Spiegelkabinett

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Spiegelkabinett

„Aber das ist doch langweilig!"

Seine Augenbrauen wandern nach oben. Er schnaubt empört. „Was? Überhaupt nicht."

„Nein, ehrlich... das ist total Old School!"

Er lacht laut auf. „Du bist auch Old School... los, komm schon, du hast doch nur Angst!"

„Angst?" Jetzt ist es an ihr, empört zu sein. Angst vor einem Spiegelkabinett? Das ist doch lächerlich. Sie folgt ihm und ist nun doch überrascht, wie dunkel es ist.

„Und wo sind jetzt bitte die Spiegel?", fragt sie und greift unwillkürlich nach seiner Hand.

„Und wie du Angst hast!", stellt er flüsternd fest, doch er drückt ihre Hand zum Zeichen, dass er bei ihr ist.

Eine einzelne Lampe geht flackernd an und sie muss lachen. Ihr gegenüber stehen sie beide strichförmig und in die Länge gezogen. Er zieht sie weiter, die nächste Lampe geht an und nun haben sie an Gewicht zugelegt, sind in die Breite gegangen und sogar halb miteinander verschmolzen.

„Und?", fragt er, aber sie will noch nicht zugeben, dass es ihr doch Spaß macht und zuckt nur mit den Schultern.

Das Spiel geht weiter. Sie sehen sich kopfüber und vielfach kopiert, mit großen und dann wieder fast verschwundenen Köpfen und Beinen. Sie lachen jetzt beide viel, bis zum letzten Raum, wo ihr der Laut plötzlich im Hals stecken bleibt.

Denn hier ist die Welt in Splitter zerlegt. Hunderte Scherben spiegeln eine Hand, einen Kopf, ein Bein, eine Tasche und alles ist seltsam verzerrt und will weder Bild noch Sinn ergeben, wie der Trümmerhaufen einer Existenz.

„Mir gefällt es hier nicht", sagt sie und kann doch den Blick nicht abwenden.

Doch er zieht sie weiter, sie achtet kaum darauf, bis sie plötzlich wieder vor einem der ersten Spiegel stehen. Sie beide ineinander übergehend wie ein einziger Körper.

„Das sind wir und nur so", verspricht er ihr und sie drückt seine Hand, um ihm zu zeigen, dass sie bei ihm ist.




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