Chahira

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»Nun komm schon Aisha. Wir müssen die Ziegen melken.«
Aus dem Zorn heraus, dass sich die Leute über sie amüsierten, stieß Yasmina die Frau von sich.
»Lass mich und nenne mich nicht ständig Aisha. Ich bin nicht verrückt und ich gehöre nicht hierher. Wenn mein Vater, der Sultan, herausfindet, dass ihr mich entführt habt, dann werden Köpfe rollen. Das verspreche ich euch! Und nun befehle ich euch: Bringt mich wieder zurück zum Palast!«
Die Frau sah an der Prinzessin hinab.
»Sieht eine Prinzessin aus einem Palaste etwa so aus?« Und machte eine abschätzige Geste mit der Hand, um daraufhin weiter zu sprechen. »Oh vergebt mir Eure Hoheit, wie konnte ich es nur vergessen, ich alte Frau? Du bist unsere Prinzessin, unsere Wüstenprinzessin
Die arme Sultanstochter! Ohne die geringste Hoffnung, die Wüste jemals verlassen zu können, sank sie auf die Knie. Warme Tränen brannten in ihren schönen Augen und flossen wie ein Gebirgsbach über ihre Wangen hinab. Sie begann, an ihrem Verstand zu zweifeln. Es war ein böser Traum, aus dem sie nicht erwachen konnte. Ja, es war ein sehr böser Traum, der ihr etwas vorspielte. Bald würde Layla an der Tür ihres Gemaches klopfen und sie sanft aufwecken. Sie würde ihr beim Ankleiden helfen und das Frühstück auf ihr Zimmer bringen lassen. Sie besah sich ihre Hände. Nichts deutete daraufhin, dass sie aus einem Palaste war. Sie trug weder Ringe noch sonstigen Schmuck und doch waren ihre Hände weich und glatt. Sie war in bunte Kleider gewandet und ohne Schuhe. So sah keine Prinzessin aus. Dann erblickte sie die Pferde von Prinz Karim und seinen Freunden. Entschlossen stand sie auf und lief auf diese zu. Doch die Pferde waren nicht gesattelt und so gelang es ihr nicht, auf den Schimmel zu steigen. Karim rührte sich ein wenig und legte seinen Säbel auf die Seite. Als Yasmina begriff, dass es mit den Pferden keinen Zweck hatte, lief sie in eine unbestimmte Richtung.

»Wo willst du hin? Aisha! Komm zurück!«, rief die Frau lauthals und sah zum Prinzen hinüber. Dieser sprang hoch und winkte seine Männer herbei, die sofort der Prinzessin hinterherliefen. Yasmina rannte auf die Dünen zu. Der Sand, der unter ihren Füßen wegrutsche, nahm mit jeder verstrichenen Minute an Wärme zu und sie fiel mit dem Gesicht voran auf den Boden. Schnell richtete sie sich wieder auf, blickte kurz nach hinten und lief weiter, als sie die Verfolger sah. Doch allzu weit kam sie nicht, denn die Männer hatten sie eingeholt. Japsend blieb sie stehen und sank auf die Knie. Sand knirschte zwischen ihren Zähnen. Unwillkürlich spuckte sie und hob den Kopf, als drei verschleierte Männer vor ihr standen.

»Ich bin nicht verrückt«, flüsterte sie schluchzend und blickte in die stahl blauen Augen des Mannes, der sie betrübt ansah und ihr seine Hand entgegenstreckte.
Doch Yasmina schlug wütend auf dessen Hand und versuchte, sich alleine aufzurichten.
Nun stand sie erhobenen Hauptes vor ihm, wie es sich für eine Prinzessin gehörte und wischte sich die Tränen fort.
»Komm mit!«, forderte der Prinz sie sanft auf und ging voraus.
Sie blieb jedoch stehen, denn Fragen über Fragen schwirrten der Reihe nach durch ihren Kopf. Die Stimme des Mannes hatte sie doch schon einmal gehört. Nur wo? Dann verwarf sie diese Frage mit einem Kopfschütteln. Gezwungenermaßen folgte sie ihnen zu ihrem Zelt. Bevor sie allerdings hineinging, warf sie allen einen verächtlichen Blick zu und verschwand hinter der Zeltwand.

Kurze Zeit später trat ein junges Mädchen, dessen Haare in mehreren Strähnen mit bunten Perlen geflochten waren, in ihr ärmliches Gemach ein. Sie trug ein Tablett mit Brot, Käse, Butter und Milch und stellte es auf einem niedrigen Tischchen ab.
Prinzessin Yasmina hatte sich an die gestapelten Wollbetten gelehnt, den Kopf zwischen die Knie gesenkt und zerfloss in bitteren Tränen. Bewegt durch den herzzerreißenden Anblick der Prinzessin, verließ das Mädchen das Zelt, ohne ein Wort zu sagen.
»Sie weint«, berichtete sie dem Prinzen leise, ohne dabei aufzuschauen.
Prinz Karim senkte den Blick. Ein stechender Schmerz durchzog seine Brust. Nun hatte er sie im Tageslicht gesehen und selbst der Staub der Wüste, der auf ihrem Gesicht lag, konnte ihre Schönheit nicht überdecken. Nur einen Augenblick hatten sich ihre Blicke ineinander verfangen, als er ihr aufhelfen wollte. Und dieser Blick hatte erreicht, dass sein Herz stolperte, wenn er an die feuchtglänzende Schwärze ihrer Augen dachte. Ihre Wimpern waren mit Tränen benetzt und schimmerten im gleißenden Licht der Sonne.
Es war an der Zeit, zum nächsten Teil des Plans überzugehen. Er wartete vor ihrem Zelt, aber sie kam nicht heraus, und sie blieb auch dort, als es Abend wurde.
Ein großes Feuer wurde angezündet, um das sich die Nomaden versammelten. Ein großer Kilim, wurde draußen auf dem Boden ausgebreitet und jeder, der etwas gekocht hatte, stellte es darauf. Mit vielen Menschen zusammen zu speisen, schmeckte eben besser. Nach dem Abendmahl wurden gerne Geschichten, Sagen und Märchen erzählt, Tabak geraucht, manchmal aber auch Gedichte und Lieder vorgetragen.
Prinz Karim's nachdenklicher Blick jedoch, verharrte auf dem Zelt von Yasmina. Seit dem Vorfall am Vormittag hatte sie sich nicht mehr sehen lassen. Ihm war unbehaglich geworden, sodass er jede Stunde nach ihr schauen ließ. Besorgt berichteten die Mädchen, dass die Prinzessin das Essen nicht anrührte, aber der Wasserbehälter immer leer war. Er begann nachzudenken. Sie ist stur, hatte der Sultan gesagt. Wenn dem so war, dann würde sie gewiss nichts essen.
Drei Tage waren vergangen und die Prinzessin ließ sich noch immer nicht blicken. Auf dem Tablett, das herausgetragen worden war, fehlten nur die Datteln.
Prinz Karim musste sich etwas überlegen, um die Prinzessin zu beschwichtigen. Als die Finsternis das Tageslicht verschluckte, zogen sich die Nomaden nach und nach in ihre Khaimas zurück. Der Himmel war klar und gesprenkelt mit Millionen von funkelnden Sternen. Der Wind blies angenehm, doch der Sand fühlte sich immer noch warm an.

Prinz Karim fand keine Ruhe. Mit einer Hand auf dem Knauf seines Säbels und der anderen am Gürtel, lief er auf und ab, bis er sich schließlich entschloss, mit ihr zu sprechen. Er blickte auf das Zelt, in dem kein Licht mehr brannte.
»Hoffentlich schläft sie noch nicht«, sagte er zu sich selbst und trat an das Zelt. Zuerst horchte er auf ein Geräusch, wie Weinen oder ein leises Schnarchen, doch nichts von alldem war zu hören. Er hustete zweimal leicht und legte das Ohr an die Bespannung.

