Selbstmitleid baden können, aber Lynn hatte die großartige Idee, dass ich "mal wieder unter die Leute muss weil ich ja sonst nie über meinen total bescheuerten Ex hinwegkomme". Danke Lynn.

Geistesabwesend drücke ich zweimal auf den Espresso Knopf.

"Na auch schon wach?" Gequält von der lauten Stimme so nah an meinem pochenden Kopf, halte ich meine Ohren zu. Ich werde nie wieder Alkohol trinken.

"Danke Jasper, wirklich." Mit einem unschuldigen Lächeln schiebt mein großer Bruder sich an mir vorbei und schnappt sich MEINEN doppelten Espresso. Ich liebe meinen Bruder ja so sehr.

"Wie war's denn gestern Abend so? Ich hab gehört, Theos Party soll der Hammer gewesen sein." fragt der Idiot genauso laut wie vorhin und macht sich am Kühlschrank zu schaffen. "Bis zwölf war es ganz okay, danach kam die Polizei und Lynn und ich sind gegangen." murmele ich und starre wütend auf die Kaffeemaschine, die sich plötzlich weigert, mir zu geben was ich will.

"Dann hab ich ja nichts verpasst" grinst Jasper und versucht verzweifelt ein drittes Toast in den Toaster zu stopfen. "Nope" nuschele ich, vertieft in meine Beschäftigung alle Knöpfe der Maschine gleichzeitig zu drücken. Koffein ich komme! Das was da aus der Maschine kommt, ist zwar unter Garantie kein Espresso, aber es hat bestimmt mal eine Kaffeebohne gesehen!

Jasper schenkt mir daraufhin nur ein schiefes Grinsen, und zwar eins von der Sorte denen die meisten Mädchen auf unserer Schule sofort verfallen. Das Problem ist nur, dass sie nicht wissen, dass er ein heimtückischer Kaffeedieb und für-Stunden-das-Bad-Besetzer ist. Die ganzen gebrochenen Herzen tun mir jetzt schon Leid...

Ich nippe genussvoll an meinem kaffeeähnlichen Getränk und beobachte, wie Jasper sein Toast mit Bacon und Käse belegt. Es riecht so gut, dass ich beschließe meinen doppelten Espresso zu rächen und mir sein Toast schnappe. Was er kann, kann ich schon lange! "FAYE! Rück sofort mein Frühstück wieder raus sonst setzt es was!"

Lachend renne ich die Treppe rauf und schließe mich im Bad ein. Muhaha. Es steht eindeutig 1:1 Bruder! Ich ignoriere sein hysterisches Klopfen an der Tür und mache mich fertig, natürlich nicht ohne das Toast zu essen, und ich muss schon sagen, Jasper kann das echt gut.

Als ich eine Viertelstunde später in das Auto meines Bruders einsteige, schaut er mich mit einem grimmigen Blick an. "Glaub ja nicht, dass ich dir das schon verziehen habe Faye, das bekommst du zurück!" faucht er mich an.

"Da hängt aber jemand sehr an seinem Essen, huh?" lache ich. Beleidigt dreht er sich um und startet den Wagen. Gar nicht so schlecht für einen verregneten Dienstagmorgen.

Lynn begrüßt mich in der Schule mit einer überschwänglichen Umarmung und einem "Gestern Nacht war sooo geil Faye! Das müssen wir wiederholen!" Warum nur hat das Mädchen nie einen Kater? Ich setze mein bestes du-hast-ja-so-recht Lächeln auf und sehe mich so unauffällig wie möglich nach einem Kaffeeautomaten um, doch das Schicksal hat scheinbar beschlossen, dass mein Dienstag nicht angenehm weiter verlaufen darf.

Denn klischeehaft wie mein Leben nun mal ist, steht im Gang kein Kaffeeautomat, sondern (wer hätte das gedacht) Jeremy mit einer neuen, vollbusigen Blondine. Eigentlich sollte es mir egal sein, mit wem mein Exfreund rummacht, aber er ist schon ziemlich schnell, wenn man bedenkt, dass wir erst vor fünf Tagen Schluss gemacht haben. Da es heute morgen auch ganz eindeutig ein Espresso zu wenig war, krampft sich meine Magengegend schmerzhaft zusammen, als ich sehe wie er das blonde Mädchen näher an sich zieht und erneut seine weichen Lippen auf ihre drückt.

Als ich merke wie eine weitere Welle des Selbstmitleids über mich schwappt, drehe mich wieder zu Lynn, die jedoch meinem Blick gefolgt ist. "Nehmt euch gefälligst ein Zimmer!" brüllt sie durch den gesamten Gang, sodass Jeremy und seine neue Flamme auseinander fahren.

Mit einem fetten Grinsen im Gesicht flötet sie noch ein unschuldiges "Dankeschön" in Jeremys Richtung und zieht mich hoch erhobenen Hauptes den Gang hinunter. Ich merke wie sich ebenfalls ein Lächeln auf mein Gesicht schleicht und grinse nur ein leises "Danke".

"Du bist mir eindeutig was schuldig, also rück mit den Französisch Hausaufgaben raus!" meint die Brünette, die mir soeben meinen Morgen gerettet hat. "Aye Sir" lache ich und wühle in meiner Tasche.



Nach verdammt langen acht Stunden, einer unangekündigten Physik HÜ und unglaublich leckerem Cafeteria Essen, kämpfe ich mich durch das allgemeine Gedrängel in unserer Schulhalle nach draußen.

Nachdem ich etwa zehn Minuten im Regen gestanden habe, fällt mir ein, dass sowohl Lynn, als auch Jasper heute nur sechs Stunden hatten. Da der Bus vor fünf Minuten ohne mich gefahren ist, werde ich wohl oder übel die fünf Kilometer laufen. Ich wollte ja sowieso mehr Sport machen. Immer schön positiv sehen.

Klatschnass komme ich zu Hause an, wo ein breit grinsender Jasper mir die Tür öffnet. "Du bist ziemlich spät und oh.. bist du etwa nass?"

"Haha sehr witzig" brumme ich zurück und fange an meine durchnässten Sachen auszuziehen.

"Dad hat zwar Nudeln gekocht, aber ich hatte einen Riesenhunger, wie Jungs in meinem Alter eben so sind und ja.. deswegen habe ich möglicherweise alles aufgegessen, sorry Faye."sagt mein Bruder mit Unschuldsmiene und wirft sich seine Sporttasche über die Schulter.

"Jasper! Ist das dein verdammter ernst?" rufe ich, und schmeiße meine nassen Schuhe nach ihm. "Ich hatte nur das ekelhafte Cafeteria Essen!"

Er grinst mich von der Tür aus nur blöd an und sagt:"Kannst dir ja ein Toast machen, hm? Ach und Faye, an deiner Stelle würde ich mir die Haare abtrocknen, sonst erkältest du dich noch, Kleines."

Dann zieht er die Tür hinter sich zu und jede Chance, ihm noch mehr Schimpfwörter an den Kopf zu werfen, ist vertan. Er hat tatsächlich mein Mittagessen gegessen! Das bedeutet Krieg!

Doch bevor ich irgendwelche Schlachtpläne schmieden kann, protestiert mein Bauch mit einem lauten Grummeln, und ich erkläre Dienstag ganz offiziell zum Pizza Service Tag.


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