Manchmal habe ich ziemlich komische Fragen. Und manchmal wünsche ich mir einfach nur Antworten. Zum Beispiel darauf: Kann man sich Erinnerungen einreden? Oder: Wie sieht das Nichts aus? Gibt es einen Unterschied zwischen geliebt sein und geliebt werden? Wird die Menschheit überleben, wo die Menschheit doch selbst die Welt zerstört und die Natur verunstaltet?
Oder auch die Frage, ob ich ja oder nein sagen soll, wenn Jayden mich wegen dem Tanzen fragt.
Das Leben ist voller Entscheidungen. Und jede Entscheidung ist wichtig für den Verlauf des Lebens.
Auch wenn die Entscheidung nur klein ist, kann sie vieles verändern. So wie meine Entscheidung, dass ich jetzt in der Mittagspause mit Paula rede. Sie erzählt mir das gleiche wie Karina mir schon erzählt hat. Nur mit dem Unterschied, dass sie nicht weiß, dass er auf mich steht. Aber auch andere Dinge. Komische Dinge.
"Und weißt du, was ich merkwürdig finde, er lächelt mir ja immer zu und beim Probenlager hat er sich ja auch ständig neben mich gesetzt. Gestern hatten wir geschrieben und da hat er mich eben höflich gefragt, ob er 'n Bild von mir haben darf. Und, klar hab ihm eins geschickt. Du hättest ja sicher das selbe gemacht, oder? Naja, er hat dann geschrieben, dass er mich nicht erkennt", erklärt sie mir, während ich zwischendurch nur nicke und ab und zu mal ein 'Mh' murmel.
Jetzt ist mein Gesichtsausdruck nur mit Verwunderung gespickt. Er hat sie nicht erkannt, obwohl er sie anlächelt. Wenn Jayden ein Bild von mir bekommen würde, würde er mich da auchnicht erkennen? Keine Ahnung. Sicher nicht.
"Ich weiß nich', magst du ihn denn?", weißt sie mich darauf hin, dass ich ja auch noch Gefühle habe.
"Ich? Das weiß ich selbst nicht. Ich denke schon über ihn nach und so, aber wenn ich ihm dann in der Schule begegne, dann is' halt nix. Für mich is' das auch grad' alles voll kompliziert, die ganze Situation."
Ich muss mir selbst eingestehen, dass ihn vielleicht ein bisschen süß finde, aber das kann ich irgendwie keinem so richtig anvertrauen. Ich hab ja auch Karina gesagt, dass ich ihn so'n bisschen mag. Und die beiden werden sich auf jeden Fall darüber unterhalten.
"Du kannst mir das ruhig sagen. Ich bin dir ja auch nicht böse und so. Weil wenn's so is', dann isses' so. Und daran kann ich halt nix ändern. Klar, 's wäre schön doof aber du kannst mir das wirklich sagen."
Aber ich kann es nicht sagen. Selbst wenn ich es wöllte. Geht einfach nicht. Ich will Paula schließlich auch nicht anlügen. Und wenn ich mir selbst nicht im Klarem darüber bin, was soll ich denn da machen?
"Ich weiß es aber wirklich nicht. Frag mein Herz, es hat schließlich kein Bock, mir zu antworten." Ich blicke ein wegig betroffen in ihre forschenden Augen, die mir sagwn, dass sie ehrlich bekümmert ist.
"Und du weißt es wirklich ganz sicher nicht?", hackt sie noch einmal nach.
"Ja, ich bin sicher, dass mein Herz momentan den Kommunikation zwischen ihm und meinem Hirn verweigert. Mich würde es ja auch brennend interessieren."
Sie atmet tief durch als Zeichen, dass sie aufgibt mich auszuquetschen.
~
Das Messer scheint mir als einziges des Schmerz für kurze Zeit zu rauben. Durch den körperlichen Schmerz, der durch einen Schnitt auf der Haut zu spüren ist, lenkt einen von den seelischen Qualen ab. Auch wenn nur kurz.
Je tiefer der seelische Schmerz , desto tiefer die Wunde, desto mehr Blut, desto mehr Narben.
Das Zimmerlicht ist aus. Nur der Schein Lunas gibt mir noch die Kraft, die Umrisse meines Blutes wahrzunehmen.
Luna. Sie ist diejenige, die mich am besten kennt. Weil sie beobachtet mich. Sie scheint in ihrem schönstem Licht auf uns verlassenen Menschen herab.
Mein Bruder schreit sich im Zimmer nebenan die Kehle aus dem Leib. Flüche, Beleidigungen. Wenn man genau hinhört, kann man sie verstehen. Und sich merken. Und anwenden, wenn sie gebräuchlich werden könnten.
"Du Hurensohn! Wo bist du, ich kill dich. Du Bastard!" Er hat wahrscheinlich wieder seine Kopfhörer auf und hört viel zu lauten Hardstyle, während seine PayStation 3 Töne von sich gibt, die einen darauf hinweisen, dass gerade eine Handgranate geworfen wurde.
Dieses Gemisch aus den lauten unharmonischen Klängen hat seine Vorteile und Nachteile. Der Vorteil: ich wegen des Schmerzes mitschreien. Der Nachteil: mein Bruder ist am Kollabieren und ich werde daran erinnert, dass er mich gegen das Spiel eingetauscht hat. Und das bringt wiederum mich zum Schreien.
Dann das euch wohl bekannte Problem mit dem Fett. Ich will es ignorieren, aber es klappt nicht. Denn um es ignorieren zu können, darf ich es nicht berühren. Und das ist schwierig, wenn man einschlafen will.
Klar, ich könnte mit dem Messer das Fett rausschneiden, aber nein. Ich wüsste nicht, was ich dann noch entfernen könnte.
Ich wünschte, ich wäre depressiv genug, um mich umzubringen, ohne daran denken zu müssen, was nach mir passiert. Oder ich wäre gar nicht depressiv. Dann könnte ich mir das hier alles ersparen.
Aber das Leben hasst mich. Wie so vieles anderes auch. Zum Beispiel die neue Klasseneinteilung. Damals hatte ich meine Freunde vereint in einer Klasse bei mir. Jetzt sind sie verteilt. Jetzt kann ich mit keinem mehr über das Problem mit Jayden reden. Weil keiner ist eingeweiht.
Ein Schnitt für die Depressivität.
Ein Schrei.
Ein Schnitt für die Freunde.
Ein weiterer Schrei.
Ein Schnitt für Jayden
Ein Schrei.In der Schule bin ich immer schlechter geworden. Vielleicht hätten meine Eltern und sonst mein ganzes Umfeld damals recht. Vielleicht gehöre ich wirklich nicht auf das Gymnasium.
Denn das war es, was damals passiert war. Es weiß keiner. Nur ich und Luna. Meine Eltern wollten mich auf die Mittelschule (jetzt heißt es Oberschule) schicken. Meine Lehrer hatten keine Hoffnung, dass ich es auf das Gymnasium schaffen könnte.
Ich zitiere: 'So, auf welches Gymnasium willst du denn gehen, auf's Schneckengymasium?' Ja, ich war damals in allem langsam. Im Verstehen, im Kopfrechnen (bin ich auch immer noch), im Lesen (ich las sehr stockend), beim Essen. Bei allem. Selbst bei meiner Morgenroutine. Immer.
Tja und dieses Zitat stammte von einer meiner Lehrerinnen.
Ein weiterer Schnitt.
Ein weiterer Schrei.Alle haben sie gestaunt, als ich dann doch auf 's Gymnasium durfte. Alle. Selbst meine 'Freunde' aus meiner damaligen Klasse. Ich zitiere: 'Wir wollen dich nicht in unserer Klasse haben'. Eine 'Freundin' hat das zusammen mit meiner damals besten Freundin gesagt.
Ich hab beide Zitate noch vor Augen, wo sie gesprochen wurden.
Ein Schnitt.
Ein Schrei.Ich könnte noch so vieles von der Sache mit dem Gymnasium erzählen. Oder mit meinem Bruder oder Vater. Aber ich fürchte, es langweilt euch nur, wenn ich die ganze Zeit so ein pessimistischer Pessimist bin.

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Verboten
RandomWann ist es vorbei? Kann ich je glücklich werden, in meiner Situation? Wie lange dauert es noch? Verdammt, ich will diesen Schmerz nicht! Ist mein einziger Ausweg wirklich mein Tod?