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Eigentlich hätten wir weiter ziehen sollen, wenigstens die letzte Stunde ausnutzen, bevor es endgültig dunkel wird, um uns einen Unterschlupf zu suchen, wo es wärmer ist als auf dem harten, kalten Boden. Vor allem aber weil diese Herren nicht wirklich Anstalten machen weiter zu gehen. Sie reden gedämpft aufeinander ein, ab und an höre ich sie auch fluchen, vor allem den Kleineren und auch wenn mich das alles ungemein beunruhigt, ich komme keine zwei Meter weit.
Der Knirps steht einfach da, starrt in Richtung der Männer und realisiert erst, dass ich losgehen möchte, als ich seine Hand nehme.

Entschlossen ziehe ich ihn mit, mache einen Schritt, noch einen und knicke mit dem verletzten Fuß einfach um. Unelegant und hart lande ich auf dem Boden, versuche nicht zu schreien, als ein gleisender Schmerz durch meinen Knöchel bis hoch zum Knie fährt und mir sogar kurz schwarz vor Augen wird. Den Aufprall spüre ich nicht einmal, liege nur plötzlich, keuche, zittere und halte mir den Fuß. Ich kriege keinen Ton heraus, versuche zu Atem zu kommen, den Schwindel zu bekämpfen und nicht zu heulen vor Schmerz.

Und der Kleine hockt neben mir und sieht mich entsetzt an, begreift anscheinend nicht ganz, dass das eindeutig scheiße wäre, wenn ich mir etwas gebrochen habe. Eine plötzliche Bewegung neben uns, nicht einmal weit entfernt, lässt mich aufschrecken. Die Zähne zusammen gebissen, zitternd und vor Schmerzen mit der Übelkeit kämpfend hebe ich die freie Hand und ziele mit der Waffe auf die Gestalt, welche sich uns bis auf zwei Meter genähert hat.

Der größere Mann ist es, hebt abwehrend die Arme und ich blinzle die Tränen weg, um beinahe erleichtert festzustellen, dass die Waffe bei dem Sturz nicht noch losgegangen ist. Hätte das schlimm enden können, wie dumm bin ich eigentlich.
„Alles in Ordnung?", fragt er tatsächlich und wirkt sogar besorgt, während ich ihn nur entgeistert ansehe. Nach Luft ringend versuche ich etwas heraus zu krächzen, was sich nicht allzu sehr nach einem Fiepen anhört: „Verpiss dich. Das geht dich nichts an."

Er bleibt stehen, sieht mich immer noch prüfend an, sich beinahe unsicher, ob er meine Warnung nicht doch ignorieren sollte und ein weiterer Kopf erscheint hinter der Anhebung, wieder der Kleinere, der fragend die Augenbrauen hoch gezogen hat. Beide haben dicke Jacken an, eine Mütze auf dem Kopf, dreckige Hosen und an der des Großen erkenne ich getrocknetes Blut, was mein ungutes Gefühl nur noch bestärkt. Wir sollten unbedingt weiter.

„Was ist?", fragt die raue Stimme, der Blick des Knienden haftet sich nun auch auf meine Waffe und er blinzelt verwirrt, als er meine seltsame Position bemerkt. Er will gerade den Mund aufmachen, wirkt sogar wütend und doch wird er vom Größeren unterbrochen, der sich umdreht und über den winzigen Hügel läuft, um sich zurück zu seines Gleichen zu gesellen.
„Nichts", und dann reden beide aufgeregt, aber mit gesenkten Stimmen aufeinander ein. Worüber sie streiten, das tun sie offensichtlich, geht teilweise an mir vorbei.

Mein Bein pulsiert, ich versuche es noch einmal mit dem Aufstehen, schreie unterdrückt und schaffe es gerade so mein Hinterteil etwas anzuheben, um nur wieder hart darauf zu plumpsen. Der Kleinere wirft mir einen kritischen Blick zu, ich kann nur seinen Kopf erkennen und wieder diskutieren sie.
„Wenn das Fieber weiter steigt", höre ich etwas deutlicher und wieder senken sie die Stimmen. Offensichtlich gefällt ihnen diese Situation genau so wenig wie mir sowie die Tatsache, dass ich diese Nacht hier verbringen muss. Mich langsam mit meinem Schicksal abfinded, versuche mein wild rasendes Herz unter Kontrolle zu bekommen.

