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„Sie haben es doch alles wieder geregelt bekommen", hörte ich ihn sagen und wie er mich dabei belächelte, eindeutig für ein Dummchen hielt. Er war reich, verdammt reich, sah nicht einmal sonderlich schlecht aus, hatte eine Frau, zwei Kinder, soweit ich wusste und war in New York geschäftlich unterwegs. Eigentlich war es mit ihm immer äußerst angenehm, er war intelligent, wir führten lange, interessante Konversationen, vor allem über seine Arbeit, natürlich, dann über seine Kinder und ab und an über seine Frau und weswegen die Ehe seiner Ansicht nach nicht funktionierte.

Dieses Gespräch sollte aber anders laufen, völlig anders. Es war eine Woche nachdem die Engel fielen und eine Pressemitteilung hatte mich erschüttert, ein kleiner Satz, den ich einfach nicht vergessen konnte. Im Fernsehen hatte es wieder eine große Ansprache darüber gegeben, was genau passiert war, wessen Fehler das Chaos gewesen war und dass die Bevölkerung keine Angst haben solle. Auch über die Wolken wurde berichtet und wie man gedachte sie aufzulösen, außerdem sei es in Europa nicht so schlimm und in Asien schlimmer. Die Amerikaner waren ja noch gut dran.

Der Mann, er hatte bereits etwas schütteres Haar, wirkte seltsam lang gezogen, sein Anzug schien zu groß, die Brille mit den runden Gläsern ließ ihn unseriös wirken und er hatte rote Stressflecken in dem länglichen Gesicht. Ich werde niemals vergessen wie er aussah, niemals, als er aufsah, von seinem vorbereiteten Zettel, den Mund öffnete, ihn wieder schloss und ich wie gebannt den Fernseher anstarrte.
„Die Krankenhausgeneratoren werden bereits benutzt", sagte er, leise, beinahe unverständlich und das schienen auch schon die einzigen, wahren Worte zu sein.

Chaos brach aus, das sah man deutlich. Die Mikros welche ihm hingehalten wurden wackelten, selbst das Kamerabild wurde unscharf und erste Stimmen wurden laut, aufdringlich, wütend, hysterisch oder fassungslos. Der Mann wurde, bevor er etwas Weiteres sagen konnte von zwei Securities von der Bühne gebracht und der andere Herr, welcher als Ersatz einsprang, konnte die Situation nicht mehr retten.
Ab da war ich mir sicher, dass die Regierung keine Ahnung hatte was sie tun sollte. Woher Solarenergie beziehen, wenn es keine Sonne gibt, wie Windkraft nutzen, wenn kein Wind mehr wirklich geht? Wie sollten sie den ganzen Bedarf abdecken, so plötzlich, wie die Wolken vertreiben?
Wie sollten sie überhaupt unser Überleben sichern, wenn es keine Nahrung mehr gab?

„Es wird alles geregelt, glaube mir", nahm er mein Gesicht zwischen seine Hände und sah mich dabei eindringlich an. Er hatte grüne Augen, eine Hakennase, die aber irgendwie zu ihm passte, beinahe schon eine Platte und einen zu dichten, dunklen Bart.
„Wir kümmern uns darum", er konnte nicht einmal halb so gut politisch faseln wie die anderen, aber er gehörte trotz allem zur Regierung und ich glaubte ihm nicht. Kein einziges Wort glaubte ich ihm.
Wenn sie bereits diese Notstromaggregate anzapften und das ausgerechnet von Krankenhäusern, wie lange würde es dann noch dauern?

Bereits nach dieser einen Woche. Kohle und Erdgas gingen uns aus, auf Atomkraft sollte man ja verzichten und Nachhaltigkeit, genau deswegen hatten wir uns für diese Energiegewinnung entschieden, um das Überleben der Erde, vor allem aber der Spezies Mensch zu sichern.
Ganz abgesehen von dem Strom, das war gar nicht das Schlimmste, es war schlimmer, dass die Wolken nicht verschwanden. Viel schlimmer, da alles Leben nur durch Sonne funktioniert und das begriffen sie gar nicht, anfangs zumindest.

„Uns passiert nichts", davon war er so überzeugt gewesen, küsste mich und ich entschied noch in dieser Nacht auszuziehen, musste irgendetwas tun. Wo ist die Sonne?
Die Stromausfälle nahmen wieder zu und eines Nachts, da gingen die Lichter einfach nicht mehr an. Es blieb dunkel und die Leute drehten völlig durch, ich hatte mich in meiner Wohnung verbarrikadiert, ein kleines Zimmer, mit winzigem Bad, harrte auf das was kommen würde. Ein paar rüttelten an meiner Tür, draußen hörte man Schreie, Schüsse, Gurgeln, erstickt und Spritzen. Ich saß dort, wie gelähmt die schwere Kommode vor die Tür geschoben und hielt jedes Mal die Luft an, wenn jemand rüttelte, aber sich nicht die Mühe machte wirklich einzubrechen.

Kratzen am HimmelsrandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt