»Welche Jahreszeit, meinen Sie, beschreibt Sie am besten? «, fragte John Folder, während er ihr unvermittelt in die Augen schaute und ihr Gesicht musterte, so als ob er die kommenden Gedanken in ihrem Kopf studieren würde. Sie schwieg. Diese Frage ließ Bilder wieder hochkommen, Erinnerungsfetzen von früher, zeigten sie und ihre Schwester Giulia, als sie im Alter von neun Jahren auf den Felsen hinter dem Ferienhaus gesessen hatten und sich den Sonnenuntergang über dem See angeschaut hatten. Damals war es Anfang September gewesen, die Blätter langsam bunt werdend und die Sonne wärmend auf der Haut. Giulia war von den Felsen gesprungen und hatte sich lachend ins Gras fallen lassen. Die Sonnenstrahlen hatten sich so schön in ihren Haaren verfangen. So unvermittelt, wie die Bilder angefangen hatten, hörten sie wieder auf und es schmerzte Emily, nicht wieder dorthin zurückkehren zu können. Sie war jetzt hier, 24 Jahre alt, in dem riesigen dunkelroten Sessel sitzend, gegenüber von ihrem, inzwischen so vertrauten, Therapeuten Dr. Folder. Und er hatte ihr eine Frage gestellt. Konzentriert schaute er sie an, wohl ahnend, was diese einfache Frage bei ihr ausgelöst hatte. »Spätsommer«, setzte sie zögernd an, »Wenn die Sonne die letzten warmen Strahlen abgibt und die Blätter sich färben. Es scheint so trostvoll, aber das ist es nicht. Denn die Blätter fallen ab, fallen auf den Boden und bleiben dort. Und es kümmert keinen, denn die Leute wissen ja, dass eine neue Jahreszeit auf sie wartet. Und dann vergessen sie die Schönheit, die sie einst umgeben hat und freuen sich auf den Winter, den unberechenbaren, kalten Winter. Und dessen Schneeflocken werden die toten Blätter endgültig bedecken, sodass man sie nicht einmal mehr wahrnimmt. « Während sie sprach, hatte sie auf ihre im Schoß gefalteten Hände geschaut. Jetzt blickte Emily den Therapeuten gequält an. Dieser sagte eine Zeit lang nichts.