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,,Geht's dir gut?", fragte ich Harry und streckte ihn etwas von mir, während ich mit meinem Fuß die Haustür hinter ihm zutrat.

Harry lachte schüchtern auf und ich bemerkte wie sich seine Wangen rosa verfärbten.

,,Ja ja... Ich-"
,,Schön, dass du uns ja allen vernünftig Bescheid gesagt hast", maulte Fizzie
,,Dann kann ich ja jetzt in Ruhe weiter mein Toast essen." und stapfte dann in die Küche.

Harry sah ihr schuldbewusst hinterher.
,,Ach, ignorier sie einfach", winkte ich ab und nahm ihm die Tasche ab, ,,und absolut kein Problem, dass du deine Sachen geholt hast. Ist doch gut so. Aber... ich dachte, du wolltest nicht mehr zurück..."
Harry zog die Schultern etwas ein.
,,Wollte - will ich auch nicht mehr. Aber ich weiß ja wann meine Eltern arbeiten und ihnen ist ihre Arbeit ziemlich wichtig. Die würden selbst, wenn ihr Sohn verschollen ist, nicht ihre Arbeit sausen lassen - dann erst Recht nicht. Und ich habe auch Recht behalten, dass Gemma wahrscheinlich erst morgen nach Hause kommt, wie angekündigt und dementsprechend konnte ich ohne Komplikationen meine Sachen abholen...", murmelte Harry, während er sich runterbeugte und sich seine Schuhe auszog ,,und ich habe ihnen eine Notiz hinterlassen. Sie werden also - hoffentlich - nicht mehr weiter nach mir suchen."

,,Ehm... Harry? Was hast du denn auf diesen Zettel geschrieben, wenn ich fragen darf?", fragte ich ihn, während ich seinem Beispiel folgte und ebenfalls meine Schuhe auszog, diese allerdings - im Gegensatz zu ihm - einfach nur mit den Füßen abstreife und sie dann in die Schuhecke trat.
,,Und meinst du nicht, dass dich bestimmt jemand erkannt hat?"

Harry allerdings schüttelte sicher seinen Kopf.
,,Ich glaube nicht. Ich hatte mir deinen roten Beanie geborgt - tut mir leid, ich habe meinen Grauen irgendwie nicht gefunden-,", nuschelte Harry und sah mich dabei schuldig aus seinen tiefgrünen Augen an, ,,mir die Jacke bis über den Mund zugemacht und eine Sonnenbrille getragen. Ich denke die Menschen hielten mich eher für merkwürdig, als das sie mich erkannt hätten."

Er biss sich auf seine Unterlippe, die jetzt durch die neugewonnene Hitze, die seinen kalten Körper durchströmte, noch weicher, noch röter und noch einladender erschien. Verdammt! Louis, hör auf so zu denken!, mahnte ich mich selbst an. Doch es half nichts. Ich konnte meine verbotenen Gedanken einfach nicht stoppen und als er jetzt noch meinen roten Beanie auszog und seine Locken leicht schüttelte, musste ich mich mit aller Kraft mental auf den Boden festnageln, sonst wäre ich jede Sekunde auf ihn gestürzt und hätte Dinge mit ihm gemacht, von denen er noch nicht einmal geträumt hätte und die ich - als jemand, der bereits in einer Beziehung war - auch nicht tun sollte.

,,Alles okay bei dir?", fragte mich Harry und ich gab mir gedanklich eine Ohrfeige und nickte.
Harry zog sich derweil seine Jacke aus und hing sie brav an den Haken, den er seit gestern belegte. Es war eigentlich mein Haken. Aber es störte mich nicht, da ich sowieso selten meine Jacke dort aufhing, sondern sie meistens irgendwo im Haus hinschmiss.

,,Ehm...", fing er an und sah mich dabei unterwürfig und bittend an.

Ich war irgendwie fasziniert davon. Schließlich war er größer als ich und trotzdem schaffte er es so auszusehen, als wäre er meilenweit unter mir platziert.

,,Ja?"
,,Ich- ich wollte fragen, ob ich vielleicht duschen darf? Ich hätte auch bei mir geduscht, aber obwohl ich mir sicher war, dass meine Eltern erst in einigen Stunden wieder nach Hause kommen, wollte ich dennoch so schnell wie möglich weg von da und-"
Ich lachte und wuschelte ihm durch die Haare (Heilige Scheiße, waren die weich!).
,,Natürlich, geh du nur. Nimm aber das Bad links von meinem Zimmer aus. Das andere ist das sogenannte Mädchenbadezimmer und ich würde, deiner Psyche wegen, dir raten nicht in diese Hölle reinzugehen.
,,Übertreib nicht, Louis!", hörte ich Fizzie aus der Küche rufen, aber ich ignorierte sie.
,,Okay.", erwiderte Harry lachend und kratzte sich am Nacken.
,,Brauchst du vielleicht irgendwas? Handtuch, Shampoo, Duschgel oder so?", fragte ich ihn, aber Harry schüttelte den Kopf.
,,Hab alles eingepackt." und nickte zu seiner Tasche, die ich immer noch festhielt.

,,Achso. Ja, dann hol dir die Sachen am Besten raus, die du brauchst und ich trage dann deine Tasche in mein Zimmer." und lief dann aus dem Flur direkt die Treppe (wir hatten zwei verschiedene Treppen, die nach oben führten) nach oben zum Bad, wo ich Harrys Tasche auf den Wannenrand absetzte.
Harry war mir gefolgt, beugte sich nun über seine Tasche, öffnete den Reißverschluss und holte aus seiner Tasche einige Kleidungsstücke, zwei weiße Handtücher, einen Kulturbeutel - mit Inhalt wahrscheinlich und eine Duschgel- und eine Shampooflasche raus. Danach verschloss er seine Tasche wieder und übergab sie mir dann wieder, ohne mich dabei anzusehen.

,,Okay, dann viel Spaß beim Duschen.", erwiderte ich und zwinkerte ihm zu als er dann doch kurz zu mir aufsah und verließ dann das Bad.

Ich hörte noch ein leises ,,Danke." seinerseits, als ich leise lachend, mit seiner Tasche über den Schultern, zu meinem Zimmer lief.

Erst als ich bereits in meinem Zimmer stand und gerade seine Tasche auf das obere Bett warf, während ich hörte wie das Wasser im Bad anging, fiel mir auf, dass Harry gar nicht auf meine erste Frage geantwortet hatte.

Na, halb so schlimm. Ich konnte ihn das ja auch immer noch gleich fragen.

Ich zog gerade meine Jacke aus und wollte sie auf mein Bett schmeißen, als ich spürte wie etwas kleines hartes, aber leichtes, auf meinen Kopf fiel.

Ich rieb mir die betroffene Stelle an meinem Hinterkopf und beugte mich über das, was anscheinend aus Harrys Tasche gefallen war und jetzt auf den Boden lag.

Es war ein kleines Notibuch, mit schwarzem Einband, das aufgeschlagen auf den Boden aufgekommen war.

Ich dachte wirklich es wäre ein Notizbuch, sonst hätte ich nicht einmal ansatzweise reingeguckt.
In Erwartung also hirnloses Gekritzel vorzufinden (das war zumindest immer das, was ich mit Notizbüchern anstellte), las ich etwas, das ganz bestimmt nicht einfach nur hirnloses Gekritzel war.

25. Mai 2015

Heute war es zugegebenermaßen eigentlich ziemlich angenehm. Er hat mir nicht so sehr weh getan. Weder körperlich noch verbal.

Ich glaube, das lag aber nur daran, weil ich geweint habe und einfach nur komplett fertig. Komplett willig. Einfach zu kontrollieren.

Es war wegen Gemma. Sie hatte schon wieder angefangen sich zu ritzen und ich hatte es heute nur per Zufall gesehen. Wenn der Unterricht bei Frau Kermes heute nicht ausgefallen wäre, hätte ich Gemma nicht weinend im Bad vorgefunden wie sie dort, komplett angezogen, in der Wanne hockt und mit leerem Blick einen Schnitt nach dem nächsten sich zugetan hätte. Wenn ich nur daran denke, kommen mir schon wieder die Tränen.

Ich sollte aufhören zu weinen. Immerhin bin ich schon sechzehn. Sechszehnjährige weinen nicht wegen jeden Scheiß.
Aber er hat es mir ja so beigebracht. Ich kenne es ja nicht anders.
Er liebt es, wenn ich weine. Er findet, ich sehe dabei so wunderschön aus.

Ich mag es, wenn er mich so nennt. Schön.

,,Was schön ist, das liebt man.", sagt er immer zu mir.

Also liebt er mich.
Tut er doch, oder?
Aber ist das wirklich so?
Kann ich das überhaupt noch auf diese Kosten ertragen?
Ich weiß es nicht.
Ich glaube nicht.
Will ich das überhaupt noch?
Ich glaube schon.
Aber doch nicht so ...

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Désii xx


Rette Mich || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt