1. Der Fels in der Brandung

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„Na? Wie war’s in der Schule?“ fragte sein Vater während er seine dunkelbraune Lederjacke an einen freien Haken der Garderobe hängte. Noah schaute auf den Boden „Alles Bestens“. Sein Vater zog seine Schuhe aus und fragte leicht aus der Puste „Ja? Irgendwas Besonderes?“. Noah lehnte mit verschränkten Armen und überkreuzten Beinen im Türrahmen. Sein Blick war immer noch auf den Boden gerichtet „Ja, war alles cool…und ansonsten war alles wie immer“. Noah blickte auf, denn er spürte den durchdringenden Blick seines Vaters, der ihn skeptisch fixierte „Wenn du das sagst.“ Dann kam er auf Noah zu und legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter „Ich hab’s dir schon gesagt, wenn dich irgendetwas bedrückt oder irgendetwas passiert sein sollte, red‘ mit mir! Ich kann leider keine Gedanken lesen, okay?“. Noah hielt seinen Blick wieder stur auf den Boden gerichtet. Er konnte die Besorgnis in den Augen seines Vaters nicht ertragen. Außerdem wollte er nicht mit ihm darüber reden, denn er war sich nicht einmal sicher, ob er ÜBERHAUPT darüber reden wollte. Also nickte er „Jaaa, ich weiß, ist aber alles in Ordnung…ich bin nur gestresst. Wir schreiben zurzeit ziemlich viele Klassenarbeiten, sonst nichts“. Sein Vater seufzte, ließ seinen Arm wieder sinken und lief an Noah vorbei. Noah erwartete eine Moralpredigt oder, dass sein Vater zumindest nicht locker ließ, aber stattdessen rief er aus der Küche „Hast du schon gegessen? Wir könnten uns Pizza bestellen, falls du darauf Lust hättest“. Naja, sollte ihm Recht sein, immerhin musste er sich so nicht erklären oder unnötigerweise rumdiskutieren „Nee, hab ich noch nicht. Ja, können wir machen, bestell für mich eine mit Salami, danke! Bin dann in meinem Zimmer!“ und mit diesen Worten verschwand Noah wieder in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Er setzte seine Kopfhörer wieder auf und drückte erneut die Playtaste. Es lief immer noch addicted und er summte leise mit, während ihm neue Erinnerungen durch den Kopf schossen.

…Er war mit seinem Vater in der Stadt und es war schon dunkel. Es war Sommer und sie saßen vor einer kleinen Eisdiele in der Innenstadt und beide hatten eine Waffel Eis in der Hand. Sein Vater schaute sich um, da heute das Stadtfest war und die Feier schon in vollem Gange war. Der Marktplatz war voll von Essensständen und schräg gegenüber der Eisdiele war eine riesige Bühne aufgebaut, auf der dafür engagierte Bands Volkslieder trällerten, die die Leute auf den Bierbänken direkt vor der Bühne lauthals mitgrölten und tranken und rauchten und schunkelten. Dort waren so viele Menschen und es gab so viel zu sehen, doch das Einzige, an das Noah denken konnte war dieses fremde Mädchen, das auf seine Schule ging. Leider wusste er ihren Namen immer noch nicht, aber das war nebensächlich. War sie heute auch hier? Er schaute in den dunklen Nachthimmel und stellte sich vor, wie sie mit einer ihrer Freundinnen, mit der er sie häufiger sah, um die Ecke kam. Als er den Blick wieder auf das ihn umgebende Geschehen der feiernden Innenstadt richtete, traute er seinen Augen kaum. Sie war da! Sie kam gerade um die Ecke, krass! Sie war wirklich hier! Das was ihn daran am Meisten freute und gleichzeitige auch heftig überraschte, war die Tatsache, dass es genauso passierte, wie noch vor wenigen Sekunden in seiner Fantasie und sie kam sogar mit GENAU DIESER Freundin, mit der sie auch in seiner Vorstellung um die Ecke kam. Sein Herz klopfte wie verrückt, er konnte seine Augen nicht von ihr lassen und auf seinem Gesicht breitete sich ein breites Grinsen aus, das er nicht unterdrücken konnte. Sein Vater bekam davon aber absolut nichts mit. Er saß da mit seinem halbgegessenen Eis, schaute sich die Band, die gerade spielte, an und wippte mit seinem rechten Fuß im Takt zur Musik auf und ab. Noah war von diesem Mädchen so sehr fasziniert, dass er obwohl sie bereits sonst wo in der Stadt sein konnte, seinen Vater trotzdem drängte, in die Richtung zu laufen, in die sie vorher verschwunden war. Als er sie aber nicht wieder sah, war er enttäuscht und hatte auch nichts dagegen, dass sein Vater meinte „Komm wir geh’n nachhause, ist schon spät“. Sie liefen quer durch die Stadt, da sie ihr Auto in einem Parkhaus abgestellt hatten. Als Noah und sein Vater gerade in die Straße einbogen, von der man nur noch eine Treppe hochlaufen musste, um direkt durch eine Glastür zur Parkhausebene zu gelangen, setzte sein Atem kurz aus. Direkt neben der breiten Treppe, war eine Bar, vor der lauter Tische und Stühle aufgestellt waren, da es eine warme Sommernacht war und die Bude voll von Leuten war, die bereit waren ordentlich etwas zu trinken. Sie stand direkt vor dem Eingang der Bar und direkt auf dem kleinen Durchgang, der zur breiten Treppe führte und unterhielt sich mit ihrer Freundin und einem Unbekannten. Um genau zu sein, waren beide gerade dabei sich von diesem Unbekannten zu verabschieden und je näher Noah ihr kam, desto schneller klopfte sein Herz und da fing auch wieder dieses nicht unterdrückbare Grinsen an. Als sie plötzlich auf ihn zusteuerte, blieb er wie angewurzelt stehen und blickte sie mit großen Augen an. Plötzlich war es so als würde alles in Zeitlupe ablaufen – Sie war nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt und hob langsam ihren Blick. Als sich dann endlich ihre Blicke trafen, atmete Noah tief ein und hielt die Luft an. Sie blieb stehen und für einen Moment schien es so, als ob jemand die Zeit angehalten hätte und alles um sie herum war auf einmal vollkommen bedeutungslos. Ihre Augen leuchteten und ein glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen, das sich augenblicklich auf Noah übertrug. Auch wenn das alles vielleicht nur einige wenige Sekunden in Anspruch nahm, fühlte es sich wie eine halbe Ewigkeit an, die nur ihnen Beiden gehörte. Da senkten sie schon wieder beide ihre Blicke und liefen, immer noch lächelnd, aneinander vorbei. Noah wusste, selbst wenn er keiner Menschenseele beweisen konnte, dass es sich genauso abgespielt hatte, war er sich sicher, dieser Moment könnte ihm und auch ihr niemals genommen werden. Ab diesem Moment war er sich sicher, sie hatten eine Verbindung, einen Draht zueinander, den niemand verstehen oder sehen konnte. Da das, was zwischen ihnen war, etwas ganz besonderes war und vor allem etwas, das NUR IHNEN gehörte…

