Der Schein des fast runden Mondes, der durch die Nacht dahinsegelte, tauchte das dämmrige Schlafgemach in ein schummriges Licht eines weißen Opals. Die Schatten der raschelnden Blätter tänzelten im leise wehenden Wind über ihr zartes Gesicht, welches in dem weichen Kissen ruhte. Tief und fest schien sie zu schlafen, ihre Atmung war gleichmäßig und ihre Lider bewegten sich von Zeit zu Zeit.
Plötzlich legte sich ein großer Schatten vor die Anmut des Mondes, als zwei dunkel gewandete Gestalten durch die offene Balkontür hereinschlichen und ihr Antlitz verdeckten. Sie verhielten sich wie zwei Diebe und gebrauchten die Zeichensprache, worauf einer der Männer ein kleines Fläschchen herausholte und den Inhalt auf ein Tuch träufelte. Dieses presste er geschwind auf das Gesicht der Schlafenden. Erschrocken schlug die Prinzessin die Augen auf und kämpfte dagegen an. Doch als der Duft des Mittels in ihrer Kehle brannte, schwand ihre Kraft, ihr Widerstand ließ nach. Ihre Lider schlossen sich und ihre Hände fielen zur Seite.
Sofort schlug der stämmigere der beiden Männer die Decke zur Seite und schulterte sie die junge Frau, als wäre sie so leicht wie eine Puppe. Vorsichtig trug er sie zum Balkon und gab jemandem ein Zeichen, der unten im Schatten der Dunkelheit wartete. Mit Obacht stieg er die Sprossen einer Leiter hinunter, während diese von der Person unten festgehalten wurde. Als sie auf sicheren Boden traten, schlichen die Drei durch den dunklen Garten. Ein Vierter wartete bereits mit gesattelten Pferden auf sie. Nachdem sich der Dritte auf seinen Schimmel geschwungen hatte, nahm er die Prinzessin entgegen und verbarg sie unter seinen Umhang, sodass von ihr nichts mehr zu sehen war. Als sich die anderen Beiden ebenfalls auf die Pferde setzten, verabschiedete sich der Vierte und verschwand im Schutze der Finsternis.
Ohne die Aufmerksamkeit der Wachen zu erregen, ritten sie leise aus dem Hof hinaus und passierten das Tor in die Stadt. Die am Tage überfüllten Straßen und Gassen waren wie leer gefegt, die Stille, die über ihnen lag, wurde nur von den Hufschlägen auf den Pflastersteinen durchbrochen. An vereinzelten Ecken und in Nischen schliefen seltsame Gestalten, die womöglich obdachlos waren.
Streunende Katzen wurden zu Gejagten, sobald sie von herrenlosen Hunden erblickt wurden. Kläffend und fauchend verschwanden diese hinter hohen Mauern und verschmolzen mit der Schwärze der Nacht. Im Licht des Mondes verließen sie die Stadt und nahmen den Weg in die Wüste.
»Nicht einmal im Traum hätte ich mir vorstellen können, dass es so leicht sein würde, eine Prinzessin aus ihren Gemächern zu entführen«, triumphierte Omar, der die Prinzessin zuvor geschultert hatte und entschleierte sein Gesicht. »Nur, was wird der Sultan sagen, wenn er herausbekommt, dass wir die Entführer sind?«
Prinz Karim lachte bedeutungsvoll, wobei seine makellosen Zähne zum Vorschein kamen.
»Wenn der Sultan dem nicht zugestimmt hätte, wäre es nicht so einfach gewesen. Was glaubt ihr, warum sich dort keine Wachen aufgehalten haben und die Wachen am Tor uns passieren ließen?«
»Ihr wollt doch nicht etwa sagen, dass der Sultan in die Sache eingeweiht war?«, fragte Omar irritiert.
»Er war nicht nur eingeweiht... Der Sultan höchstpersönlich hat damals seine Frau aus einem Palast entführt. Es war seine Idee.«
Omar sah ihn ungläubig an: »Der Sultan hat arrangiert, dass wir die Prinzessin entführen?«
»Genauso ist es. Er ist der Meinung, der Traum seiner Tochter soll in Erfüllung gehen. Und jetzt passt auf! Ich kenne ein Nomadenvolk in der Wüste. Wir werden die Prinzessin dorthin bringen. Sie hat mich noch nicht zu Gesicht bekommen und ich werde mich ihr als ein wohlhabender Kaufmann vorstellen. Ich habe noch sehr viel vor mit ihr.«
Er lachte hell auf und schob den Umhang etwas zur Seite, um einen Blick auf ihr Gesicht zu werfen.
Sie schlief durch die Wirkung des Beruhigungsmittels und würde nicht aufwachen, bis sie die Nomadenzelte erreicht hatten. Bewundernd und intensiv betrachtete er eine Weile ihr Antlitz. Die langen geschwungenen Wimpern berührten ihre zarte Haut und ihre Lippen waren glühend rot wie die edelsten aller Rosenblüten. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust. Ein Hauch von Amber stieg in seine Nase, ihr warmer Atem drang durch sein Gewand und ließ ihn angenehm erschauern. In diesem Moment begann sein Herz für sie zu schmelzen.
Als sie die Nomadenzelte erreichten, dämmerte es bereits. Omar stieg ab und nahm seinem Herrn die Prinzessin ab.
Der Prinz schwang sich ebenfalls von seinem Pferd, nahm Yasmina wieder in seine Arme und brachte sie in ein Khaima. Eine alte Frau im Zelt stand sofort auf, als sie den Prinzen hereinkommen sah. Sofort nahm sie eins von den gestapelten Wollbetten und breitete es auf dem Boden aus. Sachte legte der Prinz die junge Frau darauf ab.
