Giulia lachte und näherte sich Emilys Zimmer. Vorsichtig, aber dennoch bestimmt klopfte sie an ihrer Tür. »Willst du mit raus kommen? Ich hab Mom gefragt, wir haben noch zwei Stunden Zeit und meine Freundin wollte auch noch kommen.« Sie lachte sehr herzlich während sie dies sagte.
Stille. Erneutes Klopfen. »Emily? Bist du da?« Ihr Lachen klang jetzt etwas nervös und unbeholfen. Ein letzter Versuch und angestrengtes Lauschen an Emilys Tür, als auch diesmal keine Antwort kam. Es schien nun noch stiller zu sein. Vielleicht weil das Lachen aufgehört hatte. Vielleicht aber auch weil das Klopfen nicht mehr die vorherige Ruhe zerriss. Obwohl es in Emilys Kopf nachhallte. Laut, wieder und wieder. Giulias Schritte entfernten sich. Wieso kommt sie nicht rein? Verdammt, wieso hilft sie mir nicht? Giulia! Komm zurück, bitte! Emily wollte sie rufen, sich irgendwie bemerkbar machen, dass Giulia sie bloß nicht wieder alleine ließ. Aber egal was sie probierte, sie konnte nicht schreien, oder sich bewegen.
Die Tür war nicht verschlossen, sie fragte sich was ihre Schwester davon abgehalten hatte zu ihr rein zu kommen. Sich zu vergewissern, dass mit ihr alles okay war.
Das vergangene Lachen lag schwer in der Luft.
Sie fühlte sich traurig, irgendwie. Ohne wirklichen Grund. Sie lag krank im Bett, mit Schmerzen. Aber es war weich und wurde wärmer und liebliche Musik spielte im Hintergrund. Aber die Traurigkeit drückte anhaltend auf ihre Brust; ihren gesamten Körper und presste sie gewaltsam in die Matratze. Niemand wusste davon. Und ihr Kopf war eingehüllt in Gedanken; Nebel aus bedrückender Einsamkeit und Verlust.
Sie spürte es in ihren Zähnen. Sie pochten und ihr Kopf tat unbeschreiblich weh. Sie schluchzte. Und das Dröhnen wurde immer lauter und nahm alles ein, was da war.
Emily wurde durch eine sanfte Berührung geweckt. Eine Hand strich langsam und vorsichtig über ihre Stirn. Dazu vernahm sie ein beruhigendes Murmeln. Die Stimme war tief und wohlklingend und nicht fremd. Sie hörte sich selbst wimmern und spürte ihre vor Kälte zitternden Glieder.
Ihre Träume waren meist wirr und ließen viele Fragen offen, die sie nicht beantworten konnte und wahrscheinlich auch niemand anderes.
Bisher hatte sie mit niemandem darüber gesprochen, nichtmal mit ihrem Therapeuten. Es gab generell sehr viele Dinge, die sie nie angesprochen hatte. Aus Angst davor, was dann passieren könnte. Was, wenn es keine Hilfe für sie gäbe? Um die Antwort darauf möglichst nicht erfahren zu brauchen, umging sie diese Themen. Sie war verschlossen und hatte niemandem, mit dem sie ihre Lasten teilen konnte. Sie fühlte sich unverstanden. Niemand interessierte sich für sie. Und doch war ihr Therapeut jetzt hier bei ihr. Dr. Folder. Und hatte ihren Albtraum wahrscheinlich sogar miterlebt, da er sie so sanft wie ebnend möglich versucht hatte zu wecken. Gleichzeitig fühlte Emily sich schuldig. Weil sie nichts gesagt hatte, weil sie nicht über ihre eigenen Schatten und Ängste springen konnte. Weil er der einzige war, der ihr überhaupt zuhörte und mit dem sie reden konnte. Weil sie es nach all den Jahren immer noch nicht schaffte, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Weil sie jetzt hier unter diesen Umständen im Krankenhaus liegen musste.
Sie selbst steckte in ihrem Kopf fest, in diesem irrationalen Käfig aus Gedanken und Ängsten und schlimmen Gefühlen. Ihre ganze Welt setzte sich daraus zusammen. Es schien ihr unmöglich jemals daraus auszubrechen. Auch wenn sie es sich manchmal sehnlichst wünschte.