Noahs Zimmertür wurde aufgerissen und er drückte hastig auf Pause. „Hörst mich nicht?! Ich hab dich jetzt mindestens schon zehnmal gerufen, verdammt!....Die Pizza ist da!“ sein Vater schaute ihn an und sein Blick verriet eine Mischung aus Wut und Verständnislosigkeit. „Tut mir Leid, ich hab‘ Musik gehört und hatte voll aufgedreht“ entschuldigte sich Noah und stand auf. Sein Vater ließ ein kurzes „Hm“ von sich hören und ging aus dem Zimmer, ohne die Tür zu schließen „Komm bevor’s kalt wird“. Noah warf seinen Mp3-Player auf’s Bett und ging ins Wohnzimmer, wo sein Vater sich gerade ein Bier aufmachte. Die beiden Pizzakartons standen schon offen auf dem Couchtisch, also ließ sich Noah direkt seinem Vater gegenüber nieder und nahm sich ein Stück von der Salamipizza. Er betrachtete seinen Vater, wie er ruhig dasaß und erst einen Bissen von der Pizza nahm, genüsslich kaute und danach einen Schluck von seinem Bier trank. Noah fragte sich, woher sein Vater nur immer diese Ruhe nahm und diese Zufriedenheit wegen lauter Kleinigkeiten. Er war wirklich froh seinen Vater zu haben, denn er war dieser Ruhepol, den er brauchte. Sein Vater war sein Fels in der Brandung und er wagte es nicht einmal an den Tag zu denken, an dem sein Vater nicht mehr da sein würde. An dem er alleine versuchen musste Ruhe zu bewahren, auch wenn sich diese Einstellung möglicherweise Unselbstständig anhörte, aber Noah hatte schon genug allein durchstehen müssen, als dass er sich dafür schämen würde, seinen Vater zu brauchen. Er hoffte nur, dass er es irgendwann hinbekam, trotz etlicher schmerzhafter Rückschläge eines Tages für jemand anderen dieser Fels in der Brandung zu sein.

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Ich hoffe das zweite Kapitel gefällt euch, würde mich sehr über Feedback und/oder Votes freuen, um zu sehen, was ihr davon haltet!:)) Die ersten Kapitel werden noch etwas kürzer bleiben, weil ich erstmal die wichtigsten Personen vorstellen möchte, danach wird's länger werden. Hab auch noch ein Foto von Noahs Vater hinzugefügt^^

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