Kapitel 1 - Der Umzug

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,, Ally, trag bitte die restlichen Kartons hinaus! Ich kann nicht so schwer tragen." Ich nickte, nahm eine Kiste vom Boden auf und trug sie zu dem Umzugswagen, der vor unserem schönen weißen Haus mit der hübschen Gartenterrasse parkte. Nachdem ich diesen abgelegt hatte, ging ich zurück ins Haus und holte die nächsten. Neben dem Umzugswagen stand ein Müllauto, in das meine elfjährige Schwester gerade auch ein paar Kisten schmiss. Es tat unfassbar weh, zu sehen, wie unsere alten Kuscheltiere und Spielzeuge inmitten des Mülls anderer Leute zerquetscht wurden, und ich sah traurig dabei zu. Meine Mutter bemerkte meine Stimmung und fragte besorgt: ,, Alles in Ordnung?" Seufzend schaute ich zurück zu unserem Haus. Eigentlich war es offiziell das Haus der Leute, an die wir es vor ein paar Tagen verkauft hatten, aber es würde trotzdem immer unseres bleiben. Auch, wenn wir umziehen mussten. ,, Ja, es ist nur... meine ganzen Sachen..." Sie nickte verständnisvoll und nahm mich kurz in den Arm. ,, Ich weiß, Schätzchen. Aber wir können nicht so viel in unser neues Haus mitnehmen, es ist einfach nicht so groß." Ich versuchte, die Tränen zu unterdrücken, als ich sah, wie mein kleiner Plüschhase mit Namen , Puffel' zwischen den Metallschranken zerdrückt wurde. Es stimmte nicht, das neue Haus war nicht kleiner. Aber wir mussten es uns mit jemandem teilen. Es waren ein älterer Mann, so um die fünfzig, und sein 17 - jähriger Sohn. Ich hatte sie noch nicht kennengelernt (und das wollte ich auch noch, so lange es ging, hinauszögern), aber nach Auskunft meiner Schwester Lea, zu der ich seit dem Tod unseres Vaters ein sehr gutes Verhältnis hatte, war der alte Mann gruselig und der Junge hübsch, aber ein bisschen eingebildet. Aber das beschäftigte mich weniger, viel mehr verharrten meine Gedanken schon seit fast zwei Jahren auf unserer eigenen familiären Situation. Dad starb an einem Schädelbasisbruch, nachdem er den Durchbruch bei einem streng geheimen Fall erlangt hatte. Er war einer der besten Ermittler der Staats-Polizei, zumindest hatte man mir das bei seiner Beerdigung hundertmal versichert. Aber vielleicht war das auch nur das Mitgefühl, genau wie bei unseren Nachbarn, die seitdem einmal in der Woche zu uns zum Frühstück kommen um uns ,Gesellschaft zu leisten, damit die Kinder nicht so alleine sind'. Wir konnten ihnen ja kaum sagen, dass ihre Tochter Melissa nicht gerade die Gesellschaft war, die man sich an einem Sonntagsmorgen wünschte. Da aber alle seine Kollegen ebenfalls an den gleichen Verletzungen gestorben waren, konnte man nie herausfinden, was sie schlussendlich eigentlich herausgefunden hatten. Er und seine Kollegen wurden übel zugerichtet. Man hatte sie mit zugenähtem Mund und Seilen an Händen und Füßen in einem Schaufenster für Puppen in Lebensgröße ausgestellt, alle nebeneinander in einer Reihe. Darüber waren Holzkreuze. Sie sahen aus wie Marionetten, beschrieben die Schaulustigen in den Medien. Seitdem hatte ich Angst vor Puppen- und was war in dem neuen Haus? Puppen! Wo man hinsah, überall Puppen. Sie saßen auf der Couch und im Kinderzimmer, im Esszimmer und im Aufenthaltsraum. Sie sahen alle unterschiedlich aus; manche waren blond, manche hatte schwarze Haare, manche waren Porzellanpuppen, andere Marionetten, viele der Porzellanpuppen hatten Risse, als wären sie auf den Boden gefallen- aber Eines hatten sie alle gemeinsam. Und das war mehr als gruselig. Es war geradezu angsteinflößend- denn sie hatten keine Augen. Es waren nur weiße Löcher, als würden sie die Augen nach innen verdrehen. Dadurch kam es einem so vor, wenn man durch das Haus ging (ich hatte schon einen Durchgang gemacht, doch da waren weder der alte Mann noch der Junge zuhause), als würden sie einen mit ihren Blicken verfolgen... Meine Mom holte mich ruckartig mit den Worten: ,,Alles gepackt!" aus meinen Gedanken, und ich ließ vor Schreck den Karton, den ich gerade in der Hand hielt, fallen. Er krachte auf den Boden, und der Inhalt verstreute sich überall auf der gesamten Fläche. Es waren alte Zeitschriften, Notizbücher und anderer Kram. Ich wollte ihn gerade wieder schließen und in den Müllwagen werfen, als ich etwas bemerkte. Es war ein Schriftzug. Denn auf dem Notizbuch stand in großen Buchstaben , Henry Pilburgh'. Das war der Name meines Vaters. Dieser Karton war voller Zeug von meinem Dad! Aus irgendeinem, mir unerfindlichen Grund nahm ich den Karton, und schrieb mit einem Filzstift , Ally' quer über die Oberseite. Dann legte ich ihn vorsichtig zu den anderen Sachen in den Umzugswagen und stieg zu meiner Mutter und meiner Schwester in das Auto. Der Motor startete. Als wir losfuhren, hatte ich das beklemmende Gefühl, als würden wir nie mehr zurückkommen.




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