»Aisha, bist du noch wach?«
Nichts tat sich.
»Aisha, ich würde gerne mit dir sprechen, falls du...«
Die Zeltwand schob sich zur Seite und sie spähte hinaus.
»Ihr wünscht?«, fragte sie verdrossen, warf ihm nur einen kurzen Blick zu und senkte ihn wieder.
»Ich möchte dich gerne sprechen, da wir jetzt ungestört sind. Wo ist Amina, die alte Frau?«
Sie zuckte die Achseln.
»Worum geht's?«, fragte sie, ohne den Blick zu heben.
»Um dich.«
»Was gibt es über mich zu bereden? Alle denken, ich sei verrückt.«
»Nun, ich nicht. Ich möchte dir glauben und helfen.«
Sie wurde hellhörig und sah ihn flüchtig an.
»Ihr wollt mir helfen? Warum diese Fürsorge?«
»Können wir bitte draußen sprechen, im Freien? Um Gerede zu vermeiden.«
»Ihr dürft mich nicht ansehen. Es ist verboten, der Prinzessin ins Gesicht zu schauen, und sprecht mich nicht mit Du an. Es ziemt sich nicht.«
»Wie Ihr wünscht«, schmunzelte er.
Sie trat hinaus, blickte kurz um sich und setzte sich auf den noch warmen Boden.
Dann zog sie die Knie an und schlang die Arme um ihre Beine. Voller Bewunderung starrte sie gen Himmel, in dem die hell leuchtenden Sterne ihren Blick fesselten. Da ergriff der Prinz ihre Hand und besah sie von allen Seiten.
Empört über die Handlung des Mannes, dessen Namen sie noch nicht einmal kannte, zog sie ihre Hand zurück.
»Das dürft Ihr nicht, das ist verboten«, zischte sie und sah ihn erbost an.
»Verzeiht, dass ich das Verbot übergangen habe. Ich wollte mir sicher sein, dass Ihr kein Nomade seid. Eure Hände sind weich wie Samt. Sie scheinen noch nie gearbeitet zu haben. Die der Nomaden sind rau und vom Wetter gegerbt. Außerdem ist Eure Sprache sehr vornehm und klingt anders als die von den ihren.«
»Genau wie Eure. Ich nehme an, Ihr seid nicht einer von ihnen?«, fragte sie abschätzig.
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin mit zwei Freunden auf der Durchreise. Es mag sich absurd anhören, aber ich bin nicht sesshaft geworden. Lange hätte ich schon heiraten sollen, aber es hat sich nicht ergeben.« Er lächelte verlegen.
Hm, vermutlich ist er auf der Brautsuche. »Wer seid Ihr? Wie ist Euer Name?« Ihre Stimme wurde milder.

»Ich bin Ka... mein Name ist Selim Kalam. Wir bleiben noch ein paar Tage hier. Danach werden wir wieder fortziehen. Wenn Ihr wünscht, nehme ich Euch mit.«

Schlagartig leuchteten ihre Augen wie Rauchobsidian und sie sah ihn an.

»Ihr würdet mich mitnehmen? Ich wäre Euch sehr dankbar und mein Vater wird Euch großzügig belohnen. Bitte sagt mir, wie weit ist, Aqaba von hier?«

Er wagte einen kurzen Blick auf ihr Gesicht. Sterne spiegelten sich in ihren Augen wie in schwarzen Diamanten wieder. Endlich sah er einen Funken Hoffnung in ihnen. Sein Herz machte einen Satz, für den Bruchteil einer Sekunde setzte sein Verstand aus.

»Äh... Sehr weit.«

Enttäuscht senkte sie die Lider und schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Das kann nicht sein. Man hat mich in der Nacht entführt und ich bin morgens hier aufgewacht.«
Er musste sich schnell etwas überlegen. Es schien ihr an Intelligenz nicht zu mangeln.
»Ich denke, man hat Euch etwas eingeflößt. Etwas, was Euch lange hat schlafen lassen.«
Sie nickte und schwieg ein Weilchen.
»Vermutlich habt Ihr recht. Man hat ein übel riechendes Tuch an meine Nase gepresst. Möglicherweise mit Schlafmittel getränkt. Wie lange seid Ihr schon hier?«
»Wer ich?« O Barmherziger, sie ist ja noch intelligenter, als ich angenommen habe. »Vor drei Tagen sind wir im Morgengrauen hier angekommen.«
»Und... Ihr habt nichts Ungewöhnliches bemerkt?«
»Nein, wir, ich meine... meine Freunde und ich haben im Khaima geschlafen, aber etwas Ungewöhnliches? Nicht, dass ich wüsste.«
Die Prinzessin sah ihn skeptisch an, zog es aber vor, zu schweigen.

Die Wüstenprinzessin - Auf der FluchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt