Komm mit, ich brauche deine Hände, sie sind so ruhig. Ich darf sie doch mal kurz ausleihen? Komm mit, bitte. Ich brauche deine Hilfe, wirklich. Danke.
Hier vorne, zwischen den Zelten hindurch, genau. Musst du noch austreten? Tee ist halt ein harntreibendes Mittel, nicht? Da vorne sind die Toiletten, ja, mach das, wasch dir nachher die Hände, da bin ich pingelig. Was wir machen werden? Schau, ich erkläre es dir unterwegs, es eilt, wirklich, glaube mir. Wir müssen nur mal kurz operieren, keine Angst, ich werde dich leiten. Du musst mir nur behilflich sein. Schau dir meine Hände an, sie zittern, ich kann so nicht operieren. Ich habe Angst mehr Schaden anzurichten als noch etwas zu retten. Deine Hände sind so ruhig, es ist wie Magie, du hast die Hände geeignet für einen Chirurgen. Komm, hier links, bald sind wir da. Hörst du das Weinen? Die verwandten bangen um ihren Sohn, Mann, Vater in der Mitte. Er hat einen dieser Splitter abgekriegt, so ist der Krieg, er macht vor niemandem Halt. Welcher Krieg, hah, gute Frage, der Krieg der Strasse. Der Krieg des nackten Überlebens. Irgendeiner hat wohl wieder versucht Alkohol zu brennen, das machen die Aussichtslosen täglich, berauschen sich die geringe Perspektive und leben nur noch in den Nebel hinein. Tag für Tag, von der Rinne zum Saufen zum Raufen. Eine Schande wenn du mich fragst, aber mich fragt ja keiner mehr. Ich bin nur noch der Dottore, werde gerufen, darf die zerfetzten wieder zusammenflicken und bekomme dafür gerade mal eine Schüssel Reis. Als ob ich von einer dieser Schüsseln leben könnte. Iss nie, nie, niemals diesen Reis, ganz egal wie nett du sein willst. Dieser Reis, ich hab's einmal gemacht, ich hab gereihert wie ein Wasserfall, drei volle Tage lang. Nie, nie wieder! Aber was rede ich da von Reis, komm, ich brauch deine Hände. Die Operation ist absolut einfach, es ist nur ein kleiner Schnitt longitudinal, also der Körperachse entlang. Ich werde es dir mit dem Stift markieren. Die Kreuze sollte ich auch mit meinem Zittern noch setzten können. Und dann, dann holen wir diesen verdammten Splitter aus dem armen Mann raus. Er hat die Schmerzen nicht verdient. Er ist ein ehrlicher Mann, ich hab ihn ab und an Arbeiten gesehen. Er hat sich um seine Familie gekümmert. Er wäre die Zukunft von dieser Gosse. Wenn er stirbt, dann zerstört das viele Träume. Gib mir deine Hand, wie stark die sind. Du wärst ein guter Chirurg, hab ich dir das schon gesagt? Und so ruhig, unglaublich. Ein Engel im rechten Moment.
Hier rein, das ist das Zelt, hier werden wir operieren. Stecke noch die Lampe dort in der Buchse ein, so, jetzt haben wir Licht. Atme tief durch, schau mir in die Augen. Du kannst diesen Mann nicht mehr umbringen, er ist schon auf dem Acheron, Hades wartet am Ende seiner Reise. Das einzige was du machen kannst, ist dem Mann die Reise verlängern, ihn nochmals in unsere Welt zurückholen und, ach, egal. Eine Operation ist keine Magie, es ist ein Handwerk. Ein gutes Handwerk, glaube mir.
Komm, ich brauche deine Hände, sie sind so ruhig. Ich darf sie doch mal kurz ausleihen? Komm bitte. Ich brauche deine Hilfe, komm, hab keine Angst, du hast ja das Messer in der Hand.
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A wie Zerreissend
RandomKurzgeschichten? Von A wie Zerreissend bis Z wie Abenteuerlich. Oder ganz anders? Eine Sammlung von Kurzen Verworrenheiten. Kühlen Kopf bewahren, weiter lesen. Die Rechtschreibung nimmt sich hier die Freiheit zu sein wie sie will. Mal gross, mal...