Der Anfang

177 19 1
                                    

Als ich wieder zu mir kam fühlte ich mich zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder richtig ausgeruht.

Der Duft von Moos und Frühling umwehte mich noch, doch Ash war in dem blauen Zimmer nirgends zu sehen.

Noch einige Zeit blieb ich liegen, dann stand ich auf und streckte mich leicht.

Nach der Morgentoilette suchte ich den Schrank - pardon, das Ankleidezimmer - nach etwas geeignetem ab.
Ich nahm einen schönen roten Pulli heraus, der sich wie Seide auf der Haut anfühlte, und streifte ihn über. Die Temperaturen waren in den letzten Tagen wirklich stark gesunken.

Dann fuhr ich auf einmal zusammen, als ein schrilles Kreischen ertönte.

Ich rannte ins blaue Zimmer zurück und sah den Wecker, der in regelmäßigen durchdringenden Tönen brummte. Stolpernd, da ich erst ein Bein in meiner schwarzen Leggins hatte, lief ich zum Nachttisch und haute darauf - erfolgreich, denn es verstummte sofort.

Ich wollte gerade seufzen, um den Schreck zu verdauen, als ich ein kleines schwarzes Kästchen sah, das neben dem Wecker lag.

Zögernd nahm ich es in die Hand und öffnete es. Ein kleines Blatt Papier fiel heraus, doch ich hob erst den Gegenstand in meine Finger - eine filigrane goldene Kette mit einem kleinen Herzanhänger, oben rund und auf der Innenseite flach.

Dort waren winzige Buchstaben eingraviert, und als ich sie las wurde mir warm ums Herz.

Lupus in fabula. Natürlich. Das Motto unserer Familie, das so vieles bedeuten konnte - doch jetzt hatte es endlich einen viel tiefergreifenden Sinn.

Der Wolf in der Fabel. Als wären nicht alle hier Wölfe... und das war ganz gewiss kein Märchen.

Aus dem kleinen Zettel las ich die Zerknirschtheit darüber, dass er mir all die Jahre nichts gesagt hatte, doch ich hatte ihm bereits verziehen, als ich den Anhänger in den Händen hielt.
Wie immer schrieb er recht knapp.

Halte dein Herz bei dir, meine Kleine, lass dich nicht unterkriegen. Ich komme in drei Wochen, am Besuchertag. Und hoffe dass du mir nicht allzu böse bist...

Ich hängte mir die Kette um und zog mich fertig an. Das Gold kontrastierte wunderschön mit dem dunkelroten Pulli, und vor allem - ich stockte und trat näher an den Spiegel. Meine Augen schienen damit regelrecht zu funkeln. Die kleinen gelblichen Sprenkel in dem braungrünen Mischmasch schienen jetzt golden zu leuchten, wie von Adern aus purem reflektierenden Gold durchzogen.

Ich blinzelte und staunte. Dann riss ich mich zusammen und machte mich auf die Suche nach Schuhen.

Tatsächlich waren in dem Ankleidezimmer einige viele aufgereiht, in allen Formen und Farben, wie mir schien. Trotzdem war es erleichternd zu sehen, dass die schwarzen und weißen Schuhe überwogen, und ich suchte mir ein Paar bequem aussehender Boots aus der schwarzen Reihe aus, die ich ordentlich schnürte.

Auf dem Schreibtisch ließ sich nicht mehr finden als am Tag zuvor. Blöcke, Stifte in einem Mäppchen. Keine Bücher und kein Stundenplan.

Trotzdem packte ich alles in den schlichten Rucksack und hängte ihn mir über, um den Raum durch die weiße Tür zu verlassen.

Ich überlegte, schon bei Bryan zu klopfen, doch entschied mich dagegen. Der Wecker hatte kaum geklingelt, es musste also noch recht früh für ihn sein.

Also ging ich in die Küchenecke und öffnete ein paar Schränke. Teller, Gläser, Tassen, Schüsseln, Pfannen - Riegel!
Einige davon schob ich mir in den Rucksack, aber zwei Frühstückspasteten ließ ich draußen. Während ich mich damit auf die Couch setzte, die im Übrigen ziemlich gemütlich war, zählte ich die Tage nach.

Mondflüstern - Die Legende der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt