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Habe ich nicht schon über die Frage gesprochen, ob man sich Erinnerungen einreden kann?

Jedenfalls kann ich mich noch als kleines glückliches Kind durch die Bananenplantagen rennen sehen. Da war ich vier Jahre alt. Ich weiß auch noch genau, wie mir mein Dad erklärt hat, wie sich Unkraut fortpflanzen. Im selben Urlaub.

Ich weiß noch, als mein Bruder im Zoo ein Foto von uns, also meiner Mom, meinem Dad und von mir, gemacht hat. In diesem Zoo habe ich mich mal vertrödelt, wie so oft damals, und ich habe meine Eltern gesucht und meine Eltern mich.

Das war eine Zeit, in der ich nur Pink getragen habe. Mittlerweile habe ich ein Jahr hinter mir, in dem ich wirklich nur schwarz getragen habe.

Und jetzt ich habe das Gefühl, dass meine helle Kleidung mich nicht leiden kann. Denn schwarz ist eine Farbe der Trauer und alle würden fragen, was denn los sei, wenn ich nur schwarz tragen würde. Das heißt, kann auch kein schwarz tragen weil ich nicht will, dass dann alle von meinen Qualen wissen.

Aber denoch trage ich heute diese Farbe. Weil alle schwarz tragen. Weihnachtskonzert. Und ja, Jayden ist auch mit dabei.

Nicole und Sirinda umgeben mich die meiste Zeit, aus Angst, dass er mich fragt.

Die Proben waren schnell vorbei - ohne Zwischenfall. Die lange Pause habe ich zu Hause verbracht. Als ich dann mit der Bahn wieder los wollte, hab ich doch tatsächlich meine Geige vergessen. So blöd kann auch nur ich sein, oder? Naja, das erste Konzert verlief relativ reibungslos. Verspielt, aber das war egal. Zum Glück versperrte ein Notenständer mir die Sicht zum Chor und somit auch die Sicht auf Jayden.

Die Pausen sind immer die schönsten. Vor allem die Pausen zwischen den einzelnen Stücken und zwischen den beiden Konzerten. Nicole und ich sind da meistens draußen, wie auch jetzt. Doof wird das nur, wenn Jayden dann auch draußen ist.

Doch glücklicherweise ist das gerade nicht der Fall. Also kaspern wir herum als wären wir sechsjährige Kinder oder so.

Und das sieht dann ungefähr so aus:
Unsere Beine sind auseinander und gebeugt, so wie unser Körper. Unsere Hände haben wir wie ein Eichhörnchen geformt und schauen uns lachend an, als wären wir irgendwelche verrückten Monster. Und so 'gehen' - wohl eher stampfen - wir dann durch die Gegend, wo erfreulicherweise keiner ist.

Oder so:
Nicole rennt durch die Gegend und ich versuche Pirouetten zu drehen. Tja, und da ist es ganz leicht auch mal den Schuh zu verlieren oder gar hinzufallen.

Aber manchmal stehen wir einfach nur ganz friedlich auf der Feuertreppe, auf der obersten Plattform, die wir Balkon getauft haben und quatschen über dies und das.

Manchmal ist auch Siri dabei. Aber die Bläser haben ihre Instrumente in einem anderem Raum als die Streicher.

Die Pause zwischen den beiden Konzerten gehen wir zur Dönerbude und holen für eine Freundin einen Dürüm. Und wir dürfen ihr nur neidisch zuschauen, wie sie genussvoll einen Bissen davon nimmt.

Das zweite Konzert, das das gleiche ist wie das erste, nur eben später, verläuft genauso wie das Erste. Wir verspielen uns bei den Stücken und in den Pausen machen wir Quatsch oder stehen auf dem Balkon.

Einmal ist es uns passiert, dass Ente die Treppen hoch gekommen ist und mich erst erblickt hat, als er schon fast wieder drinnen war. Das sah dann ganz lustig aus, wie erst sein Körper und dann sein erstaunter, verwunderter und lächelnder Gesichtsausdruck hinter der Tür verschwand.

