9.Love Somebody - Aura

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Der gute alte Weckerton riss mich aus meinem traumlosen Schlaf heraus und ließ mich glücklich aufseufzen. Ich war noch energielos und geschwächt von der vergangenen Nacht. Ich hatte noch viel über die Worte nachgedacht und wie ich sie am besten umsetzten könnte, was ich als erstes für sie erleben wollte und sowieso das Übergeben hatte mich zusätzlich müde gemacht, aber dennoch war ich glücklich, wie schon lange nicht mehr. Ich war befreit, in irgendeiner guten Weise. Befreit von diesen Schuldgefühlen, obwohl der Traum gestern sich so echt angefühlt hatte. Ich fühlte mich gut.

Ich blieb noch ein bisschen liegen und genoss den neuen Tag mit dem Vogelgezwitscher, dem warmen Gefühl noch im Bett zu liegen und den leichten Sonnenstrahlen, die mein Bett leicht streiften. Ein Bein baumelte von der Matratze und berührte das kühle Parkett. Meine Fingerspitzen strichen über den weichen Bettbezug.

Meine Tür wurde aufgestoßen und mein schlecht gelaunter Vater kam rein. Wie jeden Morgen polterte er mit seinen schweren Stiefeln über den Boden. Aber er war so mit sich selbstbeschäftigt, dass er es gar nicht bemerkt, wie ich mich aufsetzte und ihn leicht anlächelte.

"Da ist er wieder der schlimme Morgen,
und wieder denke ich gleich an all die Sorgen.

Doch dann kommt von Dir der erste Kuss,
und schon ist mit der schlechten Stimmung Schluss."

,zitterte ich unseren gemeinsamen alten Spruch, den wir schon seit dem Kindergarten benutzten.

Erstaunt und mit offenem Mund schaute er mich an und versuchte irgendetwas zustande zu bringen, aber er bekam nichts außer ein bisschen Gebrabbel raus. 

Ein leises Lachen verließ meine Lippen, während ich aus meinem Bett aufstand und ihm ein Küsschen auf die Wange drückte :"Und hast du jetzt besser Stimmung"

"Bist du Krank?", fragte er und legte eine Hand auf meine Stirn. Er war einfach immer noch geschockt, war es so komisch, dass ich mal gut Lauen hatte. Auf seiner Frage hin schüttelte ich meinen Kopf und grinste ihn weiter an.

"Nein, Dad", antwortete ich ,"Mir geht es wieder besser, viel besser. Es tut mir leid, dass ich mich so lange von euch zurück gezogen habe, aber ich wusste nicht, wie ich mit der ganzen Situation umgehen sollte, mit den ganzen Gefühlen. Mit dem Tod von Mia und das ich plötzlich ganz alleine dastand, obwohl ihr die ganze Zeit über bei mir ward. Und ich bin übrigens sehr dankbar deswegen."

Während meines Vortrages schloss er mich in seine Arme und seufzte einmal laut auf, er genoss die Umarmung und flüsterte :"Meine süße kleine Amber, wie sehr ich dich vermisst habe"

"Ich hab dich auch vermisst", erwiderte ich die Umarmung und atmete seinen beruhigenden Duft ein. 

Nach ein paar Sekunden trennte er sich von mir, streichelte nochmal behutsam über meine Wange und sagte dann streng aber liebevoll :"Und jetzt mach dich fertig. Du musst schließlich gleich wieder zur Schule."

Er verabschiedete sich noch von mir, mit einem weiteren Küsschen, und verschwand dann summend aus meinem Raum, kurze Zeit später hörte man die Haustür zuknallen.

Lachend schüttelte ich meinen Kopf, was für ein Knallkopf. Da ich mitten im Raum stehen geblieben bin machte mich für den kommenden Schultag fertig. Ich putze mir die Zähne, schminkte mich, zog mich an und natürlich alles andere was man so brauchte.

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Eine halbe Stunde später radelte ich mit meinem Fahrrad, und wie immer mit Musik auf meinen Ohren, auf den Schulhof, stellte es in einen der Fahrradständern und schulterte meine Tasche. Von weitem konnte ich schon die vielen Schüler sehen, darunter vermischt auch einzelne Lehrer, die alle zum Eingang strömten. Seufzend, denn meine Laune hatte sich ein bisschen verschlechtert, da ich in der ersten Stunde Herr Schmidt hatte, schloss ich mich der großen Menge an und schlenderte auch in die Schule rein. 

Wieder umschloss mich die stickige Hitze der Schule und der schlechte Geruch von Schweiß und zu viel, viel zu viel Deo oder Parfüm. Super, da waren die Kopfschmerzen schon vorprogrammiert. Trotzdem erinnerte ich mich wieder daran, was ich mir am Vortag vorgenommen hatte und genoss schon fast diese kleine eklige Parfümerie. Ich genoss es für Mia, denn sie konnte nie wieder von so etwas Kopfschmerzen bekommen. Dieser kleine Gedanke brachte mich zum schmunzeln, dass ich mich mal über Kopfschmerzen freuen würde, und schon war der Tag für mich wieder ein bisschen positiver gestimmt. 

Weiter durch das Schulgebäude laufend kam ich bald in meinem Klassenraum an und steuerte direkt zu meinem Sitz am Fenster. Sofort bemerkte ich eine kleine zierliche, weibliche Gestalt auf meinem Platz sitzen: das neue Mädchen, was ich an ihrem ersten Tag so angemacht hatte. Schlechtes Gewissen beschlich mich, schließlich konnte sie nichts für meine Stimmungsschwankungen in diesen Tagen und trotzdem hatte sie alles abbekommen. Auch sie bemerkte mich, augenblicklich verspannte sie sich und stand geschwind von meinem Stuhl auf. 

"Äh..Ähh.. Es tut mir leid... aber ich dachte es wäre dir lieber...ich..ähh... ich würde auf deinem Platz sitzen anstatt auf dem von deiner Freundin, also...äh...es tut mir leid", stotterte sie und sammelte schnell ihre Sachen vom Tisch, aber so richtig gelang ihr das nicht, denn sie hatte alles ungeschickt auf ihren Armen gestapelt und kaum hatte sie einen Schritt getan, rutschte ein Teil nach dem anderen runter. Laut polterte es auf dem Linoleumboden und somit zog sie die gesamte Aufmerksamkeit der Schüler auf sich. Ihr Gesichtsausdruck war auch nicht viel besser, eine Mischung aus geschockt sein, Überforderung und ihre Wangen färbten sich rot und zeigten somit wie sehr sie sich gerade schämte. 

Ich konnte nicht anders und musste hemmungslos anfangen zu lachen. Diese Situation war einfach so komisch aber trotzdem so lustig. Am Anfang versuchte ich noch mein Kirchern zurück zuhalten, um sie nicht noch mehr zu verunsichern, aber schnell löste sich diese Idee in Luft auf und ich lachte lautstark los. Erst guckte sie mich verwundert an, aber auch bei ihr stahl sich ein kleines Grinsen aufs Gesicht und keinen Moment später lachte auch sie sich krumm. Beide lagen wir nun auf dem Boden und mussten immer weiter kichern. Unsere Mitschüler hielten uns bestimmt für bescheuert und fragten sich was das ganze soll, aber wir beide machten uns nichts daraus und prusteten einfach trostlos weiter. 

Ein paar Minuten später hatten wir uns auch wieder beruhigt und schauten uns beide gegenseitig lächelnd an. Sie strich sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel und pustete eine heraushängende Strähne aus ihrem Gesicht. Ich half ihr ihre Sachen aufzusammeln und überreichte sie ihr.

"Du musst dich nicht entschuldigen", sagte ich sanft und lächelte sie weiterhin an ,"Ich muss mich entschuldigen. Es war nicht fair von mir dich so anzugiften. Ich hatte nur leider meine schlechte Phase zu der Zeit und war ein bisschen gereizter als sonst. Und dazu auch noch mit Herr Schmidt, sehr gefährlich"

Sie lachte ein bisschen und winkte, aber gleich wieder meine Worte, ab :"Schon gut, fast schon wieder vergessen. Aber nur zur Vorsicht, wo soll ich jetzt sitzen?"

"Du darfst dir ruhig deinen Platz jetzt aussuchen, also entweder dem am Fenster oder der am Gang", entgegnete ich ihr.

"Dann nehme ich den am Gang", entschied sie und platzierte sich dort mit ihren ganzen Sachen.

Auch ich setzte mich an meinen Tisch am Fenster und freute mich schon jetzt auf langweilige Stunden, wo ich heiße Typen, beim Sport machen, zusehen durfte. Was wollte man auch mehr. 

Plötzlich fiel mir noch etwas ein und so drehte ich mich zu meiner Sitznachbarin um. Ich räusperte mich und wurde sofort mit ihrer Aufmerksamkeit belohnt. 

"Ähm, das kommt bestimmt jetzt doof", fing ich an ,"Aber wie ist überhaupt dein Name? Tut mir leid, hätte ich damals aufgepasst wüsste ich es jetzt, aber naja, ich hab halt nicht aufgepasst..."

Wieder lachte sie und antwortete :"Mein Name ist Klara"

"Ich heiße Amber", ich reichte ihr die Hand, die sie sofort ergriff ,"Auf eine Erfolgreiche zusammenarbeit, Tischnachbarin Klara"

"Auf eine Erfolgreiche zusammenarbeit, Tischnachbarin Amber", grinste sie und schüttelte meine Hand.

Und genau in diesem Moment stürmte mein Lieblingslehrer in den Raum, Herr Schmidt. Hoffentlich hatte eine gute Klasse heute morgen Sport, bete ich bevor der Lehrer die Stunde startete.

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