Es ist verdammt gefährlich, wenn diese Zwei oder drei, das Stöhnen lässt mal auf eine weitere Person schließen, tatsächlich etwas Böses vorhätten, dann hätten sie mich wirklich einfach überwältigen können. Sie waren ja anscheinend vor uns schon da. Ich bin mittlerweile verletzt und habe nur noch einen kleinen Jungen bei mir. Die ideale Beute könnte man meinen. Ob wohl Kinderfleisch besser schmeckt als das von Erwachsenen? Ich weiß es nicht und bin mir auch unsicher, wie ich auf diesen Gedanken komme. Vielleicht wie Lamm?
„Knirps", bringe ich schließlich heraus, er steht nach wie vor verloren da und ich ziehe mich das Stück über den Boden nach hinten, um nun schwer atmend am Baum zu lehnen.

„Hol etwas Holz, ja, aber pass auf und komm nicht in ihre Nähe", weiße ich den Kleinen an, muss ihn irgendwie beschäftigen und natürlich tut er sofort was man ihm sagt. Er agiert eigentlich nur noch, mit diesen trüben, grünen Augen, die so seltsam tot wirken.
Niemals hätte ich angenommen, dass mir ein Kind so ans Herz wachsen könnte und es mir so weh tut ihn in dieser Welt zu sehen. Hastig will er loslaufen, zögert dann und denkt selbst daran sich den Rucksack auszuziehen.

Indes fange ich an die Plastikplane heraus zu kramen, lege sie umständlich auf den Boden und versuche unser Lager aufzubauen. Die Pistole griffbereit, aber die Zwei scheinen tagsüber nicht wirklich agieren zu wollen, weswegen ich auch in dieser Nacht kein Auge zu machen werde. Das alles ist viel zu gefährlich und vor allem mein Fuß macht mir Sorgen. Der kleinere Mann, welcher beinahe fest entschlossen wirkt mir die Waffe abzunehmen und ich ihm um ehrlich zu sein einiges zutrauen würde, benuruhigt mich am Meisten.

Erneut sehe ich seinen Kopf, er steht auf, rollt mit den Schultern, wirft mir einen kurzen, bösen Blick zu und ignoriert mich dann einfach. Als sei ich ein ekelhaftes Insekt oder irgendein verendendes Tier. Sein Husten hört sich dafür alles andere als gesund an, tief, schüttelt ihn und er spuckt schließlich aus, um sich schwer atmend die Brust zu halten.
„Wir sollten weiter", beharrt er, sieht dabei den anderen böse an, aber dieser bleibt standhaft. Den Blick hat er wirklich drauf, muss ich anerkennen.
„Und wohin? Es ist vielleicht noch eine halbe Stunde bis es dunkel wird", verteidigt dieser seinen Standpunkt und dem Älteren platzt offensichtlich der Kragen.

Aus ist es mit der Höflichkeit, als er offensichtlich auf mich zeigt und laut und deutlich sagt: „Ich hab keinen Bock mich nachts von irgendeiner Schlampe abknallen zu lassen, die uns am Ende noch isst. Scheiße Tomis, dafür haben wir schon zu lange überlebt. Ich trage ihn wenn's sein muss."
Nun steht auch der andere, dieser Tomis auf, sieht wütend zum Kleineren und verschränkt die Arme: „Als wäre es irgendwo sicherer als hier."

„JA", wird der Wutbolzen lauter und stampft dabei auf, die Arme verschränkt er ebenfalls und wirkt trotz des Größenunterschieds doch sehr angsteinflößend. Tomis interessiert das nicht, er bleibt hartnäckig, schüttelt den Kopf und hat sich wohl oder übel durchgesetzt, da der Kleiner abdampft.
„Dar...", ruft er halbherzig, fährt sich über den schwarzen Bart und seufzt geschlagen, als der Angesprochene ihm den Mittelfinger zeigt und ins Unterholz verschwindet.

Ich selbst realisiere erst, dass ich die beiden bis dahin nervös beobachtet habe, als Tomis mich direkt ansieht und ich ertappt das Gesicht abwende. Eine wirklich dumme Angewohnheit, für welche ich mich auch augenblicklich schelte. Es geht mich natürlich auch nichts an, aber trotzdem muss ich meine und die Sicherheit des Kleinen garantieren. Die Schlafsäcke habe ich mittlerweile auch heraus gezogen, ein bisschen Trockenfleisch und natürlich Dosenfrüchte, viel mehr gibt es nicht mehr. Wir haben unsere Vorräte so gut wie aufgebraucht und müssen auch deswegen weiter.