Im großen und ganzen ist das Weihnachtskonzert immer schön. Aber dieses Mal ist es anders. Sirinda und Nicole gehen mit mir nach dem zweiten Konzert die Treppen in dem großen Saal von der Empore runter. Unten unterhalten sich meine Eltern mit irgendwelchen Bekannten.

"Wenn du bei deinen Eltern bist, wird er dich schon nicht fragen. Wäre ja auch ein bisschen peinlich. Meiner Meinung nach." Nicole unterbricht sich und schaut sich kurz um. "Ente."

"Was? Wo?", frage ich auf einmal verspannt.

"Läuft gerade an der Bühne da hinten vorbei", erwidert nun auch Siri und zeigt in die Richtung, in der Jayden gerade zu finden ist.

Ich beobachte ihn, wie er auf uns zu geht. Schnell drehe ich mich am Treppenabsatz um und finde mich sofort in den Fängen meiner Eltern wieder. Peinlich, aber egal. Solange er mich nur nicht anspricht.

"Schön habt ihr gespielt, meine Süße", sagt meine Mutter zuckersüß.

"Was? Nein! Wir haben uns voll oft verspielt. Naja, Holy Shit ging eigentlich." Also eigentlich heißt das Stück ja 'O Holy Night', aber wir haben es halt umbenannt. Nicole neben mir kichert leise und ich kann es mir auch kaum verkneifen.

"Kommst du klar?" Ich weiß was Siri meint. Jayden steht jetzt hinter uns und scheint wartend und vielleicht auch ein wenig angespannt oder gar nervös mit seiner Schwester zu sprechen.

"Bestimmt. Du musst jetzt auch los, oder?"

"Ja, leider. Aber wir sehen uns ja morgen noch mal", verabschiedet sie sich mit einer Umarmung.

Meine Eltern reden noch mit den Bekannten und es kann ja auch noch ein wenig dauern, bis sie damit fertig sind. Auch Nicole lässt mich nun allein zurück und wünscht mir Glück.

Und das hätte ich auch sehr gut gebrauchen können. Denn als meine Eltern nun endlich fertig sind, werde ich von hinten abgetippt. Shit.

Es ist ein Schreck, den ich nicht wirklich beschreiben kann. Eine Mischung aus entsetzt und gechillt sein. Aber vor allem beschreibt es das Gefühl des Verkrampftseins am besten, als ich mich zu ihm wende.

"Ähm", fängt er auch schon an, "ich kenn' dich nicht rchtig und du kennst mich sicherlich auch nicht richtig, aber vielleicht erinnerst du dich ja, wir haben bei dem Probetanzen zusammen getanzt und du hast nicht auf die Füße geschaut und auch nicht vorbei, sondern du hast mir in die Augen geschaut. Und, ähm, hättest du vielleicht Lust, meine Tanzpartnerin nächstes Jahr zu sein?"

Noch während er spricht, weicht mein Blick zeitweise gequält von ihm ab auf einen unbestimmten Punkt neben ihn. Ich kann das einfach nicht. Ich kann ihn nicht verletzen. Und ich kann auch Paula nicht verletzen. Es geht nicht.

Ja okay, ich habe mir vorgenommen, nein zu sagen, aber dann wird es nur ein vages 'nein'. Es wird unsicher und kraftlos klingen aus meinem Mund. Und ich glaube, das kann er auch nicht ertragen. Bisher hat er mich nur lächeln oder gar lachen sehen. Er weiß nix von meinen schmerzvollen Abenden.

Alles, was ich über ihn weiß, ist weg. Wie ein Loch in meinem Hirn mit schwarzer Farbe. Dunkel und zäh. Nur dass er mich gefragt hat. Das weiß ich. Und ich werde es vermasseln.

Ich schaue ihn wieder an. Diese hoffnungsvollen Augen. Sicher legt er viel Wert auf meine Antwort. Zu viel. Auch das Leid in seiner Seele kommt zum Vorschein. Grau und Grün zu einem friedlichen Ton gemischt.

"Ich kann nicht", verlassen die drei Worte meine Gedanken.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 11, 2016 ⏰

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