Prinz Karim's Glück war nichts entgegenzusetzen. Amina hatte ihm erzählt, dass die Prinzessin nach ihm gefragt hatte. Dies bedeutete, dass sie Gefallen an ihm fand. Sobald er sicher war, dass sie sich in ihm verliebt hatte, wollte er ihr alles gestehen. Er war sich sicher, dass sie ihm verzeihen würde.
Am nächsten Tag zeigten die Nomadenmädchen Yasmina, wie sie das Wasser aus dem Brunnen holen konnte. Einen ganzen Morgen lang hatte sie Wasser geschleppt, um zu Kochen, die Wäsche zu waschen und die Tiere zu tränken. Ihre Hände brannten höllisch, das Kreuz tat ihr so weh, sodass sie sich nicht aufrecht halten konnte. Gekocht hatte sie nicht unbedingt. Denn wer hätte das Essen vertilgt von jemandem, der in seinem Leben noch nie vor dem Herd, geschweige denn vor einer Feuerstelle gestanden hatte. Doch Amina gab nicht auf und zeigte ihr, wie sie zumindest ihre eigene Wäsche waschen konnte. Die Hitze der Sonne brannte auf ihr Haupt herab, ließ Schweißperlen ihre Stirn hinablaufen, die sie immerzu erzürnt fortwischte. Erschöpft besah sie sich ihre geschwollenen Hände und schmiss das Kleid, das sie eben noch gewaschen hatte, wütend auf den Boden, worauf die Nomadenfrauen schmunzelnd den Kopf schüttelten. So vergingen Tage, um genau zu sagen, eine ganze Woche, und es wurde Freitag.
Alle Vorbereitungen für den Hennaabend waren getroffen. Die Henna wurde zubereitet, geknetet und geformt. Kerzen wurden angezündet und die Braut trug ein traditionelles rotes Gewand, dessen Stoff mit Silberfäden durchwirkt war.
Die Frauen hatten sich in dem größten Zelt versammelt, um zu feiern. Die Männer machten draußen am Feuer Musik und tanzten. Heiratsfähige Mädchen bildeten singend einen Kreis um die Braut. Nachdem die Henna zu kleinen Bällen geformt wurde, schmückte man ein Tablett mit brennenden Kerzen, Blüten und den Hennabällchen darauf, das über der Braut gehalten wurde. Khadija trug ein rotes Seidentuch über dem Kopf, das ihr Gesicht bedeckte. Nun begannen die Frauen melancholische Lieder zu singen, um die Braut zum Weinen zu bringen, da sie das Elternhaus am nächsten Tag verlassen musste.Eine junge Frau, die glücklich verheiratet war, bemalte die Hände der Braut mit Henna, damit sich ihr Glück auf die Braut übertrug und währenddessen weinte Khadija. Yasmina konnte es nicht verstehen, aber beließ es dabei.
Sie ließ es sich natürlich nicht nehmen ihre Hände ebenfalls mit Henna zu bemalen und ging kurz an die frische Luft. Sie sog die erfrischende Wüstenluft tief ein und sah zu der versammelten Menge, die mit dem Bräutigam feierte. Einige Männer saßen am Feuer, während andere tanzten.
Dann erblickte sie Karim und ihr Herz begann zu flattern, wie ein neu geborener Schmetterling. Weshalb fühle ich mich so seltsam, wenn ich ihn sehe? Mein Herz schlägt dann immer so schnell, dass ich glaube, nicht mehr atmen zu können. Was kann es sein? Ich muss mit jemanden darüber reden. Khadija? Amina? Ist es das, wovon alle Frauen erzählen? Etwa die Liebe? Wenn es die Liebe ist, fühlt es sich sehr gut an. Aber ich bin eine Prinzessin und Selim ist kein Prinz. Ob mein Vater einer Heirat mit ihm zustimmen würde? Sie lächelte bei diesen Gedanken. Ich muss ihn näher kennenlernen.
Plötzlich fuhr sie herum, als sich ihr jemand näherte.»Er ist ein guter Mensch und er wird einen guten Mann abgeben«, bekannte Amina und reckte das Kinn andeutend.
Yasmina blickte erneut versonnen zu ihm hinüber.»Amina, was ist das, was ich fühle, wenn ich ihn sehe? Warum schmerzt meine Brust und mein Herz freut sich zugleich? Ich bin voller Freude und möchte am liebsten Bäume ausreißen. Ist es die Liebe, von der alle sprechen? Ich habe sie zuvor noch nie erfahren dürfen.« Ihre Stimme zitterte auf einmal. Sie fuhr mit dem Finger an ihr Auge und fühlte eine Träne. Eine Träne der wahren Gefühle.
Amina nickte vielsagend. »Gehe schlafen«, forderte sie sie auf. »Morgen werdet ihr abreisen. Möchtest du hässliche Ränder um die Augen haben?« Die Greisin blickte auf Yasmina, deren Augenmerk immer noch auf Prinz Karim gerichtet war.
»Wer ist Aisha?«»Geh schlafen, sonst wachst du mit Krähenfüßen im Gesicht auf«, wehrte die Alte ab.
Nachdenklich sah sie die Greisin an. Sie konnte sich nicht erinnern, Amina oft lachen gesehen zu haben. Ihre dunklen Augen hatten längst ihren Glanz verloren und erzählten von einer einst durchlebten Tragödie. Etwas musste aus ihrem Leben gerissen worden sein.»War sie deine Tochter?«, beharrte Yasmina auf.
»Es ist lange her.« Aminas Ton war schroff. Sie schlurfte in Richtung ihres Zeltes, ohne noch einmal nach hinten zu schauen.
Yasmina sah ihr betrübt nach und wandte sich wieder zu den Männern, die am Feuer saßen.Urplötzlich drehte Karim den Kopf in ihre Richtung, als hätte er ihren Blick auf sich gespürt. Er stand auf und kam auf sie zu.
»Du siehst bekümmert aus. Ist irgendetwas vorgefallen?«
»Kennt Ihr die Geschichte von Amina und ihrer Tochter Aisha?«
Er nickte betrübt.
»Ich habe sie gefragt, ob sie ihre Tochter wäre, aber sie hat nur gesagt: Es ist lange her. Etwas Tragisches muss mit ihr passiert sein, aber sie wollte nicht darüber reden. Nennt sie mich deswegen Aisha? Weil ihre Tochter so hieß?«Sachte legte er seine Hand auf ihren Arm.
»Es ist kühl geworden, Prinzessin. Du solltest hineingehen oder darf ich dich nicht so ansprechen?«
Sie sah auf seine Hand, die immer noch auf ihren Arm ruhte.
»Werde ich dich wiedersehen, wenn du mich nach Hause gebracht hast?«, fragte sie leise und blickte auf den Boden.
Lauer Wind wehte und blies ihr das Haar ins Gesicht...»Würdest du mich wiedersehen wollen?« Zärtlich hob er ihr Kinn an und strich die Strähne aus ihrem Gesicht.
»Ja«, wisperte Yasmina und merkte, wie ihr Herz wild gegen ihren Brustkorb schlug. Das Blut stieg ihr in den Kopf, ein Schwindelgefühl erfasste sie. Zerstreut strich sie sich die Haare hinter das Ohr.
Prinz Karim legte seine Hände auf ihre zarten Schultern und sah ihr tief in die Augen. »Du bist so schön, so bezaubernd wie eine Jungfrau aus dem Paradiese, von deren Anmut überall erzählt wird.«Unwillkürlich verfingen sich ihre Blicke und konnten sich nicht voneinander lösen. Instinktiv neigte er sein Haupt tiefer, sodass sein warmer Atem ihr Gesicht streichelte. Kaum merklich öffneten sich ihre Lippen, wobei sich ihre Lider schlossen. Nur einen Hauch waren sie davon entfernt, sich zu berühren, sich gegenseitig auszukosten und den ersten Kuss der Liebe zu erfahren. So verloren sie sich im Bann der Liebe und wurden herausgerissen, als die Musik, welche die Nomaden zum Tanzen lud, Yasmina zusammenzucken ließ. Verwirrt trat sie einen Schritt zurück und räusperte sich.
»Schönheit allein taugt nichts. Das musste ich hier feststellen.« Ein beschämtes Flüstern, das ihre Lippen verließ, die ihrem ersten Kuss so nahe gewesen waren.
»Das stimmt nicht ganz«, widersprach Karim und berührte ihre Wange liebevoll. »Du kannst immerhin Ziegen melken und Brot backen... Ach ja und Wasser schleppen. Ist das nichts?« Sein Lächeln zauberte ein Schmunzeln auf ihr Gesicht. »Geh schlafen. Wir werden morgen früh abreisen.«
Yasmina nickte und sah ihm noch einmal in die blauen Augen, die ihre Seele berührten. Als sie sich umdrehte, hielt er ihre Hand fest, die einst glatt und geschmeidig gewesen war.
»Deine Hände...«Er holte ein kleines Kästchen aus seiner Tasche heraus und drückte es in ihre Hand. »Das ist Melkfett vom Kamel. Salbe sie damit ein und du wirst sehen, es bewirkt Wunder. Sie werden wieder geschmeidiger.«
Yasmina besah sich ihre Hände, die von der harten Arbeit rau geworden waren.
»Ich danke dir und wünsche dir eine geruhsame Nacht.«»Schlaf gut, Wüstenprinzessin.«
Yasmina eilte zu ihrem Zelt. Bevor sie aber hineinging, warf sie ihm noch einen bedeutsamen Blick zu, dem ein Lächeln folgte. Mit gemischten Gefühlen sah Prinz Karim ihr noch lange nach. Ihr Blick und ihr Lächeln hatten ihm Mut zugesprochen. Doch was, wenn sie erfuhr, dass er ihr Entführer war? Wenn sie sich in ihn verliebte, würde ihre Liebe ausreichen, um ihm zu verzeihen? Gefangen in eigenen Gedanken, führten ihn seine Füße zu seinen Männern hinüber.
***
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Die Wüstenprinzessin - Auf der Flucht
FantasyDie ungestüme Prinzessin Yasmina ist im heiratsfähigen Alter und lehnt all ihre Verehrer ab, um den Mann ihres Herzens selbst bestimmen zu können. Auch Prinz Karim ist unter den abgewiesenen Kandidaten, Doch gibt dieser nicht auf und schmiedet einen...