Prolog - Liebes Tagebuch

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Erster Eintrag, 26. April 2012

Liebes Tagebuch
Ich habe nie etwas Grossartiges gemacht. Ich bin weder berühmt noch gehöre ich in der Schule zu den Beliebtesten. Ich existiere einfach. Und trotzdem möchte ich meiner Nachwelt etwas hinterlassen. Und hier kommst du ins Spiel, Tagebuch. Du sollst mir nämlich dabei helfen. Glaubst du, du kriegst das hin? (Mein Gott, ich führe Gespräche mit einem Buch! Vielleicht sollte ich langsam wirklich über einen Umzug in die Irrenanstalt nachdenken, wie es mir Lora einmal vorgeschlagen hat...) Genau, Lora. Wir kennen uns seit dem Kindergarten, haben zusammen Sand verspeist und uns die Knie aufgeschlagen. Wir gehen schon zehn Jahre in dieselbe Klasse und nun werden sich unsere Wege trennen. Sie wird im Sommer aufs Gymnasium gehen mit Schwerpunktfach Physik und Anwendung der Mathematik. (Nein, sie ist keine Streberin. Sie mag einfach Zahlen und ist damit auch begabt im Gegensatz zu mir.) Ich werde eine Lehre als Fotografin beginnen. Ich war noch nie der Mensch, der gerne zur Schule ging. Darum muss mit Schule endlich fertig sein.
Joa, das ist so ziemlich das, was es zur Zeit über mich zu wissen gibt. Ach, vielleicht noch etwas: Ich habe weder einen Freund noch bin ich in irgendeinen Typen verliebt. Jungs sind bescheuert!

Ich muss fast ein bisschen lächeln, als ich die Worte lese. So viel hat sich seither verändert. Lora hat ihren Abschluss gemacht und wird Mathematik studieren. Ich bin irgendwo auf der Strecke sitzen geblieben. Ich werde nie einen Abschluss machen. Nicht weil ich dumm oder unfähig bin. Nein, schlicht weil mir die Zeit dafür nicht reichen wird. Ich habe mich längst damit abgefunden. Für mich wird es kein 2016 mehr geben. Das werde ich nicht erleben. Ich muss alles, was ich noch tun oder sehen möchte, jetzt in Angriff nehmen. Sonst wird es zu spät sein.
Ich nehme einen Stift und beginne zu schreiben.

Eintrag Nummer 973, 28. September 2015

Liebes Tagebuch
Ich habe Lungenkrebs. Stadium vier. Chemo hat nicht geholfen. Bestrahlung hat nicht geholfen. Nichts hat geholfen. (Aber das weisst du ja bereits.)
Nun habe ich noch einen letzten Wunsch. Ich möchte einmal im Leben die Nordlichter sehen, mit einem Camper durch Skandinavien fahren, die letzten Ferien mit meiner Familie verbringen, hoch oben im Norden. Das ist mein letzter Wunsch. Bitte, lass mir genügend Zeit, damit ich das noch tun kann! Nur noch bis Dezember. Bitte, Schicksal!

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So, das ist nun also der erste Teil meiner neuen Geschichte. Hört sich vielleicht bisher etwas ähnlich an wie "Mein Lied für dich", aber ich verspreche euch, sie wird anders. Ich bin grundsätzlich kein Mensch, der gerne zweimal dasselbe schreibt. Das ist für Autor und Leser langweillig.
Also, lasst euch überraschen ;) und wenn euch die Story gefällt, ich würde mich über Votes und Kommentare sehr freuen.

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