Ein merkwürdiges Abendessen

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Stumm lief ich hinter ihm her durch die Tore der Eingangshalle des Lernkomplexes zum Wohnkomplex hin. Ash hatte sich abgekapselt und gab sich kühl, was mir irgendwie ziemlich zusetzte, da ich wusste, dass er auch lieb und warm sein konnte.

Er schlug den Weg zum Speisesaal ein, doch ich blieb stehen, sobald ich das realisierte. Er lief noch einige Schritte, dann hielt auch er an und seufzte, bevor er den Kopf leicht nach hinten wandte.

"Was ist los?"

Ich schluckte. "Ich muss in mein Zimmer. Mich umziehen."

Er blieb dort stehen, mitten im Gang, und ich wollte mich gerade umdrehen und gehen, da setzte er sich auch schon in Bewegung. "Komm", sagte er.

Tatsächlich führte er mich bis zu meinem Zimmer. "Woher wusstest du wo es liegt?", fragte ich verwundert, doch er zuckte lediglich die Schultern.

Ich schloss auf und wusste, dass er mir folgte, als ich auf die linke hintere Tür zuging, also ließ ich sie offen.

Schnell suchte ich mir in meinem Kleiderschrank etwas praktisches heraus, Pulli und Jeans, und hüpfte dann ins Bad.

Ich war ein ziemlich schneller Duscher, zum Glück. Innerhalb von zehn Minuten stand ich wieder frisch und angezogen vor dem Spiegel und löste das Handtuch von meinem Kopf, sodass die braunen Locken mir wild und nass über die Schultern fielen.

Die Kette hatte ich angelassen - es war wieder erstaunlich, wie sehr sie die Sprenkel in meinen Augen betonte.

Als ich aus dem Bad trat lag Ash auf meinem Bett, eine Hand hinter den Kopf geklemmt, während die Andere einen Zettel hochhielt, den er betrachtete.

Es war unverkennbar der meines Vaters.

Ich lief in das Ankleidezimmer und holte ein paar Boots mit Absätzen heraus, doch ich ging erst zu Ash zurück, um sie mir auf dem Bett anzuziehen. Ich wollte ihm nahe sein - auch wenn er gerade so kalt war.

Er hingegen betrachtete noch immer das Papier und ließ es zwischen seinen Fingern herumgleiten.

Ich setzte mich an den Rand des Bettes und beugte mich hinab, um die Boots zu schnüren. Wie schafften sie es bloß, dass sie so perfekt passten? Es war unglaublich.

Dann richtete ich mich wieder auf und betrachtete ihn und seinen nachdenklichen Blick.

Er sagte eine Weile nichts, und ich wagte es nicht, diese Stille zu brechen, auch wenn er nicht mehr verärgert aussah. Er hatte zwar kein Recht dazu gehabt - aber wer wusste schon, wie empfindlich die Wölfe waren?

"Hat er dir die Kette geschenkt?", fragte er denn leise. Mit den Fingerspitzen berührte ich das goldene Herz.

Ich nickte zögerlich. "Mein Dad. Er hat ein wenig Mist gebaut, als er mir das ganze...", ich schloss mit einer Armbewegung alles um uns herum und uns selbst ein, "verschwiegen hat."

Er hob den Blick von dem Zettel, und ich konnte keine einzige Gefühlsregung darin erkennen. Nur diese Nachdenklichkeit, die ihm eine kleine Falte auf die sonst makellose Stirn zauberte.

Ich wandte meinen Blick ab, als ich merkte, dass er mich schon wieder in seinen Bann gezogen hatte. Dann stand ich auf. "Lass uns gehen", murmelte ich.

Ich wartete im Flur auf ihn, unsicher, in welche Richtung ich gehen sollte. Ich hatte schon wieder vergessen, wo der Speisesaal lag.

"Links", suggerierte er leise.

Ich wandte mich nach links.

Stumm liefen wir Seite an Seite durch den Flur, nur recht wenige Leute begegneten uns. Das wurde natürlich mehr, als wir uns dem Stimmengewirr des Saals näherten - die Leute, die uns in Gruppen entgegenkamen, senkten immer respektvoll den Kopf vor Ash.

Mondflüstern - Die Legende der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt