insecurety

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Ich war nun seit gut zwei Monaten auf dieser Schule und ich konnte behaupten, dass es soweit ziemlich gut lief - um ehrlich zu sein, lief es noch nie besser.
Ich verstand mich phantastisch mit den Zwillingen und ihrem Bruder, genauso wie mit Chris und Sam und auch wenn Jessica und Emily irgendwie auf ihre ganz eigene Art jede für sich eine Bitch waren, waren sie wirklich in Ordnung - nur zusammen funktionierten sie nicht immer so. Matt versuchte in den Situationen, in denen sich die Beiden - oder auch andere Gruppenmitglieder - in die Haare bekamen, das Gleichgewicht der Gruppe wieder herzustellen. Er war ein warmherziger Mensch. Mit Mike war ich noch nicht ganz aufgetaut, aber auch Sam schien nicht gerade bestfriends mit ihm zu sein. Und dann war da noch Ashley. Sie schien mich ein bisschen zu ignorieren, allerdings verstand ich nicht, wieso. Mir war bewusst, dass sie auf Chris stand, aber zur Eifersucht bestand kein Grund. Wieso konnte sie mich nicht leiden?
Ich musste Beth unbedingt danach fragen.

Wir waren gerade im Einkaufszentrum angekommen und gingen direkt zum Foodcourt. Als Hannah dabei war unser Essen zu holen, hatten Beth und ich uns schon gesetzt.
"Du, Beth?", fragte ich, kleinlaut wie ich eben war.
"Ja, Page?", hakte sie nach, als keine richtige Frage folgte.
"Wieso mag Ashley mich nicht? Sie ist doch eigentlich echt nett." Ich sah etwas bedröppelt in meinen Schoß auf meine gefalteten Hände und wartete eine Antwort ab.
"Page...", sie klang etwas traurig, als müsste sie eine schlechte Nachricht übermitteln, "ich glaube, Ash denkt, du würdest ihr Chris wegnehmen wollen... Und naja... Sie steht eben schon sehr lange auf ihn. Vermutlich sieht sie es einfach nicht gerne, dass Chris mit einer anderen so viel Spaß haben kann."
"A-aber ich hab doch nie versucht ihn-"
"Essen ist da!", verkündete Hannah glücklich, als sie sich zu mir in die Bank setzte. Ich hob den Kopf und lächelte schmal.
Hannah, die gar keine Ahnung hatte, worum es vorher ging, wechselte einfach das Thema: "Page! Du musst mir heute unbedingt helfen. Ich suche ein neues Outfit."
"Immer gerne, Han." Die Idee munterte mich ein bisschen auf und Ablenkung war bestimmt für den Moment das richtige.

"Was genau suchst du denn?", hakte ich nach, als Hannah etwas planlos durch die Kleiderständer lief.
"Irgendwas, das für die Schule geeignet ist, aber auch nicht zu brav, irgendwie casual..." Als sie das sagte hielt sie eine schwarze Bluse mit großem Ausschnitt und ein paar Rüschen hoch, die ich schnell wieder auf den Ständer hängte. Sie sah mich mit großen Augen an, als ich sie zu mir drehte, um sie von oben nach unten zu mustern.
Schwarze Haare, dunkle Augen, olivfarbene Haut... "Dein Momentanes Outfit passt nicht zu deinem Typ... Ich hab eine Idee."
Ich suchte ihr vorteilhaftere Kleidung aus, die in ihrem Fall aus einem gerade geschnittenen, luftigen, schwarzen Pullover mit Schulterausschnitt bestand, der vorne etwas kürzer war als hinten und wenn man sich streckte, konnte man ihren Bauch sehen. Dazu eine tief geschnittene Jeans in dunklem Blau. Ich musterte sie erneut, als sie aus der Kabine kam.
"Das ist es", sagte ich sicher, "durch den Schulterausschnitt kann man dein Tattoo sehen und tiefe Jeans und höher geschnittener Pullover setzen auch vorne ein kleines Highlight. Du solltest die Finger von zu viel schnickschnack, wie Rüschen lassen."
Hannah sah sich selbst im Spiegel an, wobei sie kaum den Blick von sich nehmen konnte. "Wow, Page, das ist perfekt! Du hast echt ein gutes Auge."
Beth kam wieder dazu, musterte einmal ihre Schwester. "Fehlen nurnoch Sneaker oder deine Schneeboots."
Während sie das sagte ging ich wieder auf Hannah zu und nahm ihre Haare in einem hohen Zopf zusammen, wobei ich meine Pläne schon stumm abnickte.

Als wir im Auto saßen, sprach Beth wieder das Thema an, über das wir uns am Foodcourt unterhalten hatten.
"Was ich vorhin noch sagen wollte, Page, manchmal scheint es aber schon so, als würde er auf dich stehen."
Ich blendete die Welt kurz aus. Diese Aussage veränderte alles. Es machte die Sache seltsam. Jetzt konnte ich nichtmehr so unbeschwert mit ihm rumhängen, weil ich dann ständig daran denken musste. Stimmte es..? Die Frage kreiste in meinem Kopf.
Hannah und Beth schienen zu reden, doch ich war ganz wo anders. Vermutlich hatten sie mich schon mehrfach angesprochen, aber ich war erfroren. So hatte ich noch nie über Chris und mich gedacht.
Gut, dass Beth gerade fuhr und nicht ich.

Zuhause lag ich, noch immer völlig überfordert, auf meinem Bett und starrte die Decke an. Jetzt, wo ich so darüber nachdachte, fühlte ich mich immer Leerer - eine emotionale Kälte, die ich seit langem immer beiseite geschoben hatte, breitete sich wieder aus. Ich war alleine und am liebsten hätte ich genau in diesem Moment bei Chris angerufen, um ihn zu fragen, ob er rüber kommen wollte - aber es fühlte sich falsch an, als würde ich es erzwingen wollen.

Ich legte eine Platte auf. Jede bewegung brachte mir das Gefühl von Taubheit. Ich spürte nichts. Leere. Einen Moment lang hockte ich also bewegungslos vor dem Plattenspieler und sah dabei zu, wie sich der Teller drehte.

Wie jeden Morgen saß ich auch heute neben Chris und teilte mit ihm seine Kopfhörer. Mein Blick klebte an der beschlagenen Fensterscheibe. Heute war es sehr viel kälter, als an vorangegangenen Tagen, gewesen. Der Herbst hielt einzug.

Wir stiegen aus, als er mich ansprach.
"Bist du okay? Du hast heute Morgen noch kein einziges Wort gesagt."
Ich überlegte, was ich antworten sollte. Mir fiel nichts ein, also zuckte ich bloß mit den Schultern.

Auch in den Pausen hatte sich das ganze nicht gebessert. Ich saß da und schob ab und an mal einen Putenstreifen in meinen Mund. Das ganze war so mechanisch, ich fühlte mich wie ein Roboter.

Erst, als ich Nachmittags ausstieg, hatte ich realisiert, dass Chris sitzen geblieben war, um mit mir den Bus zu verlassen. Ungläubig starrte ich ihn an, wobei ich den Kopf etwas schief legte.
"Chris, wieso bist du-"
Er schnitt meinen Satz ab: "Gott, Page, ich mache mir Sorgen um dich. Sag schon, was ist los?" Dabei hielt er mich an den Schultern und rüttelte ein wenig an mir.
Mein Mund stand ein wenig offen und ich sah einfach zu ihm hoch.
Plötzlich kreutzten sich unsere Blicke. Wir versanken ineinander, in den tiefen der Augen des Anderen, und standen da.

Braun traf auf Blau.

Selten hatte ich solch eine Spannung gespürt. Es war magisch, wie sie durch die Luft flitzte, wie seine Hände an meinen Schultern lagen, die die Taubheit verschwinden ließen und sie durch die knisternde Elektrizität ersetzte, die langsam durch mich hindurch kroch, die mich langsam wärmte - mich zum schmelzen brachte. Ich war Wachs in seinen Fingern.
"I-ich so-sollte d-ann m-mal", stammelte ich, bevor ich mit hoch rotem Kopf nach Hause stürmte.

Ich umklammerte mein Kissen, in der sehnsüchtigen Hoffnung das Gefühl von eben irgendwie wieder spüren zu können, doch vergeblich. Es machte mich eher traurig, als glücklich, mich daran zu klammern. Denn in mir stieg Angst auf. Ich wollte weder Ashley verärgern, noch Chris durch einen Fehltritt verlieren, unsere Freundschaft in irgeneiner Weise riskieren, geschweige denn wollte ich selbst zugeben, was ich da gerade gefühlt hatte.

Meine schlimmste Angst war die Angst vor Verlust. Es ist eine schreckliche Angst, denn wir verlieren immer wieder Menschen, die uns etwas bedeuten. Zudem tat es weh loszulassen, egal was es war: von Erinnerungen, Menschen, Orten,... Gefühlen.
Von denen hatte ich schon lange abgelassen, umso mehr schmerzte es sie nun wieder wahr zu nehmen. Die Taubheit des Nichtsfühlens kam mir eigentlich sehr entgegen, denn so war ich immer mit mir allein. Meine Gedanken mussten nicht schreien, um mich zu erreichen. Ich konnte sie anhören, bevor mich Gefühle überkamen, die mich wohlmöglich zu unüberlegtem führten.

Und eigentlich war die Taubheit schon immer da gewesen, doch ich hatte sie noch nie so zugelassen, wie jetzt.

Das schlimmste ist immernoch halb erfroren in eine heiße Badewanne zu steigen.

Jetzt war ich langsam am tauen und befürchtete, dass ich schon bald in mir selbst ertrank - dass ich schon bald in Slebstzweifeln und unsicherheit ertrank.

Until I met him - Until Dawn - Chris ; JoshWo Geschichten leben. Entdecke jetzt