»Zieh ihr etwas anderes an. Sie darf nicht aussehen wie eine Wohlhabende. Ihr werdet wie besprochen vorgehen.«
Die Frau, deren Stirn und Kinn mit Tätowierungen verziert war, nickte und verneigte sich.
»Wie ist mein Name?«, wollte der Prinz zur Sicherheit noch einmal wissen.
»Selim, Euer Hochwohlgeboren«, flüsterte die Frau.
»Lass die Förmlichkeiten weg. Ich bin nur Selim.«
Die Frau nickte ehrfürchtig und öffnete eine alte Truhe, aus der sie ein buntes Kleid herausnahm und den Prinzen vielsagend ansah.
»Ich werde mich etwas ausruhen.« Karim ging hinaus und atmete die frische Luft ein. Es dürfte nicht leicht werden, wenn die Prinzessin am Morgen in einem fremden Zelt aufwachte. Er hoffte, dass sie nicht sofort durchdrehen würde.
Die Greisin, um deren Mundwinkel sich Falten gebildet hatten, betrachtete die Prinzessin eine Weile. Sie trug ein seidenes Schlafgewand, das sehr kostbar aussah. Zierliche Ringe schmückten ihre langen, gepflegten Finger. Als Erstes entfernte sie das Geschmeide ihrer Hände und zog die junge Frau anschließend um.
Gemächlich erhellte das Tageslicht die Wüste mit ihren trockenen Dornenbüschen und wenigen Palmen. Die Sandkörner, die von einem leichten Wind angehoben wurden und wieder hinab rieselten, glänzten wie Goldstaub. Dieses Spektakel dauerte so lange, bis die Sonne auf sie brennend herabsank und sich kein Wind mehr regte.
Graue Rauchsäulen hoben sich vor den Zelten in die Lüfte. Die Nomadenfrauen buken Brote und kochten fleißig in rußgeschwärzten Töpfen auf offenen Feuern. Langhaarige Ziegen meckerten auf der Suche nach Essbarem und fraßen alles, was ihnen in den Weg kam. Barfüßige Kinder warteten ungeduldig an den Feuerstellen, um frisches Brot mit Butter und Käse zu bekommen. Der Duft der Speisen lag in der Luft und zog in die Zelte. Männer, deren Gesichter von der Sonne gebräunt und die Finger vom Tabak vergilbt waren, saßen in der Hocke und rauchten. Sie unterhielten sich leise und gestikulierten, um ihren Worten Ausdruck zu leihen.
Urplötzlich riss ein schriller Schrei die Nomaden aus ihrem Treiben. Ihre Köpfe fuhren zu dem Zelt herum, in dem sich die Prinzessin befand.
Als sei diese auf eine Natter gestoßen, stürmte sie aus dem Zelt hinaus und schaute verwirrt um sich.»Wo bin ich hier? Wer hat mich hierher gebracht?«, fragte sie laut und glaubte, noch zu schlafen. »Nein, das kann nur ein böser Traum sein. Ich liege in meinem Bett und träume das alles.«
Statt einer Antwort näherte sich ihr die alte Frau, die sie umgezogen hatte und stupste sie an.
»Aisha, hörst du mich?«
Mit weit aufgerissenen Augen sah sie die Frau an und ihr wurde bewusst, dass sie nicht träumte, sondern tatsächlich in der Wüste war.
»Aisha, du bist heute spät dran. Die Ziegen müssen noch gemolken werden«, rief die Frau, zog sie am Arm und versuchte dabei, besonders ernst zu wirken.
Die Verwirrte zog ihren Arm aus den Fängen der alten Frau und sah sie empört an.
»Wer seid Ihr? Was maßt Ihr Euch an, mich so zu nennen? Ich bin Prinzessin Yasmina, die Tochter des Sultans von Aqaba. Bringt mich auf der Stelle in den Palast zurück!«, befahl sie und neigte sich zu der alten Frau. »Und ihr hört endlich auf, an mir so herumzuzerren!«
Frauen, die Brote buken, schüttelten amüsiert die Köpfe und wandten sich wieder ihren Arbeiten zu.
»Habt ihr nicht gehört? Ich wünsche, sofort in den Palast gebracht zu werden. Sonst lasse ich euch alle in die Grube oder den Löwen zum Fraß vorwerfen«, rief sie laut und merkte, dass niemand von ihr Notiz nahm.
Prinz Karim, alias Selim, beobachtete sie von weitem. Er hatte sich auf einen Kilim gesetzt und schärfte seinen Säbel mit einem Wetzstein. Er und seine Männer hatten ihre Gesichter verschleiert.
»Komm Aisha. Du bist heute wieder durcheinander. Jedes Mal das gleiche Theater mit dir, seitdem du dir den Kopf gestoßen hast«, redete die Frau überzeugend und zog sie am Ärmel.
»Die Aisha hat ja wirklich den Verstand verloren«, lachte eine Frau und legte die Hand auf den Mund, um ihre Zähne zu verbergen.
»Mein Name ist Yasmina, hört ihr, Yasmina!«, schrie sie, packte die Frau am Kragen und schüttelte sie. »Ich bin die Tochter des Sultans von Aqaba.«
Die Frauen kehrten zu ihrer Arbeit zurück. Schließlich warteten ihre Kinder und Ehemänner auf das Essen.
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Die Wüstenprinzessin - Auf der Flucht
FantasyDie ungestüme Prinzessin Yasmina ist im heiratsfähigen Alter und lehnt all ihre Verehrer ab, um den Mann ihres Herzens selbst bestimmen zu können. Auch Prinz Karim ist unter den abgewiesenen Kandidaten, Doch gibt dieser nicht auf und schmiedet einen...