Folge von Yasmina

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Eine kurze Stille legte sich über die Beiden. Yasmina versuchte, auf ihre Fragen selbst Antworten zu finden. Dann unterbrach sie das Schweigen.

»Ihr würdet mich also mitnehmen? Wie wollt Ihr es anstellen? Was ist, wenn die Nomaden Euch daran hindern wollen?« Und doch schien sie Zuversicht zu haben. Ihre Augen waren nicht mehr trüb, sondern glänzten erwartungsvoll.

Er nahm seinen Schleier ab, wobei seine an den Seiten und am Hinterkopf kurzgeschorenen Haare zum Vorschein kamen, und auch sein markantes wurde Gesicht erkennbar. Er fuhr mit den Fingern durch seine Haare.

»Ich kenne das Volk. Mein Weg führt oft hier vorbei. Daher bin ich mir sicher, dass ich Euch zuvor noch nie gesehen habe. Mich beschäftigt jedoch eine Frage. Wie kann es sein, dass man Euch aus einem bestimmt gut bewachten Palast entführen konnte und niemand hat es mitbekommen? Vor allem aus welchem Grund hat man Euch hierher gebracht? Die Nomaden können es nicht gewesen sein. Wahrscheinlich war es jemand, den sie sehr fürchten müssen.«

Er sah sie an, als sie ihm in dem Moment ihr Gesicht zugewandt hatte. Sie wirkte noch immer traurig. Dennoch schaute sie ihm das erste Mal so intensiv in sein braun gebranntes Gesicht mit den stechend blauen Augen, die Yasmina an das Meer in Aqaba erinnerten. Sie glaubte in ihnen, den silbrigen Glanz des Mondes auf schimmerndem Gewässer zu sehen, und fühlte sich wie von den Wogen des rauschenden Wassers eingekreist, die sie sanft in das weite Meer hinaustrieben.
Sie gestand sich selbst, dass sie noch keinen schöneren Mann gesehen hatte, der um ihre Hand anhielt.
Einen Moment lang hielten sich ihre Blicke fest, bis sie ihren beschämt zu Boden senkte. Etwas hatte sie innerlich durchgeschüttelt und sie konnte sich nicht denken, was es war. Zum ersten Mal hatte sie einem fremden Mann in die Augen geschaut, dessen Blick sie erschauern ließ.
»Wo... woher habt Ihr die blauen Augen?«, fragte sie leise, um ihre Verwirrung zu verbergen.
»Es ist eine lange Geschichte«, begann der Prinz zu erzählen. »Mein Vater war ein Diplomat und meine Mutter eine Europäerin. Sie hatte die schönsten blauen Augen, die ich jemals gesehen habe.«
Sie nickte, als wollte sie aha sagen, dann überlegte sie.
»Ihr sagtet, sie hatte - Ist sie...?«
Der Prinz schwieg und hob den Kopf gen Himmel. Der laue Wind strich über ihre Gesichter und hinterließ beim Vorbeiwehen, den Geruch von Sand und brennendem Holz.
Es hörte sich wie ein Seufzen an, als er hörbar ausatmete.

»Es tut mir leid«, flüsterte Yasmina. »Ich habe meine Mutter auch in jungen Jahren verloren. Mein Vater war immer für mich da, aber ein Vater kann eine Mutter nicht ersetzen.«
Schweigend starrten sie in den funkelnden Sternenhimmel und verweilten so eine Weile, bis Yasmina sich räusperte und in Richtung der Zelte sah. Wie Furcht einflößende schwarze Schatten sahen sie bei Nacht in der Wüste aus. Die Dünen bewegten sich sanft im wehenden Wind und veränderten leicht ihre Formen. Ein Schaudern überkam sie.
»Ihr seid also die Tochter von Sultan Abdul-Rashid?«, fragte der Prinz, um die gespenstische Stille zu durchbrechen.
»Hmm.« Sie nickte und ein winzig charmantes Lächeln umspielte ihren Mundwinkel.
Intuitiv nahm sie einen herumliegenden Zweig in die Hand und zeichnete in den Sand. Sie war so vertieft in ihrem Tun, dass sie noch nicht einmal bemerkte, wie der Prinz sie schmunzelnd beobachtete.
Die Überlieferungen über ihre Schönheit sind untertrieben. Ich muss Herr meiner Sinne bleiben, damit ich sie nicht sofort in meine Arme schließe.
Sein Herz pochte bei ihrem Anblick, wobei er versuchte, gleichmäßig zu atmen. Wenn sie tatsächlich mit ihm ginge, würde er sie nicht direkt in den Palast zurückbringen. Nein, er würde ihr die Welt zeigen und sichergehen, dass sie sich in ihn verliebte. Ihre honigsüße Stimme, riss ihn aus seinen Träumen.
»Selim...«
»Hmm?« 
»Ich weiß nicht, ob es sich gehört, aber ich bin froh, Euch getroffen zu haben. Ich kann mir jedoch nicht denken, wieso man mich entführt hat. Lösegeld? Wer würde sich das trauen? Vielleicht möchte mich jemand als Sklavin verkaufen, zum Beispiel an das gegnerische Reich? Aber, meinem Kenntnisstand nach, haben wir keine Feinde. Mein Vater lebt mit allen anderen Königreichen in Frieden.«
Er berührte sanft ihre Schulter, wobei die Wärme seiner Hand sie zucken ließ. Etwas rührte sich erneut in ihr und sie merkte, dass es ihr Herz war, das anders schlug. Es pumpte schneller und sie stellte sich erneute Fragen. Fühlte es sich so an, wenn ein Mann eine Frau berührte? Oder erging es nur ihr so? Sie spürte eine Welle, die sich vom Bauch bis zu ihrem Herzen zog, sich aber sehr schön anfühlte.
»Macht Euch keine Sorgen. Ich bin bei Euch und werde es nicht zulassen, dass Euch etwas geschieht.« Der Blick in seinen Augen hätte jede Frau um den Verstand gebracht und Yasmina erging es nicht anders. War hier Magie im Spiel? Sie fühlte ihre Wangen glühen und hoffte innerlich, dass er es nicht merken würde.
Doch der Prinz steckte seine Hand in die Innenseite seines Hemdes und holte etwas heraus. »Ihr habt noch nichts gegessen. Ich habe etwas Brot hier.«
Er reichte es ihr und sie nahm es mit einem zauberhaften Lächeln entgegen. Sie wickelte das Tuch ab und biss hinein. Und wieder richtete sie ihr Augenmerk gen Himmel, denn die Kraft, noch einmal in seine Augen zu schauen, würde sie nicht mehr aufbringen.
»Das Brot schmeckt sehr gut«, gab sie bekannt und biss noch einmal hinein.
»Ich habe leider nichts Anderes. Aber morgen früh gibt es frisch geschlagene Butter und Käse.«
»Danke. Es ist gut so, wie es ist.«
»Ihr seid sicherlich müde und solltet Euch ausruhen.«
»Nein«, flüsterte sie kaum hörbar. »Die Luft ist so schön und die Sterne sehen aus wie auf schwarzen Damast gestickt. Als hätte sich Tau vor den Himmel gelegt. So habe ich sie noch nie betrachtet.«
»Dann werde ich Euch noch etwas Gesellschaft leisten, wenn Ihr nichts dagegen habt.«
Sie schüttelte sanft den Kopf, worüber er sich sehr freute. »Wisst Ihr, als ich Euch das erste Mal sprechen hörte, dachte ich, Prinz Karim vor mir zu haben. Aber diesen Gedanken habe ich sofort verwerfen müssen.«
»Prinz Karim?«
»Ja, ein Prinz aus dem Jemen. Ich habe ihn nicht gesehen, jedoch hat er dieselbe warme Stimme wie Ihr. Aber ich würde niemals annehmen, dass Ihr der Prinz seid.«
»Aus welchem Grund? Mögt Ihr Prinz Karim nicht?«, bohrte der Prinz weiter.

»Wie kann ich jemanden mögen oder nicht mögen, wenn ich ihn nicht kenne? Er hat um meine Hand angehalten, aber ich wollte nicht jemanden heiraten, nur weil mein Vater dem zustimmte.«

»Allein aus diesem Grund oder hat er Euren Erwartungen nicht entsprochen?«

Sie schlang ihre Arme um die angezogenen Beine, schenkte ihm ein Lächeln und sah versonnen wieder in den Himmel.

»Ich möchte aus Liebe heiraten und nicht den Mann, den mir mein Vater ausgesucht hat. Der Mann, den ich wählen werde, muss ein Abenteurer sein, mich aus dem Palast entführen und hinaus in die weite Welt begleiten.«

Prinz Karim lachte leise:Wenn du wüsstest, Prinzessin. Du wirst dein Abenteuer bekommen, mehr als es dir lieb sein wird...
»Und habt Ihr eine Vorstellung, wie er aussehen sollte?«
Sie lächelte verlegen.

»Nein, aber er müsste mein Herz zum Rasen bringen, wenn ich ihn anschaue. Er sollte einen warmen Blick haben, damit ich mich bei ihm aufgehoben fühle. Und vielleicht so klare Augen wie Ihr sie habt. Obwohl es keine Bedingung ist.«

»Und... findet Ihr, dass ich einen warmen Blick habe?«
»Ich glaube, ich sollte besser schlafen gehen«, flüsterte sie beschämt. »Amina weckt mich bestimmt, bevor die Sonne aufgeht. Die Frau ist furchtbar. Ich verstehe nicht, warum sie mir glaubhaft machen möchte, dass ich jemand anderes bin. Selim, ich danke Euch, dass Ihr mir zugehört habt.«

Sie standen gleichzeitig auf. Yasmina klopfte den Sand von ihrem Kleid.
»Schlaft gut Wüstenprinzessin«, schmunzelte Karim. »Ich werde diese Nacht immer in gute Erinnerung behalten.«

»Euch auch eine angenehme Nacht«, wünschte sie und verschwand in ihrem Zelt.

Die Wüstenprinzessin - Auf der FluchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt