11.Morning - Hauschka

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Locker ließ ich mich auf meinen Hocker fallen und betrachtete das wunderschöne Instrument. Das Klavier von meinem Wettbewerb, dass ich ungefähr vor einem Jahr gewonnen hatte. Weiß erstreckte es sich vor mir an der Wand und oben auf dem Piano standen wieder unzählige bunte Blumen (meine Mutter, versuchte es wirklich mit allen Mitteln, es mir schmackhaft zu machen). Ein paar Bilder, mit meiner Familie, Mia, (sogar ein altes von) Evan und mir, standen daneben. 

Hoffentlich würde ich das hier nicht bereuen, dachte ich. Ich hatte ja schließlich nicht umsonst aufgehört. Der Gedanke ohne sie zu spielen, diejenige die mich überhaupt dazu gebracht hat, mit dem Klavier spielen richtig zu beginnen, und nicht nur für mich alleine, in meinem Zimmer hinter verschlossener Tür. Mein Herz zog sich mal wieder schmerzhaft zusammen, bei dem Gedanken an die Vergangenheit. Aber trotzdem wollte ich diesen Schritt tun, auch wenn ich es erstmal für mich alleine tue. Denn ich wollte für sie, dort oben, spielen und irgendwie hoffte ich darauf, dass sie es hörte...

Langsam hob ich meine Hände, berührte den Klavierdeckel und öffnete diesen. Ich schloss meine Augen und atmete einmal tief ein und wieder aus. Zittrig legte ich meine Hände auf die kühlen Tasten und strich über die kleinen Rillen und die hervor gehobenen schwarzen Tasten. Ich drückte eine Beliebige herunter und sofort erklang ein lauter, klarer Ton. Lange hielt dieser an, bis sich wieder Stille im Raum breit machte. Das Gefühl fühlte sich ziemlich vertraut an, einfach nur hier zu sitzen, als hätte ich gerade gestern erst das letzte Mal gespielt und nicht, wie schon gesagt, dass es schon ein ganzes Jahr her ist. 

Und dann, fing ich ganz einfach an zu spielen. Es überraschte mich, es fühlte sich nämlich einfach so natürlich an. Als würde ich atmen. Für mich war es, in irgendeiner Weise, überlebenswichtig und ein kleines Loch in meiner Magengegend schloss sich. Ich konnte wieder normal atmen. 

Mein Lieblings Stück hallte im Wohnzimmer wieder und ließ mich ganz ruhig werden. Meine Gedanken und Gefühle rückten in den Hintergrund und es zählte einzig und allein diese Melodie. Immer und Immer wieder spielte ich sie ab. Wechselte zwischendrin zu anderen Liedern. Und sog die Entspannung wie ein Schwamm auf, nie wieder wollte ich sie her geben. Irgendwann war ich so in mich Gekehrt, dass ich sogar anfing zu singen, erst nur paar Zeilen und zum Schluss ganze Lieder. Ihre Lieblingslieder.

Und irgendwie fühlte ich mich, Mia so nah wie schon lange nicht mehr. Als würde sie neben mir stehen und zuhören. So wie sie es immer getan hat. 

Eine Erinnerung kam mir in den Sinn und ließ mich an bessere Zeiten denken.

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Ich spielte die letzten Töne des Liedes und ließ meine Hände sanft in meinen Schoß fallen. Mein Gesicht drehte ich zu meiner besten Freundin, Mia, und beobachtete nervös ihre Reaktion. Sie saß im Schneidersitz auf meinem Bett und betrachtete mich mit einem strahlenden Grinsen.

"Und wie kannst du bitte schön behaupten, dass das gerade nicht gut genug wäre", fragte sie mich empört und kam auf mich zu ,"Es war perfekt"

Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen und meine Wangen färbten sich leicht rosa, Komplimente war ich einfach nicht gewohnt. Trotzdem musste ich noch einmal unsicher nachfragen :"Meinst du wirklich?"

"Abby, wann habe ich dich jemals angelogen?", fragte sie mich liebevoll und quetschte sich neben mich auf den länglichen Hocker ,"Siehst du, niemals. Und jetzt mach dich nicht kleiner als du bist. Das war wirklich unglaublich gut!"

"Ich mach mich nicht kleiner als ich bin", antwortete ich und stubste sie mit meiner Schulter an.

"Doch tust du, aber das musst du definitiv nicht", behauptete sie wieder, strahlte aber weiterhin ,"Würdest du nochmal spielen"

Lächelnd nickte ich, hob wieder meine Hände und fing an zu spielen. Mit ihr an meiner Seite

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Versunken in meinen Gedanken, spielte ich ruhig und mit einem langsamen Lied weiter, und bemerkte somit nicht, dass meine Mutter ins Wohnzimmer gekommen war. 

Geräuschvoll hörte ich nur etwas poltern und ein lautes Einschnappen von Luft. Erschrocken drehte ich mich um und unterbrach somit die Erinnerung an Mia und die Melodie.

"D...Du spielst", stotterte meine Mutter und zeigte verständnislos mit dem Finger, erst auf mich und dann auf das Klavier hinter mir. Langsam kam sie auf mich zu.

"Mum", flüsterte ich, irgendwie war es mir peinlich dabei erwischt zu werden ,"Es ist doch nichts dabei"

"Oh Liebes, es macht mich nur so glücklich dich wieder spielen zu hören", sagte sie, stand jetzt direkt vor mir und zog mich vom Hocker in eine enge Umarmung. Schluchzend fügte sie hinzu ,"Ich habe so lange darauf gewartet, dass du wieder anfängst. Dass du wieder heilst."

Leicht schob ich sie wieder vor mir, liebevoll murmelte ich :"Mama, weinst du etwa?"

Sie lächelte tapfer, strich sich Tränen von der Wange und sagte :"Ich dachte, dass du erstmal sehr lange nicht mehr glücklich sein wirst. Du warst so gebrochen, immer hast du vor dich her gestarrt, mit deinen roten, verschleierten Augen. Und dieser Anblick hat mein Herz gebrochen. Keine Mutter möchte sein Kind so sehen. Dein Vater und ich waren so verzweifelt, wir wussten nicht was wir mit dir anfangen sollten. Und du weißt gar nicht, wie froh ich war als Evan dich letztens mitgenommen hatte. Erstens warst du endlich mal wieder draußen, mit deines Gleichen, und danach warst du wie ausgewechselt. Du warst wieder glücklicher und nicht mehr so zurück gezogen. Und heute finde ich dich hier am Klavier, sitzend und das wichtigste: spielend. Ein riesen großer Stein ist mir vom Herzen gefallen, denn die Trauer in deinem Herzen hat sich auch in meinem ausgebreitet. Dass du spielst ist der erste große Schritt zur Heilung"

"Ich wusste nicht, dass es dir so nah gegangen ist, dass es dich auch so getroffen hat wie mich. Es tut mir leid, Mama, dass ihr euch so viele Sorgen gemacht habt. Und das alles nur wegen mir. Aber es hat mich zerstört, sie war wie eine Schwester für mich.", nuschelte ich. Und bekam leichte Schuldgefühle bei ihren Worten. Ich versuchte mir einzureden, dass es unnötig ist, aber das schreckliche Gefühl blieb. 

"Das weiß ich und deine Trauer ist auch vollkommen berechtigt, aber es ist trotzdem erschreckend dein Kind so zu sehen.", meinte sie und strich mit ihren beiden Händen über mein Gesicht und strich die hochgekommenen Tränen weg ,"Wollen wir uns einen Film angucken und wir bestellen uns eine Pizza, so wie wir es früher immer gemacht haben?"

"Ich könnte mir nichts schöneres im Moment vorstellen", sagte ich und danach gingen wir zusammen in die Küche. 

Das war der schönste Nachmittag mit meiner Mum seit Ewigkeiten und ich war so dankbar dafür.


06.11.2016 22:13 1135 Wörter

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