Prolog

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Die Klippe ist es, die nur wenige Centimeter vor meinen Füßen endet. Genau wie mein Leben in wenigen Minuten enden wird. Wie die Flamme einer Kerze erlischt, wenn man dem schwachem Licht den Sauerstoff langsam und qualvoll entzieht. Oder so, wie die Faust verschwindet, wenn man die Finger öffnet.

Ein kleiner Schritt und man wird mich für immer vergessen. Ein ganz kleiner Schritt. Mehr nicht. Dann muss ich nicht mehr leiden. Dann bin ich weg. Nur ein Schritt. Wie lange ich schon auf diesen Moment gewartet habe.

Leise fließt mein Blut an meinen Armen und Beinen herab. Das werde ich hinterlassen. Mein vergossenes Blut. Mehr hatte ich ja nicht. Aber ich habe trotzdem dafür gesorgt, dass es mir entwischt. Dass es meinen zu dünnen Körper verlässt.

Meine Augenringe sind tief. Tief und gefährlich rot. Mein Gesicht vernarbt. Meine Haut zerkratzt. Aufgekratzt. Genau so vernarbt. Meine braunen Haare fallen glatt und doch ein wenig gewellt sanft auf meine Schulterknochen. Meine blaugraugünen Augen haben den Glanz verloren. Ich habe mich verloren.

Es ist Vollmond. Luna begleitet mich jetzt den letzten Augenblick. Ich habe es ungefähr tausend mal durchgedacht. Wenn hier jemand den Tod finden will, dann findet er ihn auch. Solange ihn keiner aufhält. Solange er sich traut.

Gib mir noch ein bisschen Zeit. Nur ein kleines bisschen. Dann bin ich soweit.

Es ist wie eine Prüfung. Der eine fragt, ob man den Leiden wirklich auf diese Weise entfliehen will. Der andere fragt, ob man nicht doch nach dem Glück suchen will und erinnert einen daran, dass du nur ein einziges mal sterben kannst.

Aber es gibt auch ein paar, die meinen, man solle auf sein Herz hören. Und das mache ich. Ich höre, wie mein Herz mir wehmütig und kraftlos zuflüstert, ich kann mich nur mit dem Tod retten.

Der ständige, kalte Regen um mich herum begleitet meine Trauer, die sich in meiner Seele verhackt hat, sie auffrisst, bis nur noch Leere da ist.

Gleich, um Mitternacht ist mein Schmerz vorbei. Nur noch wenige Sekunden. Dann wird der schwarze Stofffetzten um mich herum, denn ein Kleid ist es nicht mehr, zerrissen. Dann wird meine Haut zerfleischt.

Ich mach mir nur Sorgen um das Wasser und um die Tiere darin. Ich will sie nicht durch meine Überreste mit in den Tod ziehen.

Ein Blick auf meine Uhr. Um Zwölf.

Ich lasse mich nach vorn kippen. Erst ganz langsam. Dann treibt mich der Wind immer mehr in die Tiefe der Fluten.

Hoffentlich funktioniert es. Hoffentlich.
Meine füße spüren keinen boden mehr. Ich stürze. Meine Haare peitschen in Richtung Himmel, während mein Körper sich im freien Fall dreht und unter Qualen windet wie ein Waschlappen, dem das dreckige Wasser ausgesaugt wird.

Ich wusste gar nicht, dass ich mich so frei fühlen kann. Selbst mit gebrochenem Herzem nicht. Aber genauso fühlt es sich an. Frei. Als würde ich noch ein mal leben. Richtig leben.

Ein kleiner, kurzer Moment. Ein letzter, tonloser Schrei verlässt meine Kehle. Bis mich das eiskalte Wasser langsam verschlingt. Bis ich eintauche.

VerbotenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt