Als ich aufwachte, fand ich mich im Nachthemd auf dem Boden wieder, die Decke lag zerknittert neben mir. Stöhnend hielt ich mir den Kopf, während ich mich mit der anderen Hand an der Tischkante hochzog. Mir wurde schwindelig, als mir plötzlich einfiel, was im Wohnzimmer geschehen war. Die Puppe. Sie lebte. Alle Puppen lebten. Und sie wollten befreit werden... aber von was? Oder wem? Mein Schädel pochte, als hätte ich zu viel getrunken (was ich eigentlich nie tat), und ich stolperte den Flur entlang ins Badezimmer. Dort öffnete ich mit geübtem Griff den Klodeckel und band mir im selben Moment die Haare in einen Pferdeschwanz. Ich wartete darauf, dass ich mich übergeben musste, oder wenigstens das eklige Gefühl in meinem Magen verschwand, aber vergebens. Nach gefühlten fünf Minuten setzte ich mich seufzend auf den Boden und rieb mir die Schläfen. ,,Gestern wohl zu viel getrunken?" Ich erschrak und konnte nur mühsam verhindern, im Sitzen zur Seite zu kippen, als ich in ein grinsendes (und leider viel zu hübsches) Gesicht sah. ,, Du!", knurrte ich, und sprang auf. Jedoch zu schnell, denn ich stolperte und landete natürlich ausgerechnet- wie könnte es anders sein- in Davids Armen. Soviel zu meinem Gleichgewichtssinn. ,,Was kann ich denn dafür, dass du einen Kater hast?", fragte er verschmitzt, und stellte mich vorsichtig wieder auf die Füße. ,,Hmpf", machte ich, und verschränkte die Arme. Er konnte ja tatsächlich nichts dafür, dass ich schlecht geträumt hatte. ,,Es gibt übrigens Frühstück", beendete er meine Gedanken und ging vor mir die Treppe hinunter. ,,Gentleman", knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Ich hörte David noch lachen, dann war er schon verschwunden, und ich musste allein zurechtkommen. Langsam und vorsichtig torkelte ich die alte Treppe hinunter, darauf bedacht, nur nicht über mein Nachthemd zu stolpern. Moment. Ich hatte noch mein Nachthemd an! Zähneknirschend lief ich wieder hoch - inzwischen hatte ich mich wenigstens wieder einigermaßen gefasst- um mir eine blaue Jean und eine schwarze Bluse anzuziehen. Denn solange noch jemand mit uns zusammen wohnte, würde ich nicht mehr, so wie früher, einfach im Pyjama und mit ungebürsteten Haaren zum Frühstück kommen. Ich wurde schon rot bei dem Gedanken, dass David mich so gesehen hatte- was aber schnell überschattet wurde von der Wut und Empörung darüber, dass er geschlagene fünf Minuten neben mir gestanden und darauf gewartet hatte, dass ich meine Kotz-Versuche einstellte. Dann rannte ich ins Bad, putzte mir die Zähne, glättete meine störrischen Haare und wusch mir das Gesicht mit eiskaltem Wasser, um wieder etwas munterer zu werden. So- geschafft. Die Treppe bewältigte ich diesmal besser, und kam nur zwei Minuten zu spät im Esszimmer an. Neuer Rekord. Mama, Lea, der alte Mann (ich weigerte mich partout, ihn Bernd zu nennen) und David saßen schon am Tisch. Davids Haare saßen- anders als meine- perfekt auf seinem Kopf, zwar ein bisschen verwuschelt, aber es sah so aus, als würde er für diesen Look mindestens zwei Stunden im Bad verbringen. Dagegen musste ich so aussehen, als hätten in der Nacht exotische Vögel ihr Nest in meine Haare gebaut. ,,Wer kommt heute mit mir mit ins Schwimmbad?", holte meine Mutter mich so ruckartig aus meinen Gedanken, dass ich erschrak und die Gabel losließ, welche durch das gesamte Zimmer flog, und dann mit einem Scheppern gegen die Wand gegenüber von mir krachte. Damit hätte ich vermutlich so einige Weitwurf - Wettkämpfe gewonnen. Mit hochrotem Gesicht ging ich zur Gabel, hob sie auf, und setzte mich dann wieder an den Tisch. David hatte mich derweilen mit spöttischen Blicken verfolgt, und auch jetzt ruhten seine Augen auf mir. Mama räusperte sich, und schaute wieder Lea und mich an. ,,Und? Wer kommt mit?" Lea hob wie in der Schule die Hand, und ich wollte es ihr gerade gleichtun (hauptsächlich deswegen, weil ich nicht in diesem gruseligen alten Haus mit dem gruseligen alten Mann bleiben wollte), doch dann fiel mir wieder der Umzugskarton ein. Papas Umzugskarton. Und wenn keiner da war, könnte ich ihn in Ruhe öffne, und einen Blick hineinwerfen- also schüttelte ich, gespielt bedauernd, den Kopf. ,, Sorry, Mam, aber ich kann nicht. Ich muss noch so viel auspacken, und mein Zeug für die neue Schule sortieren, dazu der ganze andere Kram..." Ich wurde schon wieder rot, aber beruhigte mein schlechtes Gewissen mit dem Gedanken, dass ich ja eigentlich, wenn man es genau nahm, gar nicht gelogen hatte. In meinem Zimmer stapelten sich immer noch die Kartons, und obwohl ich nie Schwierigkeiten in der Schule hatte, konnte es nicht schaden, ein bisschen zu lernen. Aber wenn ich ehrlich war, wollte ich nur eines tun... und ich hatte ja nie behauptet, dass mit ,anderer Kram' nicht Papas Notizbücher gemeint waren. ,, Na gut, wir brechen in einer Stunde auf." Ich würgte schnell eine Semmel mit Gurken hinunter, obwohl ich vor Aufregung keinen Hunger mehr hatte, entschuldigte mich dann, rutschte vom Sessel und verschwand in mein Zimmer. Dort wartete ich, bis die Tür aufging und gleich darauf wieder ins Schloss fiel. Dann zog ich den Karton hinter meinem Bett hervor und setzte mich damit auf den Boden.Ich legte alles vor mir verstreut hin und widmete mich dem ersten Notizbuch. Und ich sollte es nicht bereuen.
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Doll House
Mystery / Thriller, Es ist nur ein Haus... Es ist nur ein Haus...", sprach ich mir Mut zu. Aber ich spürte die Blicke der Puppen in meinem Rücken... Ally und ihre Familie müssen nach dem tragischen Tod ihres Vaters in eine alte Villa am Ende jeglicher Zivilisation zi...