Kapitel 2 - Die Villa

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Gelangweilt schaute ich aus dem Seitenfenster und betrachtete die Gegend um uns herum. Wir fuhren durch unsere Siedlung und kamen dann in die Stadt, in der meine Familie und ich immer einkaufen gegangen waren. Dann kam ein kleiner Waldweg, und alles danach war nur mehr Einöde. Ein paar Sträucher hin und wieder, hier und da ein Baum, einmal ein kleiner Bach- ansonsten gab es hier nicht viel zu sehen. Nach einer Fahrt von etwa einer Stunde kamen wir endlich an. Wir parkten vor einem großen, alten Haus, an der die graue Fassade bereits abbröckelte. Um das Gebäude herum waren Rosenranken, manche noch saftig rot, andere bereits abgestorben, und es glich insgesamt einer Burg. Es wäre vermutlich ein romantischer Anblick gewesen- aber nicht, wenn man hier jeden Tag verbringen musste. Das Ganze sah zudem wenig einladend aus... Allein der Gedanke, das hier ab jetzt mein ,Zuhause' zu nennen, widersprach mir. Ich hätte wenigstens gern jemandem die Schuld gegeben, aber wem denn? Mam konnte ja eigentlich auch nichts dafür, sie versuchte immerhin nur, uns über die Runden zu bringen. Der Einzige, der an dieser mehr als misslichen Lage Schuld trug, war der Mörder von meinem Dad- und ausgerechnet von dem wusste ich nicht, wer er war. Aber vielleicht brachte ja diese merkwürdige Kiste etwas zutage, und der Täter würde endlich gefasst werden. Das würde zwar nicht viel an der jetzigen Situation verändern, aber immerhin wüsste ich dann, wer mir, meiner Familie und den Angehörigen der anderen Verstorbenen das angetan hatte. ,,Ist es nicht schön?", fragte mich Mam begeistert, als wir aus dem Auto stiegen. Ich hätte gerne etwas Zynismus in meine Stimme gelegt und eine ironische Bemerkung fallen gelassen, aber ich sah das Glitzern in ihren Augen, das sie immer bekam, wenn ihr etwas sehr gut gefiel, also nickte ich nur. In diesem Moment ging das riesige, bogenförmige Eingangstor auf, und ein - tatsächlich ziemlich alter- Mann kam heraus. Er hatte eine Halbglatze und ging gebückt. Irgendwie alles an ihm war grau- seine Haare waren grau, seine Augen waren grau, sein Pullover war grau; einfach alles! Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass so jemand einen hübschen Sohn haben könnte. Doch gerade in diesem Moment schwang die Tür ein zweites Mal auf, und ein Junge kam heraus. Er hatte blondes, wuscheliges Haar und grüne Augen. Sein Körper hatte eine durchtrainierte, aber trotzdem schlanke Form, und er sah alles in allem einfach unverschämt gut aus. Erst als mich meine Schwester anstupste und leise hustete, bemerkte ich, dass mein Mund offen war. Ich schluckte, um die plötzliche Trockenheit darin zu vertreiben. Der Junge bemerkte es und lächelte mir ein wenig spöttisch zu (Lea hatte Recht, er war tatsächlich eingebildet, und ich hasste selbstverliebte Menschen), während ich mit geröteten Wangen den Boden taxierte. ,, Darf ich vorstellen?", fing der alte Mann an zu reden. ,, Das ist mein Sohn David, er wird mit euch eine kleine Hausbesichtigung machen." Dann lächelte er (wobei man seine gelben, wenn überhaupt vorhandenen, Zähne sehen konnte) und deutete auf sich selbst. ,, Und ich heiße Bernd." Der Name passte zu ihm. Spießig, wie alles hier. Alles war spießig, alles war grau, alles war Einöde. Ich hasste die neue Umgebung jetzt schon. ,, Kommt mit!", winkte uns David zu, und verschwand im dunklen Eingang des Hauses. Ich scheute mich zuerst noch, doch ich wollte auch nicht unbedingt bei dem Alten bleiben, also ging ich schließlich doch hinein. Innen führte eine steile Treppe nach oben, und links und rechts ging es in zwei Zimmer. ,, Links ist Dads Raum, rechts meiner.", erklärte er, und schritt dann die Treppen hoch. ,, Und hier..." Er zeigte auf eine Tür rechts neben der Treppe. ,, Ist das Bad." Er zeigte uns noch die anderen Zimmer (meines war ganz hinten im rechten Flur), dann gingen wir zum Abendessen. Es gab Kartoffelsuppe, und es war überraschenderweise tatsächlich köstlich. Da es ein langer Tag war, legte ich mich an diesem Tag früh ins Bett, und schlief auch sogleich ein. Bis mich ein Geräusch weckte.


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