Irgendwie hat mich dieser Streit beruhigt, auch wenn dieser Daen oder wie er auch heißt offensichtlich ein bisschen zu gereizt ist, scheinen sie doch mir genau so wenig zu trauen, wie ich ihnen und das ist immerhin ein sicheres Zeichen dafür, dass sie uns nicht essen wollen. Kannibalen erschleichen sich gerne Vertrauen, um dich dann... ja, so leicht es eben geht zu überwältigen. Aber sie haben gewöhnlich keine Angst vor dir, sie sehen dich eher wie Beute, die man nur noch abschlachten muss, als würden sie sich einer gut gefüllten Fleischtheke gegenüber befinden.

Glaubt mir, ich spreche da aus Erfahrung, trotz allem behalte ich den Revolver in der Nähe, auch wenn ich ihn so leise es geht wieder sichere, mich auf einen Schlafsack ziehe und mir umständlich versuche das Hosenbein hoch zu ziehen. Natürlich will das nicht klappen und ich presse schmerzvoll den Atem heraus, keuche auf, da jede Bewegung schrecklich weh tut und ich immer mehr Panik bekomme. Was mache ich nur, wenn das Bein gebrochen ist, was wird dann aus dem Knirps?
Erneut sehe ich auf, ziehe irgendwie den Schuh vom Fuß, spüre sofort die kalte Luft, trotz der zwei Socken und sehe wieder Tomis, der mich beobachtet.

Komischer Name, wenn ich das mal so bemerken darf. Kenne auch nicht sonderlich viele Leute, die so heißen, Tom oder Thomas oder so etwas, aber nicht Tomis. Viel mehr als der Fakt, dass er mich beobachtet, zwar hastig wegsieht, aber trotz allem mir immer wieder kurze Blicke zuwirft, regt mich auf, dass ich mir überflüssigerweise seinen Namen gemerkt habe. Ich bin gut mit Namen, das ist auch wichtig, da man jeden Klienten kennen sollte und im richtigen Moment nicht den falschen Namen über die Lippen bringt... oder eher brachte. Wahrscheinlich wüsste ich den des anderen auch, wenn er nicht so genuschelt hätte.

Schnaufend verrenke ich mich irgendwie, um an die von Dreck verkrusteten Socken zu gelangen, die ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr aus hatte. Sie stinken entsetzlich, aber das geht in der freien Natur, dafür sind sie mittlerweile einfach nur kaputt und ich schreie endgültig auf, als ich endlich den oberen Zipfel zu fassen bekomme, ziehe und es entsetzlich weh tut.
Beinahe heulend sinke ich zurück gegen den Stamm, sehe völlig fertig, wie der kleine Mann mit allerhand dünnen, trockenen Ästen gerade entlang gewatschelt kommt, großzügig an einem Loch im Boden vorbei läuft und dabei so fasziniert von diesem ist, dass er nicht auf seine Schritte achtet.

Er humpelt nicht mehr, was ja schon mal heißt, dass er sich nichts weiter wehgetan hat. Er ist schon ein süßer Schnuckel und erneut blinzle ich gegen die Tränen an, nur dieses Mal nicht wegen meinem Fuß. Plötzlich gerät er ins Stolpern, fängt sich ungeschickt ab und taumelt, dabei ein paar der fleißig gesammelten Äste fallen lassend.
„Warte, ich helfe dir", steht da wie aus dem Nichts dieser Tomis und ich sitze augenblicklich aufrecht, noch während er sich bückt.

„Geh weg von ihm", werde ich etwas zu laut, zucke wegen meiner eigenen wütenden und dezent panischen Stimme zusammen und weiß selbst nicht genau, wen von Beiden ich meine. Sowohl der kleine, als auch der große Mann sehen mich mit großen Augen an und Tomis hebt abwehrend die Arme, während der Knirps zwischen mir und ihm hin und her sieht.
„Ich wollte nur...", hat er bereits ein paar Zweige in der Hand und will sie ihm gerade geben, um mir zu signalisieren, dass er tatsächlich nur helfen wollte.

Dadurch wird meine Panik nur noch schlimmer. „Knirps, komm her", belle ich, bin endgültig bereit zu schießen und dieser gehorcht und läuft aufgeregt zu mir. Ich ziehe ihn an mich heran, mit rasendem Herzen und sehe den Schwarzbart direkt an, wie dieser beinahe etwas geknickt dasteht und ich ein schlechtes Gewissen bekomme.
Ich streiche dem Kleinen über den Hinterkopf, lasse den großen Mann nicht aus den Augen, der sich nun kleinlaut entschuldigt, enttäuscht das Holz wieder hinlegt und zurück zu seinem Platz geht.

„Schichte das Holz auf, ja", gebe ich ihm eine kurze Anweisung, mustere den gebeugten Rücken des Mannes, hinter dem Dickicht und langsam wächst da ein Plan heran.



Kratzen am HimmelsrandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt