3000 Miles

149 20 23
                                    

Ein weit entferntes Brummen, eher ein Echo, das auch durch Wind hätte erzeugt werden können, lässt mich aufhorchen. Nur dass es keinen Wind gibt. Mich umsehend laufe ich weiter, den Knirps nach wie vor an der Hand und angespannt lauschend. Meine linke Hand ist eiskalt, ich muss sie immer wieder bewegen, aus Angst, dass ich mir etwas abfrieren könnte. Die rechte, an welcher meine Begleitung hängt, ist dafür schön warm und beginnt unangenehm zu schwitzen vor Angst. Stille und nichts außer unseren Schritten folgt. Wir sind schnell vom Highway abgebogen und folgen einer kleineren Straße immer schön Richtung West Coast. Ich habe eine etwaige Ahnung wie lange wir unterwegs sein werden und das nur, wenn wir dieses stramme Tempo durchhalten. Sicherlich 70 Tage, wenn nicht länger. Wahrscheinlich ist die 70 unwahrscheinlich, grob habe ich 3000 Meilen, also etwa 4500 km im Kopf, aber ich kann mich auch irren.

Dass ich in New York bin ist überhaupt ein dummer Zufall. Alles nur wegen dem lieben Geld, dabei habe ich von Anfang an die Wärme vermisst. Die Ironie an dieser ganzen Sache ist ja, dass ich einen Flug gebucht hatte, der vor einem halben Jahr zurück gehen sollte. Genau an dem Tag, als es die ersten Ausfälle gab. An dem Tag, als die Flugzeuge abstürzten und wie brennende Engel vom Himmel fielen. Man konnte sie singen hören, konnte zusehen, wie sie in die Stadt einschlugen, hörte das Jaulen des Windes, das Zischen und die Schreie. Vor allem die Schreie. Hätte ich den Flug einen Tag früher gebucht, dann wäre ich jetzt in L.A., ob das aber so viel besser ist weiß ich nicht.
Ohne Technik sind die Menschen aufgeschmissen, ohne Strom und in den ersten Tagen gab es sehr viele Verwüstungen, sehr viele Tote.

Dann schien sich alles zu beruhigen. Die Ausfälle wurden weniger, bis sie schließlich verschwanden und da man sich mit den dichten Wolken bereits abgefunden hatte, es auf die Klimaerwärmung, den Smog oder sonst etwas schob, beruhigte sich die Bevölkerung wieder. Sie vergaßen die Wolken, die fehlende Sonne registrierten sie anfangs gar nicht, mussten sich alle darum kümmern, dass unsere Gesellschaft nahtlos weiter funktionierte, die Börse stabil blieb und jeder weiter seinem Beruf nachgehen konnte. In dieser Zeit sah man immer öfter die Bibelanhänger, diese Leute mit Schild, auf welchem von der Apokalypse die Rede war.

Den meisten fiel diese Veränderung nicht einmal auf, da ich aber beruflich darauf spezialisiert war, mich den Bedürfnissen und der Umgebung anzupassen, nahm ich es tatsächlich wahr. Anfangs waren es nur zwei, denen ich Tagsüber begegnete, dann vier, sechs, acht, immer und immer mehr, was mich einerseits beängstigte, ich diese Vorahnung nicht loswurde, dass sie gar nicht so unrecht hatten. Einer der Männer hatte sich den Platz vor meiner Haustür ausgesucht, dem Nobelkomplex, in welchem ich wohnte, relativ zentral in Manhattan und stand dort von morgens bis spät nachts.
Es war keiner dieser typischen Schreihälse, nein, weder war er Barfuß, noch trug er ein Kleid oder nur Hosen, er hatte auch keine langen Haare, großen Bart oder sonst etwas.

Ich kannte ihn sogar, vom Sehen, einer der Herren, welcher sich gerne auf Partys der entsprechenden Art bewegte, in edlem, teurem Anzug, mit einer Uhr am Handgelenk, welche mehr als ein Haus wert war und ansonsten in seinem Ferrari umher fuhr. Dort stand er, ein designtes, wasserfestes Schild in der Hand, samt Anzug, teuren Lederschuhen und gepflegten Händen.
„Wo ist die Sonne?", stand dort, deutlich, in Farben, die sich je nach Blickwinkel veränderten und sah dabei nicht aus, als wollte er werben. Seine strenge Miene, anklagend und gleichzeitig auch etwas verzweifelt, ob er wirklich der Einzige war, der es bemerkte.
Er stand dort, Tag für Tag, hielt das Schild hoch und er hatte Recht behalten, auch wenn es ihm nichts genützt hat, als sie ihn in seiner Wohnung umgebracht haben.

Wo ist die Sonne?

Dieses Mal erstarre ich, das Brummen ist lauter, näher und eindeutig kommt es von Motoren. Es hallt in der Stille wieder und kündigt das nahende Grauen an. Nur die starken kommen in den Garten und das trifft es ziemlich genau. Hastig aber bemüht darum Ruhe zu bewahren sehe ich mich um, versuche am Ende der relativ gerade verlaufenden Straße irgendetwas zu erkennen, woher sie kommen. Mein Herz rast, pocht mir hart im Brustkorb und die Angst schnürt mir die Kehle zu, hinterlässt diesen Gallegeschmack.

Kratzen am HimmelsrandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt