Kapitel 3 - Ein merkwürdiges Gespräch

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Es war ein merkwürdiges Geräusch, ähnlich einem Summen. Oder als würde jemand mit sehr hoher Stimme singen- wunderschön und traurig zugleich. Ich vermutete, dass es von unten kam, also setzte ich mich auf. Ich schob die Beine über die Bettkante, und stand auf; mein Körper fühlte sich an wie in Trance, als hätte man mich hypnotisiert. Gedankenverloren öffnete ich meine Zimmertür und trat hinaus in den Gang. Mir wurde plötzlich kalt, ein leichter Wind ging. War irgendwo ein Fenster offen? Es fröstelte mich. Die Treppe knarrte unter meinen nackten Füßen und einen Moment lang hatte ich Angst, entdeckt zu werden, doch dann war ich auch schon unten. Die Stimme war nun lauter, sie kam eindeutig vom Aufenthaltsraum. Zwar hatte ich Angst vor dem, was ich möglicherweise sehen konnte, ging aber trotzdem weiter. Es war, als würde mich eine unsichtbare Macht dazu treiben, immer dem Gesang nach zu laufen. Schließlich stand ich, fröstelnd und nur mit einem Nachthemd bekleidet, vor der Tür zum ,Wohnzimmer', und legte die Hand auf die Klinke. Ich hatte schreckliche Angst davor, sie zu öffnen, doch der Gesang wurde immer lauter und durchdringender, und ich musste einfach wissen, wer da drinnen war. Also drückte ich die Klinke langsam hinunter, und die Tür öffnete sich mit einem leisen Quietschen. Der Gesang verstummte abrupt und ich hielt ängstlich inne. Als nichts geschah, wagte ich mich weiter in den Raum hinein und suchte ihn mit den Augen nach dem Mädchen mit der traurigen aber schönen Stimme ab. Nichts war zu sehen. Nur die Puppen, deren durchscheinend blasse Haut im fahlen Mondlicht, das aus einem Fenster gegenüber der Couch drang, geradezu leuchtete, erschienen noch gruseliger. Ich drehte mich auf dem Absatz um und wollte gerade wieder nach oben gehen, als ich wieder etwas hörte. ,,Hilf mir...", flüsterte eine süße Stimme. Es war das Mädchen, das gesungen hatte, eindeutig, und sie war, dem Geräusch nach zu urteilen, auch ziemlich nah, doch ich konnte sie immer noch nicht sehen. ,,W-Wer bist d-du?", stotterte ich. Zuerst kam keine Antwort. Doch dann drehte plötzlich eine Puppe, die auf dem Sofa saß, ihren Kopf in meine Richtung, sodass ich sie anschauen konnte. Anscheinend war dieser alte Mann so vernarrt in Puppen, dass er sie sogar mit Bewegungssensoren ausstattete, die auf mich reagierten. Ich erwartete wieder weiße, leere Augenhöhlen, aber diese waren verschwunden. Sie hatte braune Augen und lockige Haare in derselben Farbe. Sie war eine der größten Puppen im Raum (alle waren in Lebensgröße dargestellt), und sah aus, als wäre sie etwa so alt wie ich. ,,Bitte, hilf mir...", flüsterte sie, und ich erschrak. Die Puppe konnte sprechen! ,, Was willst du von mir?!", kreischte ich, und stolperte ein paar Schritte rückwärts. ,,Tu mir nichts! ", rief ich und hob die Hände schützend vor mein Gesicht. In meinen Albträumen, die ich seit dem Tod meines Vaters oft hatte, wollten die Puppen mir immer etwas antun. Meistens etwas, das ich nciht überlebte. Aber diese Puppe sah nicht so aus. Genau wie ihr Gesang war sie wunderhübsch, sah aber sehr traurig aus. Ihre herzförmig geschminkten Lippen öffneten sich. ,,Hilf mir..." ,,Aber wie?", wollte ich wissen, und rang die Hände. ,,Wie soll ich dir helfen?" Sie schloss ihre Augen für einen Moment, und eine schwarze Träne rollte ihre Wange hinunter. ,,Du musst uns befreien.", antwortete sie, und sah mich wieder an. ,,Uns?" Ich sah mich um, und bemerkte, dass ich beobachtet wurde. Mindestens zwanzig verschiedene Augenpaare starrten mich an. Es gab braune und blaue, grüne, und sogar welche, die unsymmetrische Augenfarben hatten. Keine Einzige hatte mehr weiße Augen. Dann wendete ich meinen Blick wieder der Puppe vor mir zu. Sie war eine Porzellanpuppe und hatte auch schon ein paar Sprünge, kleine Stückchen waren aus ihr herausgebrochen. Vermutlich war sie auf den Boden gefallen. ,,Aber wie soll ich euch befreien?" Sie schüttelte den Kopf. ,,Du musst einen Weg finden. Wir wollen nicht länger gefangen sein." Ich wollte etwas sagen, doch plötzlich wurden ihre Augen heller, und langsam weiß. Auch die umliegenden Puppen bekamen ihre früheren Augen, weiß und leblos, nach und nach wieder. ,,Ich muss gehen, die Sonne geht auf. Bitte, hilf uns." Das waren ihre letzten Worte, bevor ihre Augen gänzlich weiß wurden, und sie zusammensackte. Jetzt sah sie wieder aus wie eine gewöhnliche Porzellanpuppe, und auch alle anderen waren wieder normal. Verwirrt ging ich hoch in mein Schlafzimmer, um wenigstens noch ein wenig Schlaf zu bekommen, bevor ich aufstehen musste. Eine Weile dachte ich noch über das merkwürdige Gespräch nach, doch schließlich schlief ich wieder ein.


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